Es dürfte weltweit keinen anderen Kunstwissenschaftler geben, der sich fast sieben Jahrzehnte lang so intensiv mit Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) beschäftigt hat wie Helmut Börsch-Supan. Der renommierte Kunsthistoriker ist mittlerweile 91 Jahre alt. Zum Jubiläumsjahr anlässlich Friedrichs 250. Geburtstag hat er ein Buch veröffentlicht, das die Gedankengänge des Künstlers analysiert.
„Das Buch ist die reife Frucht einer etwa 68-jährigen Beschäftigung mit einem unerschöpflich tief denkenden Maler“, schreibt Börsch-Supan, der 1973 ein Werkverzeichnis von Friedrichs Gemälden und Druckgraphiken herausbrachte, am Ende von „Caspar David Friedrich – Seine Gedankengänge“. Für den Kunsthistoriker wurzelt die Kunst Friedrichs tief in seinen religiösen Empfindungen.
„Ich meinesteils fordere von einem Kunstwerk Erhebung des Geistes und (…) religiösen Aufschwung“ – dieses Zitat des Künstlers hat Börsch-Supan seinem neuen Buch voranstellt. Das „Insichhineinsehen“ als göttlichen Kern im Künstler sowie die religiösen Deutungen Friedrichscher Motive durchziehen das Buch: der Mond als Christussymbol, Fichten als christliche Symbolbäume, die Felsenkoppe als Gottessymbol.
Schicksalsschläge
Um dem wohl bedeutendsten deutschen Maler des 19. Jahrhunderts näherzukommen, geht der Autor auf die vom Künstler selbst so bezeichnete „Eigentümlichkeit“ intensiv ein. In seiner Persönlichkeit liegt die Basis für Friedrichs schöpferische Individualität. Ohne die Schicksalsschläge, die ihn heimsuchten, sind seine Malerei und die Gedanken von Tod und Jenseits nicht zu verstehen.
Der frühe Tod der Mutter, der Unfalltod seines geliebten Bruders im Eis und ein Selbstmordversuch prägen Caspar David Friedrichs Werdegang. Wer sein düsteres Naturell, die Schwermut oder die „tiefe Unzufriedenheit mit seinen eigenen Leistungen“ verstehen will, sollte einige Fakten kennen, die Helmut Börsch-Supan mit Bildanalyse und Quellen vermittelt.
Gleich in seinen Vorbemerkungen spricht Börsch-Supan die Rezeptionsgeschichte an: von der Wiederentdeckung Friedrichs durch den Norweger Andreas Aubert (1851 bis 1913) über die sogenannte Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie Berlin oder die Interpretationen im Sinne der Ideologie der Nazis, wo man ähnlich wie später in der DDR die Verankerung von Friedrichs Kunst im Christentum gerne überging.
Als unmissverständliche Kritik an seiner eigenen Zunft darf man den Rückblick auf das Friedrich-Gedenkjahr zum 200. Geburtstag des Malers 1974 verstehen. Zwei große Friedrich-Ausstellungen gab es damals: eine in der Bundesrepublik (Hamburg), eine in der DDR (Dresden). Der DDR bescheinigt Börsch-Supan mit Blick auf Friedrich eine Spaltung „in eine streng marxistisch gelenkte und eine unideologische Richtung“, die quellennahe Forschung betrieb.
Im Westen setzte man vermehrt auf öffentliche Kontroversen – Börsch-Supan sieht dies als Folge der 68er-Bewegung. Dies habe dazu geführt, dass manch ein Forscher „wie der Wanderer über dem Nebelmeer möglichst allein über alles andere hinwegschauen möchte, auch über das, was der Maler selbst über seine Kunst geäußert hat“. Solcherlei Kunsthistoriker dürften im wiedervereinigten Deutschland in nicht wenigen Museen und in Universitäten weiterhin tonangebend sein.
„Ein widriger Eindruck“
Der renommierte Forscher kritisiert auch das moderne Ausstellungswesen „im Scheinwerferlicht der Medien“ mit langen Schlangen und überfüllten Ausstellungsräumen. Was hätte Friedrich wohl dazu gesagt? „Es macht immer einen widrigen Eindruck auf mich, in einem Saal oder einem Zimmer eine Menge Bilder wie Ware ausgestellt oder aufgespeichert zu sehen, wo der Beschauer nicht jedes Gemälde für sich getrennt betrachten kann, ohne zugleich vier halbe andere Bilder mitzusehen“, zitiert Börsch-Supan.