"Erlöserkapelle" in Biburg

Zeichen tiefen Glaubens

BIBURG – Ludwig Valentin Angerer der Ältere ist ein vielseitig künstlerisch inspirierter und engagierter Mensch. Vor allem jedoch ist er selbstkritisch. „Um ein wirklich guter Christ zu sein, fehlen bei mir bei allem Bemühen leider die charakterlichen Voraussetzungen“, antwortet er auf die darauf abzielende Frage. Welche charakterlichen ­Voraussetzungen er dabei genau meint, erklärt er nicht, doch eines seiner vielen Kunstwerke spricht eine deutliche Sprache vom tiefen Glauben des Künstlers. Zwischen 1997 und 2000 errichtete er auf dem Areal eines ehemaligen Feuerwehrhauses in Biburg eine kleine Kapelle, die als Gesamtkunstwerk lebendigen Glaubens betrachtet werden kann. Sie heißt „Erlöserkapelle“ und ist ein Ort, an dem der Besucher länger verweilen und immer wieder neue Details finden kann.

Eine Besonderheit der Erlöserkapelle ist die Röhre, die ins Licht führt und von einem bunten Bleiglasfenster in einer kleinen Kuppel begrenzt wird. Es ist eine Röhre ins Licht und damit eine Art gemauerte Metapher: Der Besucher der Kapelle gelangt aus dem Dunkel/der Dämmerung, indem er durch die Röhre hinaufschaut, ins Licht. „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“, so lautet das Wort aus dem Buch Jesaja (Jes 9,1), das hierzu passt. Diesem Bild vom Licht beziehungsweise der Verheißung der Geburt des göttlichen Kindes hat Angerer der Ältere auf diese bauliche Weise Gestalt gegeben. In der Mitte der Röhre ist eine Kreuzigungsgruppe zu sehen mit einem Christuskind zu Füßen des Kreuzes, rechts davon die Figur eines Verkünders, der mit der Schrift in der Hand auf den Gekreuzigten deutet. Vom Boden der Kapelle aus recken sich menschliche Gestalten der Röhre beziehungsweise dem Licht entgegen, dem Licht, das vom göttlichen Kreuz ausgeht und den Hoffenden Heil bringt. 

Röhrenlichterlebnis

Wer die Erlöserkapelle genau erkundet, findet noch viele weitere kleine Details, die Ludwig Angerer der Ältere hier „eingebaut“ hat, so zum Beispiel eine Schildkröte, deren Panzer in Kreuzform die Aufschrift „Sei ohne Angst“ trägt. Insgesamt 27 Figuren, die sich, selbst ohne Farbe gehalten, vom bunten Licht der durch das Fenster einstrahlenden Sonne stark abheben, hat der Künstler in seine Kapelle eingearbeitet.

Doch wie entstand die Idee für diese Kapelle? „In den Achtziger-Jahren hatte ich ein für mich richtungsweisendes Erlebnis. Ich saß in einem startenden Flugzeug, als wir uns in einer Schräglage befanden und sich die Tür zum Cockpit öffnete. Durch die Flugzeugkanzel drang in den Passagierraum das gleißende Licht der Sonne. Bei diesem Röhrenlichterlebnis wurde mir bewusst, in welchem kosmischen Zeitalter wir leben. Das war die Geburtsstunde zur Lichtröhre in meiner Kapelle“, erzählt Ludwig Angerer. Bei der künstlerischen Ausgestaltung der Kapelle, doch auch in seinem gesamten Werk war „die Schönheit und die ungebrochene Darstellung der menschlichen Gestalt im Gegensatz zur Moderne immer erstes Gebot. So auch in der Erlöserkapelle zum Lobe Gottes.“ 

Seit der Fertigstellung der Kapelle im Jahr 2000 hat Angerer immer weiter an der Ausgestaltung gearbeitet. Viele Menschen haben seither dieses besondere Kunstwerk besichtigt: „Während die heutige Kulturszene meine Werke ignoriert, waren aber viele kunstinteressierte Laien begeistert und die Kapelle erfreute sich regen Besucherzuspruchs“, erzählt der Künstler von den vergangenen zehn Jahren. Eine besondere Wertschätzung erhielt Ludwig Angerer vom damaligen Kardinal und jetzigen emeritierten Papst Benedikt XVI., der Ludwig Angerer anlässlich der Einweihung der Kapelle eine Grußbotschaft zukommen ließ mit dem Wortlaut: „Ich beglückwünsche Sie zu dem Kunstwerk, das endlich wieder einmal wirkliche sakrale Kunst darstellt im Gegensatz zu so vielem, das nur den Verfall der Seele im Unglauben sichtbar macht.“ Mit besonders guten Wünschen für sein Schaffen schloss Ratzinger seinen Brief.

Ludwig Angerer zitiert auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, die die Menschen nun schon seit zwei Jahren in Atem hält, den von ihm „hochgeschätzten ehemaligen Papst Benedikt XVI.“: „Ein fester Glaube hilft einem über alles hinweg“, sagt Angerer auf die Frage, wie er mit den Auswirkungen der Pandemie umgehe.

Der Glaube ist Ziel und Angelpunkt des Lebens des 83-jährigen, zur Kunstrichtung des fantastischen Realismus zählenden Künstlers. „Ohne Christus kein Leben, das wusste ich bereits als Ministrant“, sagt Angerer auf die Frage nach der Bedeutung der Religion für sein eigenes Leben. 

Noch unvollendet

Für Ludwig Angerer ist die Erlöserkapelle ein Kunstwerk, an dem er immer weiter feilt. Er würde sich wünschen, auf den Giebel der Kapelle eine Christusstatue zu setzen. Diese Statue ist bereits als Modell fertig und steht in Angerers Atelier, bereit, es „in Marmor gießen zu lassen“. Zur Entstehung der Erlöserkapelle hatten viele Gläubige aus der Region seinerzeit einen großzügigen Spendenbeitrag geleistet. Der Künstler selbst arbeitete für „Gottes Lohn“. Leider, sagt Angerer, sei die Spendenfreudigkeit ­zurückgegangen. „Um die Statue zu gießen und auf dem Giebel anzubringen, würden die Kosten circa 35 000 Euro betragen“, erklärt der Künstler. Diesen Betrag gilt es erst einmal aufzubringen. Der Künstler würde sich sehr freuen, wenn sich Sponsoren beziehungsweise Mittel finden würden, um dieses Projekt zu vollenden.

Ludwig Angerer der Ältere arbeitet gemäß seinem Credo, „Die Rückkehr des Menschen in die Kunst“. Er gilt als einer der vielseitig begabtesten Künstler dieses Jahrhunderts. So hat Angerer auch schon im Filmgenre in Amerika mitgewirkt. Mit seinen kreativen konzeptionellen Ideen zum Film „Die unendliche Geschichte II“ (Produktion Warner Brothers) begeisterte er ein Millionenpublikum und errang damit auch den Bayerischen Filmpreis (1989). Als 2004 in Frankreich der 100. Geburtstag Salvador Dalís gefeiert wurde, vertrat Angerer der Ältere die hohe Kunst und entwarf das Plakatbild „Hommage à Dalí“.

Angerer erarbeitete auch einen Cover-Titel für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und schuf aus einem Original-Audigetriebe eine fantastische Burg, die „Getriebe-Burg“. Für die Theater-Welturaufführung „Der kleine Hobbit“ (1994) von J. R. R. Tolkien entwarf Angerer Bühnenbild, Creatures und Kostüme. Sein künstlerischer Geist ist ungeheuer flexibel und wechselt von verrückten Fantasien hin in die Welt der ewigen Mitte, der Ruhe. Angerer schuf 1996 das Grabmal für Michael Ende als großes Bronzebuch mit reliefartigen Fabelwesen, auf dem Kinder beim Spielen gesehen werden. In Japan genießt das Gesamtkunstwerk Angerers große Anerkennung.

Ludwig Angerer der Ältere wurde am 7. August 1938 in Bad Reichenhall geboren und studierte in München Architektur. Von 1961 bis 1966 besuchte er die Akademie der Bildenden Künste. Von 1967 bis 1975 arbeitete er als Entwurfsarchitekt bei Freiherr Alexander von Branca. Neben Buchveröffentlichungen und der Aufnahme ins Thieme-Becker-Kunstlexikon (Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker) produzierte er zusammen mit seinem Sohn Christian Angerer in der ARD im Jahr 1990 den Videofilm „Deutsche Trennung und Einheit“ (Uraufführung 3. Oktober 1990). Zwischen 1997 und 2000 errichtete er die Erlöserkapelle in Biburg als christliches Gesamtkunstwerk aus Architektur, Malerei und Bildhauerei. Bereits im Jahr 2000 erhielt er den Auftrag für eine Ikone vom Patriarchen von Rumänien, 2004 wurde er zum kulturellen Botschafter Niederbayerns ernannt. 

Zahlreiche Preise

Zahlreiche Preise folgten im Laufe der Jahre, so der Kulturpreis des Landkreises Kelheim (2008), im selben Jahr sowie noch einmal 2011 der Kulturpreis „Trophée Apocalypse Dore“ (überreicht von Louis Giscard d’Estaing). 2010 schuf er ein lebensgroßes Modell eines Christus-Statuen-Doms, geplant in 80 Meter Höhe. Angerer erlangte einige Medaillen für Gemälde und Veröffentlichungen und stellte zu verschiedenen Anlässen aus. 2019 war er Star der Kultsendung „Gernstl unterwegs“. Die letzte große Kunstaktion fand 2020/2021 mit der Ausstellung „Mutige Kunst“ mit Art Agency Hammond im Stadttheater Fürth statt. Angerer stellte seine Kunst in vielen europäischen Ländern aus, so in Paris, Brüssel, Barcelona, Wien, München und so weiter. Der Künstler sieht seine Aufgabe darin, „der Kunst wieder Schönheit, Fantasie, Geheimnis und Mythos zurückzugeben.“ Natürlich hat der rastlose Ludwig Angerer der Ältere bereits neue Pläne. Die verrät er aber nicht: „Ich bin abergläubisch, deshalb möchte ich darüber nichts sagen.“

Angelika Lukesch

23.02.2022 - Bistum Regensburg