Historischer Text vom 12. September 1948 aus unserer Zeitung

Achtung – die Stimme des Heiligen Vaters!

Dass sie auf der Höhe der Zeit waren, zeigten die deutschen Katholiken im Revolutionsjahr 1848: Vom 3. bis 6. Oktober tagten in Mainz die deutschen Piusvereine, die sich die religiöse Freiheit auf die Fahnen geschrieben hatten und gegen die Unterdrückung der Katholiken durch protestantische Regierungen eintraten. Sie gründeten den Katholischen Verein Deutschlands und besiegelten mit ihrer Versammlung den Prototypen des Deutschen Katholikentags. Das Jubiläum 100 Jahre später – aus gegebenem Anlass ebenfalls in Mainz, auf dem 60000 Quadratmeter großen Gelände des Katholischen Jugendwerks – fiel allerdings in schwere Zeiten: Die Gräuel des Kriegs waren noch allgegenwärtig, entsprechend lautete das Motto: „Der Christ in der Not der Zeit.“ Trotzdem sollte bei der Tagung vom 1. bis 5. September der historische Zusammenhang nicht ganz untergehen. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete Papst Pius XII., indem er zum 100-jährigen Bestehen der Katholikentage seinerseits ein historisches Novum präsentierte: die erste Rundfunkansprache eines Papstes auf Deutsch. Gut verständlich, wenn auch etwas langsam, wandete sich der frühere deutsche Nuntius direkt an seine Zuhörer an den Rundfunkgeräten. Der Wortlaut der Rede:

Geliebte Söhne und Töchter!

Wie hätten Wir der freundlichen Bitte Unseres ehrwürdigen Bruders des Oberhirten von Mainz nicht Folge leisten sollen, an euch, die ihr in seiner Bischofsstadt nach alter Sitte zu gemeinsamer Tagung euch zusammengefunden habt, Unser väterliches Wort zu richten und euch zu segnen!

Dürfen Wir Uns doch zu jenen rechnen, die am mächtigen Werk der Deutschen Katholikentage tätigen Anteil nahmen. Es war Uns nicht weniger als achtmal beschieden, als Apostolischer Nuntius auf ihnen zu sprechen und den Versammelten den Gruss und Segen des Stellvertreters Christi zu übermitteln.

Während die Aetherwellen Unsere Worte an euer Ohr tragen, ersteht vor Unserm geistigen Auge das Erinnerungsbild jenes frohbewegten und glücklichen Mainz des Domfestes 1928. Die glanzvolle Serenade auf dem Gutenbergplatz, der aus einem Lichtmeer zum Himmel ragende Dom, die von Heimatliebe und Glaubenstreue getragene Massenversammlung in der Stadthalle — all diese köstlichen Erinnerungen umdrängen und erfüllen Uns, während der schneidende Gegensatz zwischen dem freudebeschwingten Gestern und dem leidbeladenen Heute sich schmerzvoll auf das Gemüt legt.

Dem diesjährigen Katholikentag kommt eine besondere, weittragende Bedeutung zu. Ihr begeht mit ihm die erste Jahrhundertfeier jener stolzen Heerschau der katholischen Kräfte eures Volkes. Er selbst ist wieder der erste seiner Art nach einer gewaltsamen Unterbrechung von drei Lustren, einer Zeitspanne, die das Dunkelste und Erschütternste in sich fasst, das die deutsche Geschichte seit grauer Vorzeit zu berichten hat. Der diesjährige Katholikentag soll zudem euren Führern die Richtung weisen in eine Zukunft, deren Düster schwer auf euren Seelen lastet und von der ihr nur das eine wisst, dass ihr euch den Weg durch sie im Kirchlichen wie im Weltlichen in harter und entsagungsvoller Arbeit bahnen müsst.

Trotz allem — heute, beim Rückblick auf die verflossenen hundert Jahre, möge inmitten der bitteren Not der Gegenwart die Empfindung der Freude und Dankbarkeit vor Gott in euch vorherrschen.

Diese hundert Jahre haben eure langen, oft sehr bewegten Kämpfe um die Freiheit der Kirche und die Gleichberechtigung der Katholiken im öffentlichen Leben gesehen, und ihr habt sie mit gutem Erfolg gekämpft.

Es waren hundert Jahre fruchtbarster organisatorischer Tätigkeit. Ein Jahrhundert zähen Bemühens um die Meisterung der sozialen Not, in geistigen Auseinandersetzungen wie in lebendigen, segensvollen Schöpfungen. Vorbildlich habt ihr auf diesem Felde gewirkt, zum Ansporn für viele andere.

Es waren hundert Jahre hervorragender Leistungen in Wissenschaft und Kultur, für Schule und Erziehung. Hundert Jahre auch harten Ringens um die Millionen von Katholiken in der heimatlichen Diaspora, wie opferbereiten und wagemutigen Schaffens für die Missionen. Wen heute die Diaspora mit ihrer Not sich mehr als verdoppelt hat, geradezu Missionsland geworden ist und schleunige Hilfe heischt, so möge es für euch doch auch Ehrensache sein, einen geachteten Platz, wie ihr ihn in der Katholischen Weltmission immer einnahmt, auch in Zukunft zu behaupten. Bleibt euch bewusst, dass ihr ein Glied der erdumspannenden katholischen Familie seid !

Zweimal in diesen hundert Jahren war der verbissene Angriff einer kirchenfeindlichen, übermächtigen Staatsgewalt gegen euch gerichtet. Es waren gefahrvolle, langanhaltende Stürme, durch die ihr euch hindurcharbeiten musstet. Gottes starker Arm hat euch erbarmungsvoll geleitet. Dafür und für allen Segen dieser hundert Jahre steige aus euren Herzen und von euren Lippen demütiger und iubelnder Dank zum Allmächtigen empor.

Und nun, geliebte Söhne und Töchter, heisst es den Blick in die Zukunft richten.

Gerade vor hundert Jahren ist in euren Landen das Wort vom « gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsord- nung » gefallen. In weitem Ausmass und unter furchtbaren Verhängnissen hat dieses Wort sich an euch selbst bewahrheitet. Eure zerstörten Städte sind das sprechende Sinnbild seiner Verwirklichung, und nur mit tiefem Ernst geht heute Unsere Erinnerung zurück zu jenem noch « goldenen » Mainz, in dessen Mauern Wir vor rund zwei Jahrzehnten das unvergessliche Domfest mitfeiern durften. Die Grabstätte der frommen Kapuzinerinnen von der ewigen Anbetung, die in einer grauenvollen Nacht des Feuerregens, um ihre Oberin geschart, gemeinsam das Opfer ihres Lebens bringen durften, ist inzwischen zum Wahrzeichen der Stadt geworden.

Tiefgreifende — und wie oft tiefschmerzende — Veränderungen gehen durch alle Bezirke eures wirtschaftlichen, politischen, sozialen und auch religiös-kirchlichen Lebens hindurch. Wer heute führt, muss sich dessen jeden Augenblick bewusst sein. Er soll die Vergangenheit kennen, um aus ihr zu lernen. Nur darf er ihr nicht einseitig verhaftet bleiben. Er hat die Pflicht, im guten Sinne des Wortes wirklichkeitsnah zu sein.

Ganz erfüllen wird sich jenes Wort vom Umsturz aller Ordnungen doch nicht, nicht einmal in den Diesseitsbeziehungen. Der alte Gott lebt noch. Noch gilt sein Gesetz. Es wird immer gelten, und auf dieses Gesetz ist die Soziallehre der katholischen Kirche aufgebaut. Haltet mutig und treu ihre Linie ein, ohne abzuweichen, weder nach rechts noch nach links.

Wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen, wird auch die Zukunft von euch den Einsatz verlangen für die Freiheit der Kirche, für ihre und der Eltern Rechte auf das Kind, seine Erziehung und seine Schule. In bestimmten Landesteilen mag es sogar ein Kampf auf Leben und Tod werden. Die Vorzeichen und Formen der Gegnerschaft gegen die Kirche wechseln; die Ziele der Gegner bleiben im Grunde immer dieselben.

Wir wissen, wie drängend bei vielen eures Volkes, Katholiken und Nichtkatholiken, die Sehnsucht nach Einheit im Glauben ist. Wer könnte diese Sehnsucht lebendiger empfinden als der Stellvertreter Christi selbst? Die Kirche umfasst die im Glauben Getrennten mit « ungeheuchelter Liebe » und mit der Inbrunst des Gebets für ihre Rückkehr zur Mutter, der Gott weiss wie viele von ihnen ohne persönliche Schuld fernstehen. Wenn die Kirche unbeugsam ist gegenüber allem, was auch nur den Anschein eines Kompromisses, eines Ausgleichs des katholischen Glaubens mit anderen Bekenntnissen oder der Vermengung mit ihnen erweckt, so deshalb, weil sie weiss, das es nur einen unfehlbar sicheren Hort der ganzen Wahreit und der Fülle der Gnade, die uns durch Christus geworden, immer gegeben hat und immer geben wird, und dass dieser Hort nach dem ausdrückichen Willen ihres göttlichen Stifters schlechthin sie selber ist.

Die Aufgaben der Seelsorge in Gegenwart und Zukunft werden sich unmöglich lösen lassen, ohne in noch stärkerem Grad als bisher dem hierarchischen Apostolat die Hilfe der Laien zur Verfügung zu stellen. Gerade die Erfahrungen der Seelsorge in den verwirrten und oft fast ausweglosen Verhältnissen der letzten Jahre haben erwiesen, wie wertvoll jene Hilfe ist und wie wenig oftmals der Priester auch bei bestem Willen ohne Laienhilfe zu erreichen vermag. Was Wir auf dem Magdeburger Katholikentag im Jahre 1928 über die Katholische Aktion ausgeführt haben, ist heute vielleicht noch zweckdienlicher als damals.

Eines möge als Erbe der Vergangenheit in vollem Masse auf euch übergehen : der Geist, aus dem die Besten von euch, Priester und Laien, in den vergangenen hundert Jahren für die katholische Sache gekämpft und gesiegt haben. Es war der Geist warmen, lebendigen Glaubens. Sie waren fromme Beter. Sie liebten Christus. Sie liebten seine Kirche und standen mit rührender Treue zu ihrem Oberhaupt, dem Papst in Rom.

Wenn Wir anstelle von allen einen nennen wollen, wer anderer könnte es sein, wo ihr in Mainz tagt, als Wilhelm Emmanuel von Ketteler! Er, an dessen Grab Wir seinerzeit in Ehrerbietung und Ergriffenheit standen, hat den Beginn der Katholikentage mitgeschaffen. Er war führend als Kämpfer für die Rechte der Kirche. Führend als Bischof, ein würdiger Nachfolger des hl. Bonifatius, eures grossen Apostels, der im Geist heute unter euch weilt. Führend war Ketteler als der mit seherischem Blick die Zukunft vorausschauende Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit und Liebe. Er konnte irren, aber gross war er wieder, wie er sich demütigen Sinnes und mit voller, ja froher Ueberzeugung der von der Kirche unwiderruflich verkündeten Wahrheit unterwarf, auch hierin ein leuchtendes Vorbild für euch. Möge sein Geist in denen fortleben, die heute zur Führung der deutschen Katholiken berufen sind.

Geht mit unbegrenztem Gottvertrauen an die wenn auch oft vielleicht unlösbar erscheinenden Aufgaben heran, welche die Not des Vaterlands und die Sendung der Kirche euch stellen. Eure Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat. Ihm befehlen Wir euch an, dem Ewigen Gott, dem Vater der Armen, dem Tröster der Gedemütigten, der aufrichtet, die zerschlagenen Herzens sind. Wir empfehlen euch der reinsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, deren vielzählige Heiligtümer auf deutschem Boden von dem echten Glaubenssinn eures Volkes zeugen. Wir empfehlen euch der glorreichen Schar der Heiligen, die eure Heimat der Kirche und die Kirche eurer Heimat geschenkt hat. Gottes Allmacht und ihre Fürbitte mögen euch Kraft verleihen, in einer wenn auch überaus schweren, so doch grossen Zeit nicht kleinmütig zu werden.

Mit diesem Wunsch im Herzen erteilen Wir euch und dem ganzen deutschen Volk in stets gleichbleibender väterlicher Liebe den erbetenen Apostolischen Segen.

Quelle: www.vatican.va

Die Katholische Kirchenzeitung als Vorgängerin unserer Zeitung berichtete damals auf der Titelseite zum 12. September 1848 über den Katholikentag und die Papstansprache.

27.08.2018 - Deutschland , Papst