Tag des gottgeweihten Lebens am 2. Februar 2021 im Augsburger Dom von Bischof Bertram Meier

Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen.

"Ihr Tore hebt euch nach oben. Hebt euch, ihr uralten Pforten. Denn es kommt der König der Herrlichkeit" (Ps 24,7).

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit diesen Worten grüßt die Liturgie den König der Herrlichkeit: Jesus, der in Betlehem unter sehr bescheidenen Verhältnissen geboren wurde. Heute, vierzig Tage nach seiner Geburt, überschreitet er zum ersten Mal die Schwelle des Tempels. Wie es üblich ist, bringen ihn Maria und Josef in das Heiligtum, um das Gesetz des Mose zu erfüllen: "Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein" (Lk 2,23). Der Herr des Tempels kommt unbemerkt. Nichts Außergewöhnliches ereignet sich. Der Tempel schweigt und betet. Wie immer, so ist er erfüllt vom Geheimnis der Gegenwart Gottes.

Doch dann geschieht es. Ein alter Mann ist da, der das Ereignis tiefer begreift. Zwei Augen dürfen es schauen, eine Stimme ruft es aus: In Jesus kommt "das Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für sein Volk Israel (Lk 2,32). Dasselbe, wenn auch mit anderen Worten, bringt die Prophetin Hanna zum Ausdruck, "eine Tochter Penuels und hochbetagt" (Lk 2,26). In diesem Augenblick tritt sie hinzu, preist Gott und spricht über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Israels warten (vgl. Lk 2,38).

In den beiden Senioren, die im Herzen so jung geblieben sind, begegnen sich das Alte und das Neue Testament, die Verheißung und die Erfüllung. Durch die Stimme des Simeon steigt Gott gleichsam ins Herz seines Volkes hinab, das darauf wartet, das Heil zu schauen. Heute hebt Gott die Tore der Erlösung und öffnet die Tür für die endgültige Erfüllung in der Ewigkeit.

„Ihr Tore hebt euch nach oben. Denn es kommt der König der Herrlichkeit.“

Nicht nur der Tempel von Jerusalem vor zweitausend Jahren, auch unser Dom heute ist erfüllt von der Herrlichkeit des Herrn. Ihm bringen wir unsere Psalmen und Hymnen, vor ihn tragen wir unseren Dank und unsere Bitten, ihm widmen wir Weihrauch und Licht. Wir schauen auf das „Licht der Völker“ und erinnern uns das sprechende Wort: „In deinem Licht schauen wir das Licht.“ (Ps 36,10) Im Licht der Welt entdecken wir uns selbst, wir sehen uns in einem neuen Licht. 

Liebe Schwestern und Brüder des geweihten Lebens!

Dass sich die Tore unseres Domes öffnen, zeigt sich darin, dass dieser Gottesdienst über die Kathedrale hinaus ins Bistum hinein per Livestream übertragen wird. Danke für diesen Dienst! Besonders erwähnen möchte ich auch unseren Herrn Dompfarrer und alle, die beitragen, dass wir diesen Tag unter Corona-Bedingungen als Fest feiern können. Auch die Gemeinschaft unseres Priesterseminars wirkt mit. So zeigt sich: Wir sitzen alle in einem Boot: die Schwestern und Brüder der Ordensgemeinschaften, Priester, Diakone und Kandidaten, mit allen Getauften, die einst in die Kirche getragen und dem Herrn „präsentiert“ wurden: Unser aller Leben ist auf je eigene Weise Gott geweiht.

Umso wichtiger sind Menschen, die Anschauungsunterricht erteilen: Frauen und Männer, die den evangelischen Räten folgen. Sie führen ein alternatives Leben: Kein Wunder, dass es ihnen geht wie Jesus. Auch sie sind ein Zeichen, dem widersprochen wird. Aber es leuchtet ein: Wer gegen den Strom schwimmt, eckt an. Doch wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen. 

Da ist zunächst die Armut. Die dunklen Mächte wollen genau das Gegenteil: immer mehr, immer höher, immer weiter, immer schneller. Die Folge davon ist, dass uns die Arbeit versklavt und die Freizeit verwöhnt; dass wir für das Äußere endlose Opfer bringen und innen hohl sind und leer; dass wir unsere Immobilien aufwendig ausstatten, aber dabei das innere Haus, das Herz, verkümmert; dass wir zu stark auf das „Haben“ schauen und darüber das „Sein“ vergessen. Liebe Ordensleute, durch das Zeichen der Armut zeigen Sie allen Gliedern der Kirche, dass die Dinge dieser Welt nicht alles sind. Ihre Lebensform lehrt uns, dass alles unter einem heiligen Vorbehalt steht. Es ist ein Ausrufezeichen an uns: Lasst euch nicht so von Menschen und Dingen einfangen, dass sie euch besitzen! Das wäre eine moderne Form der Besessenheit. Der Lebensunterhalt darf nicht zum Lebensinhalt werden.

Eine weitere Versuchung, die sich ausbreitet, ist der Wunsch, sich alles nehmen und alles selber machen zu können. Das Stichwort heißt "Erlebnisgesellschaft". Stürze dich ins Abenteuer! Wage den Sprung ins Reich der Träume! Berausche dich am Füllhorn des Lebens: im Rausch der Phantasie, der Sinnlichkeit, der sexuellen Wahnbilder! Öffnet die Krise der Pandemie vielleicht die Chance zu erkennen: Wir dürfen nicht alles selber machen? Weder die Welt noch die Kirche ist nur das Werk unserer Kreativität. Wärme ist weniger eine technische Frage. Unsere Heizung kann auf Hochtouren laufen, aber das Leben fühlt sich trotzdem an wie in einem Kühlschrank. Jeder Mensch – in welcher Lebensform auch immer - braucht Zuneigung und Liebe. Leere Hände sind schon schlimm, noch schlimmer ist ein leeres Herz. Unsere tiefste Sehnsucht ist ein Du. Doch ohne Gott wäre alles und jeder eine Nummer zu klein. So lernen wir gerade heute die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen besser verstehen.

Im Verzicht auf den Partner in der Ehe oder auf eine Exklusivbeziehung - mit wem auch immer, stattdessen durch die Pflege einer besonderen Freundschaft zu Gott wollen wir ein Zeichen setzen. Die Keuschheit will sagen: Es ist möglich, sich hinzugeben, ohne sich zu verlieren; aufeinander zuzugehen, um miteinander immer mehr in Gott hineinzuwachsen; des Vergänglichen sich so zu erfreuen, dass man zugleich schon mit dem Ewigen verbunden ist (vgl. Oration 17. Sonntag im Jahreskreis).

Noch eine dritte Versuchung wirft einen langen Schatten in unsere Zeit: die Sucht, ohne Rücksicht auf Verluste sich selbst zu verwirklichen. Gott hat den Menschen geschaffen "als sein Bild und Gleichnis" (vgl. Gen 1,26f.). Luzifer will ihn als Gegengott, der die Anbetung verweigert und sich selbst auf den Altar setzt. Gerade heute spüren wir fast täglich: Alles schöpferische Gestalten und jede Selbstverwirklichung – in Politik und Wirtschaft, aber auch in der Kirche – birgt die Gefahr der Eitelkeit, des Stolzes, ja der Rücksichtslosigkeit. Dagegen setzen Sie, liebe Ordensleute, den Geist des Gehorsams. Wo die Ellbogen regieren, da versuchen Sie zu umarmen. Während die Fäuste sich ballen zur Demonstration, zeigen Sie, dass es auch anders geht. Ihre Alternative sind die gefalteten Hände, die auf den hindeuten, an den Sie sich gebunden haben im Wissen darum, dass Seine Hände gute Hände sind. Gleichzeitig weiß ich um die Not des Gehorsams. Als Bischof wird diese Erfahrung zum Testfall. Wir alle könnten uns fragen: Wie verfügbar bin ich wirklich? Was sind die Worte von Ehrfurcht und Gehorsam wert, die wir bei der Profess den Oberinnen und Obern im Orden bzw. dem Bischof bei der Weihe zum Diakon und Priester versprechen?

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Kirche dankt Ihnen für das Zeugnis der evangelischen Räte. Auf diese Weise sind Sie eine lebendige Predigt des heutigen Festes der Darstellung des Herrn. Durch Armut, Keuschheit und Gehorsam präsentieren Sie Jesus selbst. Auf je eigene Weise sind Sie eine Praesentatio Domini, Darstellung des Herrn. 

Ich persönlich weiß, wie viel Licht ein Ordenschrist verbreiten kann. Kurz nachdem ich das Licht dieser Welt erblickte, mussten mich meine Eltern ins Josefinum bringen. Es war eine Sternschwester, die mich – ein kleines schwerkrankes Baby – Tag und Nacht betreute und mir so den Weg auf dieser Erde mit gebahnt hat. Ordenschristen begleiten mich bis heute: Ich denke an die Jesuiten, bei denen ich meine theologische und geistliche Formung in Rom erhielt. Besonders erinnere ich mich an den Küchenbruder, der durch seine hintergründigen Bemerkungen unsere Schritte als Studenten kommentierte und auf diese Art wertvolle Hinweise gab. Mir kommen die Ordensfrauen in den Sinn, mit denen ich bis jetzt als Priester und Bischof zusammenarbeiten und verbunden sein darf. Dankbar bin ich den Schwestern, die ich auf Exerzitien begleitet habe, was stets ein fruchtbares geistliches Geben und Nehmen war: ein Zeichen geschwisterlicher Kirche.

Wie schon angedeutet, habe ich in meiner Ausbildung eine Dosis ignatianischer Spiritualität mitbekommen. Ein Schüler des Ignatius, der Jesuit Alfred Delp, kann uns für die Zukunft die Richtung weisen. Er, der an Lichtmess 1945 in Plötzensee erhängt wurde, leuchtet uns den Weg mit seinem Mut machenden Wort: "Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und Wahrheit in der Welt war, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt". Gott gebe es. Amen.

03.02.2021 - Gottesdienst