Predigt des ernannten Bischofs Bertram Meier, Apostolischer Administrator, am Ostermontag 2020

Redet miteinander! Ein geistlicher Rat aus dem Emmaus-Evangelium

Deutschland, Bayern, das Bistum Augsburg im Ausnahmezustand: Überall gilt derzeit ein Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei Personen. Ausnahmen sind Familien sowie Menschen, die in einem Haushalt leben. Wer sich nicht daran hält, muss mit Bußgeld rechnen.

So gesehen, ist das heutige Evangelium von den Emmausjüngern geradezu für uns geschrieben. Bevor wir daraus einen Impuls ziehen, schauen wir uns noch näher das Ziel des Weges an, zu dem sich die beiden Männer aufgemacht haben.  

Immer wieder hat es Versuche gegeben, das Rätsel um den Ort Emmaus archäologisch und geographisch zu lüften, indem man eine konkrete historische Stelle suchte, die – wie Lukas verrät – sechzig Stadien, also ungefähr elf Kilometer von Jerusalem entfernt liegt. Außer einer Reihe von mehr oder weniger sicheren Hypothesen hat dieser Versuch bislang kein Ergebnis gebracht. Auf dem Weg der Forschung lässt also wohl wenig ermitteln. Doch es gibt noch eine andere Weise, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Einen Hinweis dafür liefert uns der Name Emmaus selbst. Nomen est omen, sagen wir, und das trifft auch auf Emmaus zu. Der Herkunft nach ist der Ortsname Emmaus wohl vom hebräischen Verb „hamam“ abgeleitet, was so viel wie „warm werden“ bedeutet. Emmaus könnte dann etwas zu tun haben mit warmen Quellen. Wir Menschen mögen warme Quellen. Wir sind von den Geysiren auf Island ebenso fasziniert wie manche von uns sich fast magisch angezogen fühlen zu den Thermalquellen, die auf wundersame Weise viel wärmer sind als das sie umgebende Grundwasser. Oder denken wir nur an unsere Schwimmbäder: Einen besseren Ort für Entspannung als Thermalbecken können wir uns kaum vorstellen. Dort fühlen wir uns wohl: Wellnessoase. Dort geht es uns gut. Dort können wir die Seele baumeln lassen; alles Unliebsame und Belastende fällt von uns ab. Die Flucht aus dem Alltag, aus der Anspannung und dem Stress kennt wohl keinen passenderen Ort. Und eine solche Kuroase suchten die Jünger in Emmaus, um herunterzufahren aus ihrem Stress, den sie mit Jesus hatten, mit seinem Leiden und mit seinem kläglichen Tod am Kreuz.

Elf Kilometer von Jerusalem nach Emmaus: Mindestens zwei Stunden Gehzeit zu Fuß, wenn man flott ist, muss man rechnen. Und den Jüngern vergeht diese Zeit wie im Flug. Der unbekannte Weggefährte klärt die beiden Männer auf. Anhand von Weissagungen des Alten Testamentes erklärt er ihnen, dass es zur Kreuzigung, aber auch zur Auferstehung ihres Freundes und Herrn kommen musste. Noch bevor sie den Kurort Emmaus erreichen - das Ziel für das Aufatmen von Leib und Seele, wo die warmen Quellen fließen – wird es ihnen warm ums Herz, fängt ihr Herz zu brennen an. Diese Feststellung soll alles sein, was ich Ihnen aus der Emmausgeschichte heute als Deutung mitgebe. Die Erzählung ist so reich, dass allein über sie schon ganze Doktorarbeiten entstanden sind. Aber für heute soll das reichen. Denn mit diesem Gedanken scheint das Evangelium wirklich für uns in die derzeitige Situation hineingeschrieben. Es stellt Fragen:

Trauen wir es uns zu, zwei Stunden lang mit einem Wegbegleiter, ja mit einem/r Lebensgefährten/in über Glaubensfragen zu sprechen? Habe ich wirklich jemanden, mit dem ich mich auch über religiöse Dinge unterhalten kann? Oder ehrlich gesagt, müssen wir zugeben: Unsere bevorzugten Themen sind mehr das Wetter, Politik und Wirtschaft, Reisen und Hobbys. Andere reden gern über den Fußball, die Automarke, die neueste Mode, das beste Konzert, schlechte und gute Kollegen und Nachbarn; bei uns in der Kirche sind auch Mitbrüder und Mitschwestern ein Lieblingsthema - vor allem wenn die Betroffenen nicht da sind, über die man aber gern redet und das nicht immer gut. Viele dieser Themen gehen zurzeit gar nicht, denn der Fußball macht Pause, viele Geschäfte sind zu, Reisen werden storniert, Kulturevents abgesagt, die lieben Kollegen machen homeoffice und in der Politik und Wirtschaft scheint es – in allen Nachrichtensendungen und Talkshows – nur ein Thema zu geben: Corona. 

Deshalb mein Vorschlag aus der Emmausgeschichte: Wäre es nicht eine Idee, diese Zeit zu nutzen, um in unseren Gesprächen wieder wesentlicher zu werden, um einander noch tiefer und wohlwollender kennen und schätzen zu lernen, um auch Jesus neu auf die Spur zu kommen? Ehepartner, Geschwister, Freunde sind für mich heute die Emmausjünger, die miteinander durchs Leben gehen. Deshalb mein Tipp: Wenn auch vieles an diesem Ostermontag nicht geht, ein Emmausspaziergang ist erlaubt – zu zweit oder als Familie, immer mit dem gebührenden Abstand, aber das macht nichts. Denn dazwischen - in der räumlichen Distanz -  läuft ein unsichtbarer Weggefährte mit: Jesus, der Auferstandene, der uns begleitet auch in dieser delikaten Zeit. Ihn bitten wir: Bleib bei uns, damit wir mit dir gehen ein Leben lang! 

14.04.2020 - Bistum Augsburg