Es steht sogar im Duden und definiert sich dort als „mit dem Klöppel läuten“: Beiern. Im nordrhein-westfälischen Arnoldsweiler hatte das Beiern eine lange Tradition, bevor es vorläufig ausstarb und durch die Corona-Krise von drei jungen Christen aufs Neue entdeckt wurde. Seitdem wird an hohen Festtagen vom Glockenturm der neuromanischen Kirche Groß St. Arnold wieder gebeiert – so wie an diesem Sonntag.
Die drei schreckt nichts ab. Weder die Spinnweben an der Wendeltreppe, die bei der sogenannten Geräte-Sakristei beginnt, noch die finalen Aufstiegspassagen auf zwei wackligen Leitern. Weder ein Vogelkadaver, der in einer Ecke liegt, noch der Wind, der in 30 Metern Höhe durch die Ritzen des Glockenturms der Kirche Groß St. Arnold pfeift.
Dort stehen sie auf dem Holzbretterboden im Neonlicht und haben andere Töne im Sinn: Sie wollen beiern. Die drei sind Freunde seit Kindergarten- und Schulzeiten: Stadtplaner Kilian Inden, Medizinstudent Felix Hoffmann und Polizist Etienne Voßen, der zum Ortstermin mit unserer Zeitung gerade vom Nachtdienst kommt – alle Mitte 20.
Die drei stammen aus Arnoldsweiler im Kreis Düren, wo seit dem Mittelalter der heilige Arnold verehrt wird. Laut Überlieferung war er als Harfenspieler und Sänger am Hof Karls des Großen tätig, setzte sich für die Armen ein und verstarb um 843. Er ist der Namensgeber des Ortes mit gut 3000 Einwohnern.
Initiator der Neubelebung der alten Tradition ist Kilian Inden, der von Vater Karl-Heinz und Oma Margret wusste, dass in seinem Heimatort früher gebeiert wurde. Beiern, klärt er auf, „ist das Anschlagen der Glocken in bestimmten Rhythmen und Melodien mit dem Klöppel.“ Er weiß: „Das Beiern hat in Arnoldsweiler eine jahrhundertelange Tradition und ist in ganz Nordwestdeutschland verbreitet.“ Es gelte als Vorläufer des Glockenspiels.
Gedenktag am 18. Juli
Anlass zum Beiern geben Patronatsfeste und hohe Feiertage: Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Weihnachten. Die Idee kam im vergangenen Corona-Jahr, um die Arnoldusoktav im Sommer ein- und auszuläuten, besser gesagt: ein- und auszubeiern. Die Oktav hängt am Gedenktag des heiligen Arnold am 18. Juli. Zum Auftakt und am Ende erklang buchstäblich Freude – statt der coronabedingt abgesagten Prozession: etwas Ausgefallenes für das Ausgefallene, wenn man so will.
Inden kostete es keine Mühe, seine Freunde zu begeistern. „Bis dahin kannten wir Beiern selber nicht“, räumt Etienne Voßen freimütig ein. Kundig machten sie sich mit Videos auf Youtube. Zur „Bestandsaufnahme“, sagt Inden, gingen sie „einen Abend auf den Turm“, wo Arnoldsweilers letzter Beierer Matthias Esser seine funktionstüchtigen Vorrichtungen hinterlassen hatte.
„So schwer kann das nicht sein“, befand Kilian Inden vor der Wiederaufnahme des Beierns, ein ungewöhnliches Wort, das sich aus einem altfranzösischen Verb für „Anschlagen“ ableiten soll. Wer beiert, sollte ein musikalisches Grundverständnis mitbringen. Das steckt in den dreien drin. Inden hat Keyboard und Orgel gelernt, Hoffmann Schlagzeug und Klavier, Voßen ebenfalls Keyboard.