Wegkreuze und Bildstöcke

Sie verheißen Schutz und Segen

Es gibt sie in jeder Region in großer Zahl – und doch übersieht man sie oft. Wegkreuze und Bildstöcke sind kleine Kunstwerke, die zum Innehalten einladen, Trost spenden, Schutz und Segen verheißen. Mal haben sie Jahrhunderte überdauert, mal sind sie jüngeren Datums. Mal haben sie sich an ihrem Ursprungsplatz erhalten, mal sind sie vor Verwitterung gerettet und umfassend renoviert worden. 

Die ausdrucksstarken Miniaturen sind Zeugnisse des Glaubens und der Volksfrömmigkeit. Gewöhnlich sind sie aus Stein, Holz oder Eisen gefertigt. Ebenso kommen Zink und Bronze vor. Sie können versteckt im Wald oder einsam an Wiesen- und Feldrändern liegen. Oder in Dörfern vor gewöhnlichen Häusern, in Städten an vielbefahrenen Straßen. 

Um die christlichen Kleindenkmäler (neu) zu entdecken und zu verinnerlichen, muss man Blick und Instinkt schärfen. Das gilt für die eigene Heimat wie für das Unterwegssein in der Fremde. Auch in Ländern wie Österreich, Frankreich oder Spanien stößt man vielerorts auf Wegkreuze, an Pilgerrouten wie dem Jakobsweg sowieso. 

In Bayern sind sie als „Marterl“ bekannt, im Main-Spessart-Raum hört man mitunter den Begriff „Hellchen“, je nach Gegend ist der Terminus „Bildstöckel“ verbreitet. Dargestellt ist oft der Gekreuzigte, aber auch Maria mit dem Kind oder die Mater Dolorosa. Andere Heilige sind in der Minderheit. 

Christus und die Gottesmutter können an derselben Säule als Kleinskulpturen übereinander angeordnet sein und – im Fall von Metallarbeiten – silbern oder golden glänzen. Farblich nehmen sie sich zurück, wenn die Figuren von Bildhauern geschnitzt oder fein aus Buntsandstein gearbeitet sind. Dann ist die Wirkung fast noch intensiver. 

Impuls oder Bibelzitat

Nischen mit wertvollen Reliefs, Gemälden oder polychromierten Bildwerken können durch Gitter verschlossen sein. Oder es gibt einen schützenden Überbau. Eingraviert in die Sockel von Wegekreuzen finden sich manchmal die Jahreszahl der Fertigung, ein Kurzgebet, eine Bitte, ein Dank, ein Segenswunsch, ein Bibelzitat, ein Impuls. 

„Lernet, sehet, ob ein Schmerz den seinigen gleiche“ ist so ein Anstoß, der sich im nordrhein-westfälischen Düren an die Betrachter des Gekreuzigten richtet, der darüber seinen Schatten an eine Hauswand wirft. Einfachere Varianten lauten „Gelobt sei Jesus Christus, gegrüßet seist du, Maria“, „Heilige Maria, bitt’ für uns“, „Im Kreuz allein ist Heil“ oder „Erbarmet euch unser“. 

Spezifischer wird es auf angebrachten Schildern, belegt ein Beispiel nahe Nabburg in der Oberpfalz: „Gott segne unsere Fluren und schütze sie vor Hagel, Frost und Dürre.“ Erhalten hat sich mitunter ein altertümliches Deutsch, wenn ein Kreuz aus dem 17. Jahrhundert stammt: „Christen, bethet den Heiland an, er ist glorreich auferstanden.“

Verewigt sieht man gelegentlich die Namen der Stifter: klein und bescheiden an einer Seite oder prominenter auf dem Sockel. In Einzelfällen haben die Geldgeber mit der Größe des Schriftzugs allzu dick aufgetragen, um gleichsam auch sich selbst ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen. Das kann dann auch mal ziemlich aufdringlich wirken.

„Das Leben der Menschen wird begleitet von Kreuzen; seien es Straßenkreuzungen, Fensterkreuze, Schmuckkreuze, Wegkreuze oder Durchkreuzungen des Lebens“, schreibt die Trauerhilfe Düren. „Das Kreuz schlechthin ist von seinem Ursprung her ein Symbol des schändlichen Todes. Aber gerade durch den Tod Jesu wurde dem Kreuz die Schande genommen, und es wurde zum Zeichen des Sieges über den Tod und zum Erkennungszeichen aller Christen.“

Freude und Zuspruch

Wegkreuze verheißen Freude, Stärkung, Zuspruch, Gnade, Barmherzigkeit. Sie erinnern an das Erlösungswerk Christi und geben Hilfe bei der Orientierung – und das nicht nur geografisch. Steht im Grünen ein Bänkchen daneben, setzt man sich gerne hin und verweilt länger. Wer alleine kommt und sich auf die Stimmung einlässt, fühlt sich auf seltsame Art behütet. 

Eine innere Zwiesprache setzt ein, die Gedanken über den eigenen Lebensweg kommen in Gang, Fragen tauchen auf. Sind alle Strecken und Abzweigungen richtig gewesen, die man bislang genommen hat? Überwiegt das Positive? Wie hätte man Sorgen, Lasten, Enttäuschungen verhindern können? Würde man denselben Weg wieder einschlagen? Wo trägt er in Zukunft hin? 

Hat man alles selbst in der Hand, um die Richtung zu bestimmen? Oder wird man von unsichtbaren Fäden gelenkt, die eine höhere In­stanz in Händen hält? Und wie wird es an der nächsten Weggabelung aussehen: Nehme ich die flache, die bequeme Route geradeaus über Asphalt aufs nächste Dorf zu oder lieber den schmalen, beschwerlichen Waldpfad bergauf?

Wegekreuze sind „Denk-Male“ im Wortsinn. Sie geben Halt, ermutigen zur Andacht, lassen an liebgewonnene Menschen denken, an Verstorbene. Sie machen empfänglich, um Dasein und Glauben zu reflektieren, das Gestern, Heute und Morgen. Falls auf dem Bildstock, wie vielfach üblich, der vollplastische Gekreuzigte zugegen ist, fühlt man sich zu einer Wegekreuzmeditation eingeladen. Wenn Christus reden könnte: Wozu würde er raten? 

Nicht scheuen darf man sich davor, die Details aus nächster Nähe zu betrachten: die Nägel in Füßen und Händen, die Faltenwürfe des Lendentuchs, die Wundmale, die Rippen, die Dornenkrone, die Augen, der Neigungswinkel des Kopfes. Überwiegt beim Ausdruck der Schmerz? Oder sind auch Hoffnung und Freude erkennbar? 

Und wie sieht es am Sockel aus? Gibt es Risse, Kanten und Unebenheiten, so wie im menschlichen Schicksal und Charakter? Strahlt der Stein des Tages gespeicherte Sonnenwärme ab oder ist er kühl und feucht? Trägt er einen Überzug aus Moos und Flechten? Wirft das Kreuz einen Schatten über Sträucher, Halme, Brennnesseln? 

Welchen Klang, welchen Duft nimmt man in diesen Momenten aus dem Hintergrund wahr? Das kann Vogelgezwitscher sein oder der Wind, der durch Gräser und Bäume fährt. Vielleicht nähert sich irgendwer, ein Spaziergänger, ein Reiter, ein Jogger. Oder Motorengeräusche verraten die Nähe zu dem, was man gemeinhin Zivilisation nennt.

Gedenken an Epidemien

Wegkreuze sind Flurdenkmale im öffentlichen Raum. Bei der Errichtung waren die unterschiedlichsten Gründe entscheidend. Es konnten schlichte Wegmarkierungen sein, Prozessionskreuze oder „Pestkreuze“ im Gedenken an Epidemien. Ebensogut können sie Erinnerungen an Unglücksfälle oder Verstorbene wachhalten. Oder sie stehen für ein eingelöstes Gelübde.

Die Pflege der kleinen Anlage erfolgt oft durch Nachbarn oder kleine Gemeinschaften. Frühere Besucher haben mitunter eine Kerze oder ein Pflanzengebinde hinterlassen: stille Zeichen, die Gleichgesinnte beim Halt an Wegekreuzen miteinander verbinden.

Andreas Drouve