An einem Samstag in der Altstadt von Jerusalem. Zwischen 17 und 18 Uhr werden fünf US-Amerikanerinnen Teil einer jahrhundertealten Tradition. Marina, eine der fünf, hat bei Wassim Razzouk einen Termin vereinbart. Die jungen Frauen, die zwei irakischstämmigen Familien angehören, lassen sich vom Meister tätowieren.
Basma, die Älteste der Fünfergruppe, ist schon fertig und lächelt selig. Ist mit der Reise nach Jerusalem schon ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, so ist dieser nun auf ihrem Arm buchstäblich schwarz auf weiß verewigt. Die chaldäische Christin lebt seit 40 Jahren in den Vereinigten Staaten. „Ich bin sehr glücklich, hier zu sein“, erzählt sie.
Schlichtes kleines Kreuz
Als letzte der fünf sitzt ihre Tochter Nora auf dem Tätowierstuhl. Die Mittzwanzigerin hat sich für ein schlichtes kleines Kreuz entschieden, daneben die Jahreszahl der Pilgerreise. Im Hintergrund läuft sanfte westliche Pop-Musik, als Wassim Razzouk die Tätowiermaschine anstellt. Der Motorradfahrer trägt ein Harley-Davidson-T-Shirt, das den Blick auf die christlichen Symbole seines linken Armes freigibt.
Wie eine lebende Litfass-Säule wirbt er so für seinen Broterwerb. Dass der für Araber in der Heiligen Stadt mühsam ist, dokumentiert die Bürgerrechtsbewegung ACRI seit fast 50 Jahren. 72 Prozent aller palästinensischen Familien in Jerusalem leben ihr zufolge unterhalb der Armutsgrenze, verglichen mit 26 Prozent auf jüdischer Seite. Wassim Razzouk dürfte zu den besserverdienenden Palästinensern gehören.
Seit 700 Jahren im Geschäft
Nach etwa zehn Minuten erhebt sich Nora. Die Amerikanerinnen zahlen und verlassen dankend den winzigen Laden, der gerade mal drei auf drei Meter misst. Der 46-Jährige Tintenkünstler, Vater dreier Kinder, hat vollzogen, was seine Familie seit 27 Generationen praktiziert. „Wir sind seit 700 Jahren im Geschäft, erst 200 Jahre in Ägypten und seit 500 Jahren in Jerusalem“, sagt er. In seinen Worten merkt man ihm den Stolz an.
Wassim Razzouk versteht sich als Glied einer langen Kette: „Es ist die Fortsetzung einer Tradition, deshalb ist es bedeutsam und eine große Tradition“, sagt er über sein Handwerk. Schon vor Jahrhunderten haben sich Pilger, als Beweis ihrer Anreise und als Erinnerung, ein Tattoo stechen lassen. „Es muss in Jerusalem gemacht werden“, sagt der Nadelkünstler selbstbewusst.
Die Corona-Krise hat seine Arbeit stark eingeschränkt. Pilger aus dem Ausland blieben aus. Der harte Lockdown im Heiligen Land machte ein Arbeiten weitestgehend unmöglich. Erst in den Wochen vor Ostern, mit Fortschreiten der israelischen Impfkampagne gegen das Coronavirus, entspannte sich die Lage ein wenig.