Peter-und-Paul-Fest in Bretten

Dem Sieg ein Denkmal gesetzt

Einmal im Jahr verwandelt sich Bretten, gut 20 Kilometer östlich von Karlsruhe, in einen spätmittelalterlichen Marktflecken. Beim traditionellen Peter-und-Paul-Fest, das stets um den Gedenktag der beiden Heiligen Tausende Schaulustige aus nah und fern anzieht, erinnert die Kraichgaustadt an die Belagerung durch württembergische Truppen im Jahr 1504. Ein großer Umzug ist Höhepunkt des Historienspiels, das zum immateriellen Kultur­erbe Deutschlands gehört.

Schier endlos scheint das Heer der Waffenträger. Mit meterlangen Spießen ziehen die Landsknechte über den Marktplatz. Farbenfroh wie spätgotische Fresken sind ihre Gewänder, blitzblank die Hellebarden, mit denen sie aufmarschieren. In Kettenhemden sind einige unterwegs, mit eisernen Handschuhen auch. Es ist ein martialischer Haufen, bunt zusammengewürfelt und beseelt vom Willen zum Überleben. 

Ganz so wie ihre Ahnen, die sich 1504 einem übermächtigen Feind gegenüber sahen: mehr als 20 000 Mann im Dienst des württembergischen Herzogs Ulrich stehende Soldaten. Sie hatten sich damals im Rahmen des bayrisch-pfälzischen Erbfolgekriegs – auch als Landshuter Erbfolgekrieg bekannt – die Eroberung Brettens zum Ziel gesetzt.

Hoch oben auf seinem Brunnendenkmal nimmt ein steinerner Mops die historische Parade ab. Als „Brettener Hundle“ ist er weit über die Stadtgrenzen bekannt. Eine Sage schreibt ihm die Rolle zu, die Belagerten damals errettet zu haben. Mit ihren letzten Vorräten hätten sie den kleinen Hund gemästet und schließlich rund und fett vor die Stadtmauern geschickt.

 Die Kriegslist ging auf: Angesichts des vollgefressenen Mopses glaubten die Angreifer, Brettens Bürger hätten noch genug zu essen und zu trinken. Mutlos zogen die Belagerer ab – nicht ohne dem armen Hund den Schwanz abzuhacken. Zumindest eine Trophäe wollten die Württemberger vom Kriegszug mitbringen. Was an der Geschichte wahr ist, kann man auch in Brettens Stadtarchiv nicht klären. Alle Akten aus dieser Zeit nämlich existieren nicht mehr. 

Meuternde Landsknechte

Und noch eine zweite Erzählung belebt das Fest: die von den meuternden Landsknechten im Dienst der Kurpfalz. Sie drohten, zum Feind überzulaufen, wenn man ihnen den rückständigen Sold nicht schnell zahle. Weil Geld aber knapp war, stockte Brettens Wirtschafts­elite den Soldatenlohn mit Naturalien auf. Die Zahlung belebte den Kampfgeist der Truppen: Früh morgens überraschten sie die Württemberger mit einem Gegenangriff. Bald darauf gaben diese auf.

„A scheens Fescht“ wünschen sich die Brettener so heute einmal jährlich in Erinnerung an diese Zeiten. Samstagabends rufen sie die Belagerung beim waffenstrotzenden Spiel um den Simmelturm wieder ins Gedächtnis. Zug um Zug verwandelt sich Bürgerstolz in Lebensfreude. Und wie anno dazumal als Amtsschultheiß historisch gewandet, vereint der amtierende Bürgermeister beim großen Festzug am Sonntagmittag die Scharen. 

Mit der Stadtfahne in der Hand, geprägt von den blau-weißen Rauten der Wittelsbacher, die den Ton in der damals rund 2000 Einwohner zählenden Stadt angaben, ehe Bretten badisch wurde, führt ein Reiter die Festgesellschaft an. Immer wieder erschallt der Schlachtruf: „Juu-bel! Juu-bel! Juu-bel!“ Es ist ein Dreiklang, der alle vereint – wie die Kölner ihr Alaaf im Karneval.

Rund 50 historische Gruppen sind es inzwischen, die der Spaß am Mittelalter eint. Stolz trägt ein bunter Haufen seine Hellebarden – ganz so wie die Schweizergardisten im Vatikan. Martialisch sind die eisernen Arme mancher Krieger, die metallenen Helme, die vielen neuen Waffen, die damals in Mode kamen, als der Krieg zum Alltag gehörte. Huren und Marketenderinnen gehören zum soldatischen Gefolge, ebenso ein paar Feldschere, welche die Verletzten zu versorgen hatten. 

In Samt und Seide zeigen sich die reichen Stadtbürger, adlige Herren und edle Frauen. Ins Auge fallen auch die vielen Bauern und barfüßigen Schäfer. Mit Pferden und Hunden sind sie ausgezogen – und einem großen Karren, auf dem sich Radieschen, Zwiebeln, Äpfel, Lauch, Kohl und Karotten türmen. Da überrascht es nicht, dass manchem Betrachter so langsam das Wasser im Mund zusammenläuft. 

Höchste Zeit also, in die Feldlager der Gruppen zu ziehen. In die Zeltstädte, wo Wurst und Fleisch auf dem Grill reifen und sich Spanferkel gleich stundenlang am Spieß drehen. Über einem Feuer hantiert ein Schmied. Am Webstuhl tauschen Frauen ihr Fachwissen aus. „Wenn die Fürze sitzen quer“, hat ein Medicus seine Knoblauchzehen ausgeschildert, „und der Magen plagt dich sehr, haben wir Ansätze, die wirst du lieben. Denn sie geben den ersehnten Frieden.“ 

Buntes Lagerleben umgibt auch die beiden wichtigsten Kirchen der Stadt. Die Kreuzkirche mit ihren biblischen Bildern auf den Brüstungen der Empore – und die ebenfalls jahrhundertealte Stiftskirche. Brettens Bürger halten sie für die Taufkirche des hier aufgewachsenen Philipp Melanchthon, des wortgewaltigen Bildungsreformers an Martin Luthers Seite. Ihm zu Ehren haben sie ein Denkmal vor die Kirche gestellt, das an den Festtagen Gaukler und Komödianten umlagern – fahrendes Volk, das die Massen auch spät abends noch bei Laune hält. 

Das Fest stiftet Identität

Brettens Peter-und-Paul-Fest gehört seit 2014, seit fünf Jahren, zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands: nicht nur – wie es in der Würdigung der Deutschen Unesco-Kommission heißt – weil es sich an „historischen Begebenheiten und Traditionen“ der Stadtgeschichte orientiert, sondern vor allem, weil es „für die Menschen der Region identitätsstiftend und von großer Integrationskraft für alle Bevölkerungsgruppen“ ist. So vereinen Umzug und Lagerleben nicht nur Alt und Jung, sondern auch Einheimische und Fremde. 

Seit 1950 richtet die „Vereinigung Alt Brettheim“ in Zusammenarbeit mit der Stadt das Fest aus, das seitdem ständig neue Gruppen bereichert haben. So erwuchs aus der Deutschen Pfadfinderschaft die erste Landsknechtgruppe, die ihre Waffen und Gewänder noch dem Karls­ruher Theaterfundus entlieh. 1959 tauchten die ersten Langspieß-Träger in Bretten auf, errichtete man erstmals ein Lager, aus dem inzwischen eine ganze Zeltstadt geworden ist. 

Kulinarischer Treff ist die große Garküche, in der Holzbackofen, Drehspieß, große Pfannen und Wurstkessel stehen. Samstagabends verteilen die Garköche eine kostenlose Suppe – zum Dank, dass Bretten die Belagerung von 1504 überstanden hat. Die Lust, altes Handwerk zu pflegen, mittelalterlichen Sport wie das Bruchenballspiel zu beleben oder alte Tänze und Melodien wie gregorianische Choräle oder Volksweisen aufzuführen, bringt immer wieder neue Gruppen hervor. 

Fiedel und Schalmei, Krummhorn und Sackpfeife begleiten Jongleure und Feuerschlucker. Ganz dem Zeitgeschmack geschuldet ist der mitternächtliche Pestzug, eine der letzten Festneuerungen. Quacksalber schneiden da zum allgemeinen Gaudium Pestbeulen oder amputieren ganze Gliedmaßen. Zur Faszination des Mittelalters hat sich längst auch der Grusel gesellt.

Günter Schenk