30 Jahre nach dem Mauerfall

„Den Bonzen ging es allein um die Macht“

30 Jahre liegt der Mauerfall mittlerweile zurück, der Anfang vom Ende des „real-existierenden Sozialismus“ im Osten Deutschlands. Lange her also. So lange, dass manch einer schon wieder beginnt, die SED-Diktatur zu verklären. Kein Unrechtsstaat sei die DDR gewesen, hört man von Linken und Grünen. Alles also gar nicht so schlimm? Bürgerrechtler wie Freya Klier widersprechen.

Ein sonniger, milder Samstag im 30. Jahr nach der historischen Wende. Der Himmel ist in gnädiges Blau getaucht. Freya Klier steht vor den Stufen des sächsischen Landtags. Im Nebengebäude residierte bis Dezember 1989 die Dresdner Bezirksverwaltung der SED, ein schmuckloser Betonklotz, der so abstoßend wirkt wie die menschenverachtende Ideologie des Kommunismus. In Sichtweite fließt friedlich die Elbe, und am anderen Ufer steht das Japanische Palais, das alljährlich Scharen von Touristen anlockt. 

Klier engagierte sich seit ihrer Jugend gegen die Diktatur

Klier, Tochter eines Dissidenten, der als junger Mann wegen einer Lappalie mehr als ein Jahr in DDR-Haft saß, hat sich seit ihrer Jugend gegen die Diktatur engagiert und gleichzeitig Erfolge als Theaterregisseurin gefeiert. 1984 gewann sie für die Inszenierung eines Stücks von Ulrich Plenzdorf den DDR-Regiepreis. Selbst die allmächtige Stasi konnte das nicht verhindern, bemerkt Klier nicht ohne Stolz. 

Die Theaterszene sei im Osten ein relativ geschützter Raum gewesen, sagt sie. Das habe Menschen angezogen, die glaubten, dort auf Gleichgesinnte zu treffen, auch wenn ihre Hoffnungen oft missbraucht wurden. Bundesweite Schlagzeilen machte nach der Wende der Fall des Sascha Anderson, den die Staatssicherheit auf die alternative Kulturszene am Prenzlauer Berg angesetzt hatte.

Klier ist gebürtige Dresdnerin. Bis heute lebt in der Elbmetropole ihre hochbetagte Mutter, die sie regelmäßig besucht, immer wenn es der prallgefüllte Terminkalender erlaubt. Sie selbst lebt im Berliner Stadtteil Steglitz. Ihre 1973 geborene Tochter ist die Berliner Fotografin Nadja Klier, die mit dem Kameramann Kolja Brandt („Colonia Dig-nidad“) einen zehnjährigen Sohn hat. 

Gefragte Zeitzeugin, die offen anprangert

Freya Klier ist gut beschäftigt, sagt sie. Sie schreibt Bücher, dreht Dokumentarfilme und spricht auf Symposien und in Schulen, die sie einladen, um das zu hören, was sie zu sagen hat. Die 69-Jährige ist eine gefragte Zeitzeugin, die authentisch aus dem Innern der Diktatur berichtet, eine, die im Gegensatz zu vielen anderen kein Blatt vor den Mund nimmt und die Willkür und Selbstherrlichkeit der SED-Funktionäre und ihrer Handlanger offen anprangert.

Bundesweit bekannt wurde Klier im Herbst 1989. Da war sie, quasi über Nacht, eines der Gesichter der sich anbahnenden Revolution – neben Stephan Krawczyk, Ulrike Poppe und einigen anderen, darunter dem Pfarrer und letzten DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, die das kollektive Erinnern an den Zusammenbruch der SED-Diktatur geprägt haben. 

„Den Funktionären, Bonzen und Systemlakaien ging es allein um die Macht, um das Gefühl, andere Menschen mit größeren und kleineren Schikanen ihre Ohnmacht spüren zu lassen“, ist Klier überzeugt. An das, was die Genossen als „Sozialismus“ bezeichneten, habe spätestens ab Mitte der 1970er Jahre keiner mehr geglaubt, sagt Klier. Aus ihrem Mund klingt das, als wäre die Bedrohung durch die Staatssicherheit noch immer da. 

Sehr kritisch sieht die ehemalige Bürgerrechtlerin den Linkenpolitiker und Rechtsanwalt Gregor Gysi, dem Medienvertreter wiederholt unterstellten, Mandanten verraten zu haben. Er bestreitet das bis heute. „Herr Gysi erträgt es nicht, wenn man ihm die Wahrheit auf den Kopf zusagt“, meint Klier. Wiederholt ist sie bei Podiumsdiskussionen kurzfristig ausgeladen worden, weil entweder die Veranstalter oder Gysi persönlich den offenen Schlagabtausch fürchteten.

Naiver Umgang mit Gysi

Wie sehr Gysi in den SED-Macht-apparat verwickelt war, hat der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestags 1998 ausführlich beschrieben und aktenkundig gemacht. „Viele, die ihn anhimmeln, wissen gar nicht, mit wem sie es da in Wirklichkeit zu tun haben“, kritisiert Klier den teils naiven Umgang mit dem ehemaligen Berliner Wirtschaftssenator.

Drei Jahrzehnte sind seit dem Untergang der DDR vergangen. Die früheren Dienststellen der Diktatur, Gefängnisse, Verwahranstalten und Amtssitze, fungieren heute als Mahnmale gegen Ausgrenzung, Gewalt und Intoleranz. Nur unzureichend vermitteln können sie die Tatsache, dass es nicht viel brauchte, um in der DDR ins Visier der Mächtigen zu geraten.

Im Jugendknast war man schnell

„Ein paar flapsige Bemerkungen auf dem Schulhof, bunte Haare und laute Musik genügten, um als ‚asozial‘ und ‚Rowdy‘ gebrandmarkt zu werden“,  beschreibt Freya Klier das gesellschaftspolitische Klima in Ostdeutschland Mitte der 1980er Jahre.  Aufsässige Jugendliche landeten oft in den berüchtigten Jugendwerkhöfen. Die unterstanden zwar dem DDR-Bildungsministerium, waren aber knastähnlich organisiert.

Zweimal saß Klier in der DDR im Gefängnis: zum ersten Mal als 18-Jährige, weil ihr die Flucht über die Ostsee misslungen war, und dann noch einmal im Januar 1988, als sie und ein paar Mitstreiter die SED-Riege um Erich Honecker mit dem bekannten Rosa-Luxemburg-Zitat „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden“ aus der Reserve und westliche Medienvertreter auf ihre Seite gelockt hatten.

Eine echte Opposition

„Die Meldung von Kliers Festnahme ging damals durch die Weltpresse“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. Als Klier und Krawczyk nach ihrer Abschiebung auf einer Pressekonferenz am 3. Februar 1988 in Bielefeld gar die Rückkehr in die DDR forderten, war das bis Paris, London und Washington zu hören. Endlich, so schien es, gab es im Osten Deutschlands eine echte, wenn auch noch überschaubare Oppositionsbewegung – mit Köpfen, Ideen und Forderungen.

Was danach kam, ist längst Geschichte und in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erzählt worden. Die „Nachwende-Zeit“, wie Historiker sie bezeichnen, hält bis heute an. Und doch haben die Jahre des Umbruchs auch ihren Tribut gefordert. Kliers Ehe mit Stephan Krawczyk wurde 1992 geschieden. 

Das war drei Jahre, nachdem die Ostdeutschen die realsozialistische Führungsriege um Honecker und Egon Krenz davongejagt hatten. Den einen, den langjährigen Staatsratsvorsitzenden, nach Chile, wo er fünf Jahre später starb. Den anderen, seinen kurzzeitigen Nachfolger, in die Justizvollzugsanstalten Plötzensee und Hakenfelde. Dort saß er wegen der Mauertoten mehrere Jahre ein, bevor er sich auf seinen Landsitz an der Ostsee zurückzog. 

Seine Strafe hält den heute 82-jährigen Krenz nicht davon ab, den Menschen in kleineren und größeren Runden die angeblichen Vorzüge eines – mehrheitlich nicht gewollten – sozialistischen Staates zu erklären. Ganz im Gegensatz zu Freya Klier, die derlei Verklärung der Vergangenheit entschieden entgegentritt.

Benedikt Vallendar

09.11.2019 - DDR , Deutschland