Weihnachten in Georgien

Der 7. Januar vereint die Familie

TSCHIATURA – Georgien ist immer noch sehr vom georgisch-orthodoxen Glauben geprägt. Die Älteren leben ihn strikt, die Jüngeren weniger. Dennoch birgt die Religion Anziehungspunkte, die die Menschen vereint. Solche sind etwa der Katskhi-Felsen, der in 40 Metern Höhe ein winziges Kloster beherbergt, und natürlich die religiösen Feste – besonders Weihnachten. Das feiert man hier am 7. Januar.

Für Nino Kurtskhalia, Englischlehrerin aus Tschia­tura, einer kleinen Stadt im Westen Georgiens, sind die Besuche des nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Katskhi-Felsens etwas ganz Besonderes. Denn der knapp 40 Meter hohe, frei stehende Kalksteinfelsen beherbergt auf seinem rund zehn mal 15 Meter messenden Gipfelplateau eine kleine georgisch-ortho­doxe Klosteranlage. Diese umfasst eine 15 Quadratmeter große Kapelle, eine unterirdische Krypta und ein winziges Wohngebäude. 

Die Anlage entstand in ihrer ursprünglichen Form wohl zwischen dem siebten und zehnten Jahrhundert nach Christus. Wie damals lebt auch heute ein asketischer Mönch auf dem Gipfelplateau, um weltlichen Versuchungen zu widersagen. 

Der Einsiedler wird über einen Seilzug mit Wasser und Lebensmitteln versorgt. Weltliche Besucher dürfen nicht hinauf, Besucherinnen schon gar nicht. Nur anderen Mönchen ist es erlaubt, den Einsiedler zu kontaktieren. Zweimal in der Woche steigt er die lange eiserne Leiter herab und hält in der Kapelle am Fuß des Felsens, die dem Säulenheiligen Simeon geweiht ist, einen Gottesdienst. 

Giorgi Feradze kommt mit Freunden aus Tiflis, um ihnen diesen beeindruckenden Ort zu zeigen. Er ist ein sogenannter Weißer Vater. So nennt die georgisch-orthodoxe Kirche ihre Laienpriester, die heiraten und Familie haben dürfen. Feradze hat drei Kinder. Er arbeitet in einem Kloster in der Hauptstadt Tiflis. Damit gehört er zu jenen Männern, die den Felsen besteigen dürften. 

Heute verzichtet er zugunsten seiner Freunde auf den Besuch bei seinem Mitbruder oben. „Ich möchte ihnen lieber von unten die Höhepunke des orthodoxen klösterlichen Lebens zeigen. Die Kirche auf dem Plateau gehört zu meinen Lieblingsplätzen“, gesteht Feradze.

Für Kote Chankvetadze bedeutet es sehr viel, „Vater Giorgi“ an diesem heiligen Ort zu treffen. Er kommt aus dem kleinen Dorf Rupoti, das rund eine Stunde entfernt in der Nähe der Stadt Terjola liegt. Der 38-Jährige ist in der atheistischen Ära der Sowjets aufgewachsen. Doch in seinem Elternhaus war der Glaube immer da – auch wenn er heimlich gelebt werden musste. „Erst mit 17 Jahren konnte ich mich taufen lassen und damit offi­ziell Christ werden“, betont er. 

Religion als Identität

Jeden Sonntag und an allen Festtagen besucht er den Gottesdienst. Das sei für ihn sehr wichtig. An hohen Festtagen wie Weihnachten oder Ostern bleibt er die ganze Nacht in der Kirche. „Unsere Religion definiert unsere Persönlichkeit als Georgier. Wir nennen das unsere nationale Identität“, sagt der Schulbusfahrer. Seine Kinder wird der noch Unverheiratete einmal im Glauben erziehen. 

Religiöse Feste, vor allem das Christfest, sind auch für Kurtskhalia sehr wichtig. „Weihnachten feiern wir am 7. Januar“, sagt die Englisch­lehrerin. „Das Fest mag ich sehr, denn es bringt die Familien zusammen.“ 

Am Abend des 6. Januar gehen die georgischen Gläubigen ab Mitternacht in die Kirchen. „Dort verbringen wir die ganze Nacht, hören der Predigt und den Gesängen zu. Das möchte ich nicht missen, denn ich bin damit aufgewachsen.“ 

Nichts für Vegetarier

Am Morgen des Weihnachtstages kehren die Menschen in ihre Häuser zurück. „Sämtliche Familienmitglieder werden erwartet. Es gibt das traditionelle Essen Satsivi mit geröstetem Truthahn in Walnuss-Sauce, dazu Khachapuri, unsere beliebten Käse­fladen, und nach jahrhundertealten Rezepten hergestellten Wein.“ Auf dem Dorf werden die für Weihnachten gemästeten Schweine geschlachtet. Vegetarier oder Veganer sind am südlichen Kaukasus noch ziemlich unbekannt. 

Geschenke gibt es dagegen schon an Neujahr. Sie liegen unter dem dann aufgestellten Weihnachtsbaum. „Ich frage gerne nach den Wünschen meiner Lieben und richte die Präsente danach aus“, sagt die zweifache Mutter. In der Hauptsache stehen auf den georgischen Wunschlisten Kleidung, Bücher und Spielsachen. Genau wie Kote Chankvetadze oder Giorgi Feradze wird auch Nino Kurtskhalia am georgischen Weihnachtsfest mit ihrer Familie in die Kirche gehen, denn das gehört für fast alle Georgier dazu.

Sabine Ludwig