Selbstmord-Kult in Ostafrika

Der Pastor aus dem Totenwald

Bis vor kurzem war der Shakahola Forest selten betretenes Buschland – und kaum jemandem außerhalb Kenias bekannt. Das änderte sich schlagartig, als das Gebiet nahe der Küste über Nacht zum wohl gruseligsten Wald der Welt wurde. Heute liegt seine rote Erde zu Hügeln aufgeschüttet, hinter Polizeiabsperrband und mit Nummern markiert: In Massengräbern wurden hunderte tote Mitglieder einer Sekte gefunden – darunter viele Kinder. 

Der Fall des selbsternannten Pastors Paul Mackenzie sorgt weltweit für Schlagzeilen. Der Anführer der „Good News International Church“ muss sich jetzt in Kenia wegen „Terrorismus und Radikalisierung“ vor Gericht verantworten, weil er seine Anhänger zum Todesfasten aufgerufen haben soll. Ziel sei es gewesen, „Jesus zu begegnen“. Mehr als 200 Leichen wurden aus den Massengräbern geborgen, die Mackenzie rund um seine Kirche hatte graben lassen.

Genötigt und gezwungen

„Die Beweise deuten darauf hin, dass Kinder und Frauen zum Todesfasten genötigt oder gewaltsam gezwungen wurden“, sagt der kenianische Staatsanwalt Alex Jamii. Laut Autopsie seien einige zu Tode geprügelt oder erstickt worden. Offen ist weiter die Frage, ob die Gläubigen ihr Leben lassen mussten, weil man an ihre Organe kommen wollte. Während Gerichtsmediziner diese Theorie in Frage stellen, berichtet der Chefermittler von „fehlenden Organen bei einigen der Opfer“. 

Kenias Präsident William Ruto sieht in dem Sektenführer einen „schrecklichen Kriminellen“. Nachdem der Fall auch international für Medienberichte gesorgt hatte, rief er zum Kampf gegen „religiöse Extremisten, Sekten, Kulte“ auf. Eine Arbeitsgruppe aus katholischen, protestantischen und weiteren Kirchenvertretern soll nun mit Juristen eine Strategie entwerfen, mit der die Regierung den Glaubenssektor regulieren will. Das 14-köpfige Gremium hat ein halbes Jahr, um Gesetzesänderungen vorzuschlagen.

Von Religion im Stich gelassen

Zusätzlich wurde eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Familien, die einen oder mehrere Angehörige an den Sektenführer verloren haben, wollen Antworten. Immer noch gelten an die 600 Personen in Verbindung mit dem Kult als vermisst. „Die Geschehnisse von Shakahola werden aufgrund der staatlichen Untersuchungen und Polizeiermittlungen von außenstehenden Akteuren beherrscht. Das könnte einen gesunden Trauerprozess stören“, meint Psychologe Stephen Asatsa in der Hauptstadt Nairobi. Überhaupt habe der Vorfall die tiefgläubige Gesellschaft zum Zweifeln gebracht: Die Menschen fühlten sich ausgerechnet von der Religion im Stich gelassen.

Auch politisch ist Rutos Antwort auf den massenhaften Tod heikel. In Kenia wie auch in anderen afrikanischen Ländern vereinen Freikirchen und selbsternannte „Propheten“ Millionen Anhänger hinter sich. Zugleich sorgen sie seit Jahren mit Missbrauchsskandalen für Schlagzielen. In Südafrika etwa verfütterte ein Kultführer seinen Anhängern Schlangen, Benzin und Gras, die er vorgab, in Süßigkeiten verwandelt zu haben. Ein anderer verkaufte seinen Anhängern „Himmel-Selfies“, die ihn bei einem Nahtoderlebnis zeigen sollen. 

Durch Flusstaufe gestorben

Zu Jahresbeginn wurden erneut Rufe nach einer schärferen Regulierung von Glaubensgemeinschaften laut. In Johannesburg verloren mindestens 15 Menschen ihr Leben, als sie bei der Flusstaufe von dem plötzlich anschwellenden Wasser mitgerissen wurden. Kurz darauf geriet die Praxis einiger Freikirchen in den Fokus der Gesundheits­behörden, da sie etliche Cholera-Fälle ausgelöst haben soll. Die Krankheit wird meist über verunreinigtes Wasser übertragen. 

Während Südafrika weiter über die Regulierung diskutiert, will Kenia die Kirchen künftig gesetzlich an die kürzere Leine nehmen. Lange wehrten sich traditionelle Glaubensführer gegen den staatlichen Eingriff. Zumindest die katholischen Bischöfe sind mit den Plänen nun aber einverstanden: „Hätte es einen starken Mechanismus gegeben, der Religionen reguliert, hätte der lange Arm des Gesetzes Pastor Mackenzie davon abgehalten, Kenianer in den Massensuizid zu führen“, heißt es von der Kirche. 

Der „Jesus von Tongaren“

Wie ernst es der Regierung von Präsident Ruto ist, zeigt das Beispiel eines einschlägig bekannten Predigers im Westen des Landes. Der Mann, bekannt als „Jesus von Tongaren“, scharte zwölf Jünger um sich und behauptet, die Reinkarnation des Gottessohns zu sein. Nun wurde er von der Polizei zum Verhör geladen. Das sei laut Behörden „im öffentlichen Interesse“.

Markus Schönherr

01.06.2023 - Afrika , Ausland , Kriminalität