Nur wenige Ereignisse teilen die Weltgeschichte so klar in ein Vorher und ein Nachher wie die Terroranschläge vom 11. September 2001: Noch 20 Jahre später werden sich die meisten Leser daran erinnern, was sie gerade taten, als die ersten Meldungen von den Angriffen auf die Zwillingstürme des World Trade Center und auf das Pentagon eintrafen, als die ganze Welt ungläubig die surreal anmutende Live-Berichterstattung verfolgte. Fortan prägte der „Krieg gegen den Terror“ die internationale Politik.
Am Morgen des 11. September 2001 spielte die US-Luftverteidigung tatsächlich das Manöverszenario eines Angriffs auf Amerika durch. Angenommener Aggressor: Nordkorea. Hinweise auf einen Angriff durch ein nichtstaatliches Terrornetzwerk gab es genug: „Bin Laden plant Anschlag in den USA“, möglicherweise durch Hijacking, konnte Präsident Bush in einem Briefing vom 6. August lesen.
Doch bürokratische Analysefehler und haarsträubende Kooperationsdefizite hinderten CIA und FBI daran, die vielen Spuren und Puzzlestücke (unter anderem das Interesse von al-Qaida an Flugschulen) zum Gesamtbild zusammenzufügen. So konnten die 19 Selbstmordattentäter in Boston, Washington und Newark ungehindert an Bord von vier Passagierflugzeugen gelangen.
Um 8.46 Uhr schlug American-Airlines-Flug 11 in die Stockwerke 93 bis 99 des Nordturms des World Trade Center ein. 17 Minuten später wurde United-Flug 175 in die Etagen 77 bis 85 des Südturms gesteuert. Hunderte Menschen starben sofort, Hunderte fanden sich oberhalb der Flammen hoffnungslos gefangen, verzweifelt sprangen Eingeschlossene in die Tiefe.
Um 9.37 Uhr traf American-Airlines-Flug 77 den äußeren E-Ring des Pentagon. Die Passagiere von United-Flug 93 starteten einen Versuch, das Cockpit von den Terroristen zurückzuerobern. Diese wollten das Capitol treffen. Die Maschine stürzte in Pennsylvania ab.
Insgesamt töteten die Terroristen 2977 Menschen, darunter 343 Feuerwehrmänner und 60 Polizisten. Die schockierte Weltgemeinschaft reagierte mit einer Welle an Solidarität für die ins Mark getroffenen USA, Amerikas Allianzen erschienen so unverbrüchlich wie nie zuvor: Zum ersten Mal rief die Nato den Bündnisfall aus. Osama bin Laden hoffte, durch jenen Schlag gegen den „fernen Feind“ Amerika zugleich den Sturz der „nahen Feinde“, also der von den USA gestützten arabischen Regierungen, zu forcieren.
Am 7. Oktober 2001 begann der Luftkrieg der von den USA angeführten Koalition gegen Taliban und al-Qaida in Afghanistan. Amerikas Militärmacht agierte mit kleinen CIA-Teams und Spezialeinheiten, als Schrittmacher für die „Nordallianz“: Verbündete, welche dem Krieg das notwendige „afghanische Gesicht“ gaben. Das Resultat war eine Demütigung für das Talibanregime, welches weit schneller als erwartet kollabierte.
Die Bush-Administration verlor schnell das Interesse an Afghanistan. Ab Ende November 2001 wurde der Sturz Saddam Husseins anvisiert. Es war ein Krieg der Lügen und Fehleinschätzungen, nicht nur was Saddams „Massenvernichtungswaffen“ anbetraf: Saddam und al-Qaida, laut Bush Verbündete, waren in Wahrheit kategorische Feinde. Doch in den Visionen der Neokonservativen hatte ein befreiter Irak anders als das rückständige Afghanistan das Potenzial, zum „Leuchtturm der Demokratie“ in der Region zu werden – und natürlich ging es auch ums Öl.
Irak als Debakel
Immer mehr militärische Ressourcen wurden in jener kritischen Phase vom Afghanistankonflikt abgezogen und für den Irakkrieg reserviert – doch jener entwickelte sich zum Debakel: Erst trieb er einen Keil in die Nato, dann gerieten die USA zwischen die Fronten eines sunnitisch-schiitischen Bürgerkriegs.
Zehn Jahre nach dem Terror sah es zunächst gut aus: Al-Qaida erlebte einen doppelten Rückschlag. Im Arabischen Frühling 2011 wurden tatsächlich einige der verhassten alten Regime hinweggefegt, aber eben nicht durch islamistische, sondern durch demokratische, pro-westliche Bewegungen. Darüber hinaus konnte die Obama-Administration in der Nacht des 1. Mai 2011 Osama bin Laden in seinem Versteck in Abbottabad in Pakistan töten. Dort stand er unter dem Schutz von Netzwerken innerhalb des Geheimdienstes ISI und der Armeeführung.