Seelsorge für Soldaten

Die Rabbiner kehren zurück

Seit 1957 gibt es in Deutschland einen Militärseelsorge-Vertrag mit den Kirchen. Damals waren fast alle Bundeswehrangehörigen Christen. Heute sind es von knapp 200 000 Soldaten nur noch etwa die Hälfte, für die rund 100 evangelische und gut 70 katholische Militärpfarrer zuständig sind. Die rund 300 Juden in der Bundeswehr bekommen demnächst zwei Militärrabbiner: einen orthodoxen und einen liberalen.

Und die anderen? Da gibt es die große Zahl der Konfessionslosen, für die etwa der Humanistische Verband Deutschlands seit langem eine eigene Militärseelsorge fordert. In Streitkräften anderer Nato-Staaten ist das tatsächlich längst üblich. Und dann gibt es geschätzt 3000 Muslime in der Bundeswehr. Für sie soll es bald Militär-Imame geben, verspricht Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. 

Bis in die dritte Generation der Holocaust-Nachfahren waren junge Juden vom Wehrdienst befreit. Daher rückten bis heute nur wenige Juden in deutsche Kasernen ein. Oberstleutnant der Reserve Rainer Hoffmann ist einer von ihnen. Der Vorsitzende des Bundes Jüdischer Soldaten sagt, er sei Soldat aus Überzeugung. Ein starkes Land brauche eine starke Armee. Wie viele seiner Kameraden Glaubensgeschwister sind, weiß er nicht: „Aus Datenschutzgründen wird das nicht mehr erhoben.“ 

Die Bundeswehr gibt eine Schätzzahl von 300 Juden an. Für die soll nun eine eigene Seelsorge her. Analog zu den Kirchen soll ein Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland geschlossen werden. „Es ist gut, dass Rabbiner wieder sagen: Ja, ich möchte in der Bundeswehr wirken“, sagt die Verteidigungsministerin.

Für Deutschland gefallen

Mit ihren neuen Militärrabbinern knüpft die Bundeswehr an eine 100 Jahre alte Geschichte an: Im Ersten Weltkrieg führte die deutsche Armee das Feldrabbinat ein. Unter den mehr als 30 jüdischen Geistlichen an der Front war der berühmte Theologe Leo Baeck. Erst 1914 durften Juden überhaupt Offiziere werden. Von den mehr als 100 000 jüdischen Weltkriegssoldaten fielen mindestens 12 000 für Deutschland. 

Der Kriegseinsatz war Höhepunkt eines langen Emanzipationsbestrebens. Erst 1812 wurden Juden überhaupt zu Staatsbürgern erhoben und damit erstmals in Deutschland wehrpflichtig. Ein Jahr später nahmen Juden an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Wegen Vorbehalten im Militär blieb Juden eine Beförderung zum Offizier in der Regel vorenthalten – es sei denn, sie ließen sich taufen. 

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 kamen erstmals zwischen 100 und 200 jüdische Reserveoffiziere zum Einsatz. Diese Phase der Gleichberechtigung endete schnell: Außerhalb Bayerns, das sich toleranter zeigte, wurde 1885 letztmals ein jüdischer Reserveoffizier benannt. Ausnahmen wurden vor 1914 nur in Truppenteilen wie den Sanitätsabteilungen gemacht, die bei der Infanterie und der Kavallerie nicht als „satisfaktionsfähig“ galten. 

Nun also soll in der Bundeswehr wieder frühere Normalität Einzug halten. In den Niederlanden etwa ist das schon längst der Fall. Dort werden für 55 000 Soldaten zweieinhalb Militärrabbiner-Stellen finanziert. Jüdische Präsenz sei hier selbstverständlich, sagt Rabbi Menachem Seb­bag aus Den Haag. Neben katholischen, evangelischen und jüdischen gibt es bei den niederländischen Streitkräften auch muslimische, hinduistische und humanistische Militärseelsorger. 

Mindestens zwei jüdische Militärseelsorger soll die Bundeswehr nun erhalten. Die hätten reichlich zu tun, etwa im für alle Soldaten verpflichtenden Lebenskundlichen Unterricht. Dort könne auch eine Sensibilisierung gegen Antisemitismus stattfinden, hofft Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Hier sollten die Soldaten ermutigt werden, auch kleine rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle an ihre Vorgesetzten weiterzugeben.“

„Zwei Stunden im Monat“

Joachim Simon, leitender Militärdekan im Katholischen Militärbischofsamt, sagt: „Idealerweise wird der Lebenskundliche Unterricht zwei Stunden im Monat erteilt. Aber es gibt immer wieder Einheiten, die sich ausklinken, weil sie sagen: Wir sind so beschäftigt.“ Militärseelsorger dürfen auch intervenieren, wenn Gefahr in Verzug ist, beispielsweise durch kursierende Gewaltfantasien oder Ausländerhass.

Nach Angaben des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) werden derzeit rund 450 Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus in der Bundeswehr untersucht. Wer sie bei Vorgesetzten meldet, mahnt Schuster, dürfe nicht als „Nestbeschmutzer oder Kameradenschwein“ gelten. 

Thomas Klatt

04.05.2019 - Militär , Politik , Seelsorge