Frankreichs Hauptstadt ist Paris. Das weiß jedes Kind. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs war das anders: Damals war die schwäbische Kleinstadt Sigmaringen im Donautal für etwas mehr als ein halbes Jahr Sitz der französischen Regierung – zumindest offiziell. Das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime war da schon längst eine Marionettenregierung ohne reale Macht.
Frankreichs Staatschef, Marschall Philippe Pétain, residierte samt Anhang von September 1944 bis April 1945 in Sigmaringen – und zwar standesgemäß im Schloss. Dessen Hausherr, Friedrich Fürst von Hohenzollern, war von den Nazis kurzerhand vor die Tür gesetzt worden, um Platz für die französischen Verbündeten zu schaffen.
Auf einem Kalksteinfelsen thront das Schloss hoch über der Stadt. Es gehört den schwäbischen Hohenzollern, den katholischen Verwandten des größeren protestantischen brandenburgisch-preußischen Zweigs des Adelsgeschlechts, das einst preußische Könige und deutsche Kaiser stellte. So imposant das Schloss auf seinem mächtigen Felsen aussehen mag – dass Sigmaringen, die heute rund 17 000 Einwohner zählende Kleinstadt, einmal für kurze Zeit die Hauptstadt Frankreichs war, klingt wie ein Witz.
Auch am 8. September 1944 dürfte sich mancher Sigmaringer verwundert die Augen gerieben haben, als auf einmal die Trikolore auf dem Schloss und über der Stadt wehte. „Lebhaft gestikulierende Männer mit Baskenmützen, meist gut angezogen“, beschreibt Zeitzeuge Maximilian Schaitel die Gäste aus Frankreich.
Auch mancher Franzose empfand die Szenerie als merkwürdig. So schrieb der Arzt Louis-Ferdinand Céline in einem Roman, in dem er die Ereignisse künstlerisch verarbeitete: „Sigmaringen? Was für ein pittoresker Aufenthalt! Als wäre man in einer Operette“, heißt es darin. „Zu viel Krätze gab’s, zu wenig Brot und zu viel Royal Air Force obendrüber“, schrieb Céline sarkastisch mit Blick auf die Angriffe britischer Flieger.