Jens Söring unschuldig im Gefängnis?

Ein „Doppelmörder“ findet Gott

BITBURG – Die katholische Religionslehrerin Bernadette Faber aus der Eifel betreut einen in den USA einsitzenden Deutschen: Jens Söring soll dem Gerichtsurteil von 1990 zufolge ein brutaler Doppelmörder sein – doch immer mehr Menschen sind von seiner Unschuld überzeugt. Auch Bernadette Faber.

Zehn Bücher in 32 Jahren, von denen das jüngste den Preis einer katholischen Vereinigung in den USA erhalten hat: Das ist die Bilanz, auf die Fabers Schützling zurückblickt. Eigentlich ist das eine beeindruckende Bilanz, wären die Bücher nicht dort entstanden wo sie entstanden sind: im Hochsicherheitstrakt einer Strafanstalt im US-Bundesstaat Virginia. 

Geständnis widerrufen

Jens Söring wurde 1966 in Thailand als Sohn eines deutschen Diplomaten geboren. Seit Beginn der 1990er Jahre sitzt er im „Buckingham Correctional Center“ ein. Zunächst war er vier Jahre in London inhaftiert, bevor ihn die britischen Behörden 1990 in die USA überstellten, wo er angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – wegen Doppelmordes an einem Industriel­lenehepaar. Söring hatte die Tat zunächst gestanden, das Geständnis später aber widerrufen.

Seine angebliche Mittäterin, eine junge Frau aus gutem Hause, hatte Söring auf dem Campus seiner Universität kennen und lieben gelernt. Später bezichtigte sie ihn, ihre Eltern ermordet zu haben. Söring behauptet bis heute, das Geständnis nur abgelegt zu haben, um seine Freundin und angebliche Anstifterin vor der Todesstrafe zu bewahren. Er habe geglaubt, dass ihn die diplomatische Immunität seines Vaters vor strafrechtlicher Verfolgung schützen würde. Das war jedoch nicht der Fall, da dieses Privileg nur Botschaftsangehörige haben.

Eine Heerschar an Anwälten, engagierten Bürgern und PR-Beratern bemüht sich seit Jahren um Sörings Freilassung – bislang vergebens. Und das, obwohl neuere kriminaltechnische Untersuchungen keinen Hinweis darauf ergaben, dass Söring auch nur am Tatort gewesen ist. Eine kürzlich beim Gouverneur von Virginia eingereichte Petition gilt als Sörings letzte Chance, doch noch freizukommen. 

In den USA bedeutet „lebenslänglich“ meist, dass der Gefangene tatsächlich bis ans Lebensende einsitzt. „Life means life“ ist jenseits des Atlantiks ein geflügeltes Wort, das die Zustimmung der Mehrheit der Bürger und Wähler findet. Die längste je in einem US-Gefängnis verbrachte Haftzeit liegt laut Guinessbuch der Rekorde bei 56 Jahren.

An der Spitze des „Freundeskreises Jens Söring“, der sich für die Freilassung des inhaftierten Deutschen einsetzt, steht die Religionslehrerin Bernadette Faber aus Bitburg nördlich von Trier. „Ich bin von Sörings Unschuld überzeugt“, hat sie wiederholt in Interviews gesagt und das aus ihrer Sicht „unmenschliche amerikanische Justizsystem“ angeprangert. 

Damit steht Faber nicht allein. Einer von ihren engsten Beratern und Mitstreitern ist Bernd Kaut, katholischer Priester und früher Leiter des Missionswerks Missio in Aachen. Er hat Jens Söring Trost gespendet, sich für ihn eingesetzt und ihn an den christlichen Glauben herangeführt.

Auch in den USA keimen im Fall Söring Zweifel. Pensionierte Ermittler, Bürgerrechtler und Juristen, darunter eine frühere Generalstaatsanwältin, halten das Urteil gegen Söring für fraglich, da es lediglich auf Indizien beruht und es bis heute keine Beweise für Sörings Schuld gibt. Der auch in den USA gültige Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ scheint in dem Fall keine Rolle gespielt zu haben, sagen Kritiker. 

Emotionale Abhängigkeit

Gegner einer baldigen Haftentlassung weisen immer wieder auf Sörings Geständnis hin. Und sie betonen die emotionale Abhängigkeit des zum Tatzeitpunkt 18-jährigen Deutschen von seiner damaligen Lebensgefährtin. Sie wurde später wegen Anstiftung zum Mord zu 90 Jahren Gefängnis verurteilt.

Bei Bernadette Faber zu Hause in der Eifel stapeln sich Briefe und Pakete. Hinzu kommen Reisen, Telefonate und Gespräche mit Medienvertretern: „Ich beantworte Briefe, schreibe E-Mails und pflege unsere Internetseite jenssoering.de.“ Neben ihrem Job an einer Realschule nimmt das Engagement für den Häftling mit der Nummer 179212 mittlerweile das Pensum einer weiteren Vollzeitstelle ein, sagt Faber. 

In den vergangenen sechs Jahren hat die studierte Pädagogin Söring fünf Mal im Gefängnis besucht. „Mitbringen durften wir ihm nichts, kein Buch, keine Zeitung, nicht mal Schokolade, Kaffee oder Kekse.“ Aus Angst vor Drogen, die in die Anstalt geschmuggelt werden könnten, werden Besucher stattdessen auf einen im Vorraum der Anstalt stehenden Automaten verwiesen, wo man per Kreditkarte Süßes und Herzhaftes für die Insassen erstehen kann.

Aufstehen um vier Uhr

Söring teilt sich seine zwölf Quadratmeter-Zelle mit einem weiteren Insassen. Er habe sich einen disziplinierten Tagesablauf auferlegt, um nicht verrückt zu werden, sagt er. „Ich stehe morgens gegen vier Uhr auf, meditiere und gehe anschließend in den Aufenthaltsraum, um meine E-Mails abzurufen.“ Gegen sieben Uhr gibt es für die Insassen Frühstück, faden Kaffee mit oft angeschimmeltem Brot und einem Aufstrich, der die Bezeichnung „Marmelade“ nicht verdient. 

„Schlimmer noch ist das Mittagessen“, sagt Bernadette Faber. Nach Sörings Schilderungen besteht es aus gestrecktem Maisbrei und zusammengekochten Fleischabfällen, die mit Geschmacksverstärkern genießbar gemacht werden. Vitamine bekommen die Gefangenen meist nur in Form von Brausetabletten verabreicht, da frisches Obst und Gemüse aus Kostengründen nicht zur kargen Knastkost gehört. 

„Selbst im überteuerten Gefängnisladen gibt es meist nur Konserven und Abgepacktes“, beschreibt Faber die Lebensumstände in der Haftanstalt, in der Söring seit fast drei Jahrzehnten einsitzt. Die lange Zeit hinter Gittern scheint dem Deutschen äußerlich wenig ausgemacht zu haben: Dass er 52 Jahre alt ist, sieht man ihm nicht an. Sein größtes Hobby neben dem Schreiben sei der Sport, erklärt Söring. 

Längst hat sich sein Fall zum Politikum entwickelt: Über die Parteigrenzen hinweg setzen sich deutsche Politiker für Söring ein. Selbst bei einem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama soll das Thema eine Rolle gespielt haben.

Prominente TV-Journalisten wie Johannes B. Kerner und Markus Lanz haben mit dem Gefängnisinsassen gesprochen und seine Geschichte zum Thema ihrer Sendungen gemacht. Vor zwei Jahren ist gar ein Dokumentarfilm über Söring in die deutschen Kinos gekommen: „Das Versprechen“ sorgte danach auch in den USA für Furore und befeuerte die Diskussion um eine Freilassung. 

„Sollte der Gouverneur die Petition ablehnen, habe ich keinen Plan B in der Tasche“, sagt Bernadette Faber. Sie klingt traurig. Der jüngste Versuch, eine Haftverschonung für Söring durchzubekommen, könnte der letzte sein. Noch ist der Ausgang ungewiss. Und so bleibt Söring vorerst nur eines: sein Vertrauen auf Gott.

Benedikt Vallendar

Programmtipp

Die ARD zeigt den Dokumentarfilm über Jens Söring an diesem Mittwoch, 15. August: „Das Versprechen“ läuft um 22.45 Uhr, die Wiederholung um 2.20 Uhr.

07.08.2018 - Hintergrund , Kriminalität