Kardinal John Henry Newman:

Vom Gegner zum Heiligen

Seine Seligsprechung hatte Papst Benedikt XVI. in England noch persönlich vorgenommen. Neun Jahre später wird Kardinal John Henry Newman von Papst Franziskus in Rom heiliggesprochen, Wer war der britische Gottes- und Kirchenmann?

Der Bankierssohn John Henry Newman wurde am 21. ­Februar 1801 in London geboren und wuchs in der calvinistischen Tradition („Low Church“) der Kirche von England auf. Er hatte bereits als Kind die Bibel gründlich gelesen und fand mit 15 Jahren durch einen evangelikalen Lehrer zu einer festen Glaubensgewissheit sowie zur Liebe zur klassischen Antike. Nach dem Abschluss an der Elite­universität Oxford wurde er 1825 zum Priester der anglikanischen Kirche ordiniert und bald darauf Pfarrer der Oxforder Universitätskirche. 

Newman hatte inzwischen seine liberal-evangelikalen Überzeugungen aufgegeben. In seinen Augen verkannte und missachtete ein undogmatischer religiöser Individualismus die Rolle der Kirche bei der Weitergabe des Glaubens. In der Konsequenz, urteilte er, führe Unkirchlichkeit gepaart mit Moralität und Gefühl häufig zu Subjektivismus und sogar zu Skeptizismus. 

Mittelweg: Sackgasse

Newman wurde zu einem Hauptvertreter der „Oxford-Bewegung“ mit dem Ziel, der anglikanischen Kirche wieder die frühchristliche Spiritualität und sakramentale Praxis einzupflanzen („High Church“). Seine Predigt-
reihen zu diesem Thema sowie zur anglikanischen Kirche als Mittelweg („Via media“) zwischen Protestantismus und Katholizismus machten ihn landesweit berühmt – und bei der Kirche von England verdächtig. 

1842 zog sich Newman aus dem öffentlichen Leben zurück. Nach drei Jahren ausgiebiger Studien, besonders der spätantiken Kirchenväter, konvertierte er zur katholischen Kirche – ein dramatischer Einschnitt in seinem Leben: Katholischsein im damaligen England ging mit gesellschaftlicher Ächtung einher. 

Newman reiste nach Rom, wo er 1847 zum Priester geweiht wurde und sich der Kongregation der Oratorianer anschloss. Zurück in England, siedelte er Ordensniederlassungen an. Nachdem dort 1850 die katholische Hierarchie mit Diözesen und Bischöfen wieder offi­ziell zugelassen war, wurde Newman eines der bekanntesten Gesichter der Kirche in England. 

Verdruss und Verleumdung

Father Newmans Erfolg verdross einige hohe katholische Würdenträger, die seine geistige Unabhängigkeit fürchteten und ihn in Rom anschwärzten. Protestantische Polemiker verleumdeten ihn als Verräter, Irrlicht und Fanatiker. 

Unermüdlich arbeitete Newman an der Hebung des Glaubenswissens und des Selbstbewusstseins katholischer Laien – häufig irische Arbeiter, die im Vikto­rianischen Zeitalter nicht viel galten. Entlang der weiteren Stationen, etwa als Gründungsrektor der katholischen Universität Dublin, und als Reaktion auf persönliche Angriffe oder theologische Probleme entstanden Werke, die ihm unter Katholiken wie Protestanten Anerkennung brachten und seinen Ruf als Klassiker begründeten. 

Erst das Gewissen, dann der Papst

Bezeichnend für Newmans geistige Freiheit sind besonders die Gedanken über Erziehung, die er im Anschluss an die gescheiterte Mis­sion in Dublin formulierte. Als Ziel der Pädagogik einer katholischen Hochschule nennt er tatsächlich die Heran­bildung des Gentlemans, nicht die einer unwiderleglichen Argumenta­tionskanone im Dienst der Kirche. Zu dieser Unabhängigkeit von Denkmoden und Hierar­chien passt auch sein berühmter Toast, den er zuerst auf das Gewissen, dann erst auf den Papst darbrachte – in einer Zeit, als Pro oder Contra Papst als unfehlbares Kriterium der Rechtgläubigkeit galt.

1878 kehrte er als Ehrenmitglied nach Oxford zurück. Ein Jahr später erhob ihn Papst Leo XIII. zum Kardinal. Gesundheitlich geschwächt, starb Newman am 11. August 1890 über Nacht an einer Lungenentzündung im Oratorium von Edgbaston, Birmingham, das er gegründet hatte.

Einfluss auf "Weiße Rose"

Das 1958 eingeleitete Seligsprechungsverfahren für John Henry Newman kam 2010 durch Papst Benedikt XVI. persönlich anlässlich seiner Englandreise zum feierlichen Abschluss. Für Joseph Ratzinger war Newman ein alter Bekannter: Alfred Läpple, sein Freund und Vorgänger als Studienpräfekt am Freisinger Priesterseminar, hatte Ratzinger gebeten, seine Doktorarbeit über den Theologen korrekturzulesen. 

Ferner ist Newman sozusagen der Hausheilige des Personalordinariats Unserer Lieben Frau von Walsingham, das Papst Benedikt 2011 für katholisch gewordene Anglikaner eingerichtet hat, die ihre liturgischen und kirchenmusikalischen Traditionen behalten wollen.

Newmans erste deutschsprachige Rezeption erfolgte durch den Schriftsteller und Übersetzer Theodor Haecker. Er konvertierte 1921 unter dem Eindruck von New­mans Werken zur katholischen Kirche. Haecker hatte großen Einfluss auf die Geschwister Scholl und die „Weiße Rose“. 1943 gab Sophie Scholl ihrem Verlobten Fritz Hartnagel Newmans Schriften über das Gewissen als Stimme Gottes mit an die Front. Auch in den Flugblättern der Gruppe lassen sich Spuren von Newman nachweisen.

Peter Paul Bornhausen

11.10.2019 - Ausland , Heilige , Papst