Vor 20 Jahren

Ein prophetisches „Mea culpa“

Am 12. März 2000 bat Papst Johannes Paul II. mit einem „Mea culpa“ um Vergebung für Versäumnisse der Kirche und Fehler ihrer Gläubigen. Es war eine seiner herausragenden und zugleich umstrittensten Initiativen zur Jahrtausendwende. 

In einem nüchternen Zeremo-niell sprach der Papst zu Beginn der Fastenzeit ein Fürbittgebet. Er formulierte darin ein Schuldbekenntnis und eine Vergebungsbitte für Sünden von Katholiken in der Geschichte. Im Namen der Kirche bekannte er Fehlleistungen von Gläubigen gegen die Toleranz, gegen die Ökumene, gegen Frieden und Menschenrechte sowie gegen die Würde der Frau.

Besonders eindringlich war das Schuldbekenntnis im Verhältnis zum jüdischen Volk: „Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes.“

Methoden der Intoleranz

Es war eine große prophetische Geste des Papstes und ein bedeutsamer Akt der Kirche am Beginn des dritten Jahrtausends. Der Papst und sieben Kurienkardinäle – unter ihnen Joseph Ratzinger und Roger Etchegaray – sprachen grundsätzlich von „Methoden der Intoleranz“, zu denen Gläubige beim Einsatz für die Wahrheit griffen. 

Sie beklagten, dass Katholiken Gegensätze und Spaltungen geschaffen hätten. Dass sie allzu oft der „Logik der Gewalt“ nachgegeben, Stämme und Völker diskriminiert und ihre Rechte verletzt hätten. Sie erbaten dafür Gottes Erbarmen und riefen zu Versöhnung, Reue, Umkehr und Neuanfang auf.

Die Zeremonie begann mit einer Bußprozession durch die Heilige Pforte und einem Gebet an der -Pietà Michelangelos. Der fast 80-jährige, von seiner Krankheit gezeichnete Papst ließ sich auf einer fahrbaren Plattform durch den Dom schieben.

Die siebenteilige Vergebungsbitte erfolgte vor einem alten Holzkruzifix. Die Kurienvertreter trugen die Fehler vor, der Papst schloss eine Vergebungsbitte mit einem Besserungsgelöbnis an. Nach jeder Fürbitte ertönte der Bittruf „Kyrie eleison“. Dabei wurde vor dem Kreuz ein Licht entzündet. Am Ende des Gebets umarmte und küsste der Papst das Kruzifix.

In seiner Predigt stellte Johannes Paul II. klar: Die Christen von heute sollten, nach sorgfältiger theologischer und historischer Überprüfung, die Schuld von Christen in der Vergangenheit wie in der Gegenwart anerkennen. Auch wenn man keine persönliche Verantwortung trage: Aufgrund der Verbundenheit der Christen im mystischen Leib Christi „tragen wir in uns die Last der Irrtümer und Schuld der Vorfahren“.

Bedenken von Kritikern

Das „Mea culpa“ galt als revolu-tionär. Kirchenleute und Medien lobten den Mut des Papstes und seine „demütige Geste“. Aber es gab auch Bedenken gegen die Initiative, die der Papst schon 1994 bei der Ankündigung des Anno Santo ins Gespräch gebracht hatte. Kritiker meinten, man könne kirchliches Handeln früherer Epochen nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen. Zudem wäre ein solches Schuldbekenntnis Missdeutungen und Manipulationen ausgesetzt.

Der Vatikan schaltete Experten ein, Theologen aus aller Welt berieten über einen solchen Bußakt. Zuletzt prüfte die Internationale Theologenkommission, warum und in welcher Form die Kirche um Vergebung für vergangene Verfehlungen bitten könne. Schließlich gaben die Theologen unter Ratzinger grünes Licht: Die Vergebungsbitte stärke die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in der Welt. Sie sei kein „Tribunal über die Sünden der Vergangenheit“, sondern sollte der Beginn der eigenen Bekehrung für die heutigen Christen sein. 

Eine Fortsetzung und konkrete Umsetzung erfuhr der „Tag des Vergebens“ genau zwei Wochen später  in Jerusalem. Zum Abschluss seiner Pilgerreise ging Johannes Paul II. zur Klagemauer und schob einen Zettel mit seiner Vergebungsbitte in eine Spalte zwischen den antiken Steinquadern. Auch diese Bilder gingen um die Welt.

Johannes Schidelko

12.03.2020 - Papst , Vatikan