Weihnachtsgeschichte(n)

Einst hing der Christbaum an der Decke

Weihnachten wird grün – ganz egal, ob draußen Schnee liegt oder nicht. Das liegt am Christbaum, der längst zum wichtigsten Weihnachtssymbol weltweit geworden ist. Jeder zweite deutsche Haushalt schmückt sich zum Christfest mit grünen Zweigen. Trendforscher registrieren mittlerweile sogar einen Hang zum Zweitbaum und sehen eine wachsende Lust unter jungen Familien, einen eigenen Baum zu schmücken. Dabei ist der Brauch erst im vergangenen Jahrhundert Mode geworden.  

Die Sitte, einen Christbaum aufzustellen, dürfte im Kern auf alte Vorstellungen zurückgehen, nach denen immergrüne Pflanzen Lebenskraft verströmen. So glaubte das Volk früher, wenn über dem Hauseingang ein grüner Zweig hänge, sei er für Hexen und Dämonen versperrt. Der in der grünen Natur verkörperte Lebenswille dokumentierte sich auch im adventlichen Aufstellen eines Zweiges in der Wohnstube, etwa am Barbaratag, am 4. Dezember. Wärme und Wasser sollten ihn bis zum Fest zur Blüte bringen. 

Noch häufiger holte man sich zum Christfest einen sogenannten Wintermaien ins Haus, in der Regel einen immergrünen Fichten- oder Tannenzweig. Freiburg und Straßburg gelten als die ersten Hochburgen dieses Brauches, der in vergangenen Jahrhunderten noch als wenig christlich angesehen wurde. Kirchenmänner wie der bekannte Prediger Johann Geiler von Kaysersberg (1445 bis 1510) schimpften über die Leute, die zum Jahreswechsel „danreiß in die Stuben legen“. 

„Dannwedel und Mispelzweig“

„Dannwedel und Mispelzweig“ gehörten Anfang des 16. Jahrhunderts in vielen Häusern zur weihnachtlichen Grundausstattung im deutschen Südwesten. Der Freiburger Bürgermeister meinte damals, dass sich „die ußbildung“ (Ausbildung) „dieser Sitte zu einem bruch“ (Brauch) nicht mehr stoppen lasse. Er sollte Recht behalten.

Mit der Zeit wurden aus den Zweigen ganze Bäume, die in den stadtnahen Wäldern zum Ärger der Förster geschlagen wurden. Mit Verboten kämpften deshalb viele Gemeinden gegen den Baumfrevel. Einem solchen Verbot ist auch die erste schriftliche Quelle zur Geschichte des Weihnachtsbaums zu verdanken. Sie stammt aus einem Rechnungsbuch des elsässischen Städtchens Schlettstadt. 

Drang zum eigenen Baum

Vier Schillinge erhielt demnach der örtliche Förster, damit er am Thomastag (21. Dezember) die „Meyen“ bewache, wie man im Mittelalter die zum Fest aufgestellten Bäume nannte. Auf Dauer aber konnten die Gemeinden den Drang zum eigenen Baum nicht stoppen, sodass man den Bürgern schließlich nur noch verbot, mehr als einen Baum aus dem Wald nach Hause zu schleppen.

Grüne Bäumchen spielten auch beim Paradiesspiel eine Rolle. Es wurde gewöhnlich am Abend des 24. Dezember in den Kirchen aufgeführt. Das mittelalterliche Spiel sollte an den Sündenfall von Adam und Eva erinnern, deren Namenstag am Heiligen Abend gefeiert wird. Als „Früchte der Versuchung“ schmückten rote Äpfel die Bäume im liturgischen Spiel, zu denen sich schließlich auch Oblaten gesellten.

Theologisch ergaben auch sie durchaus Sinn, verkörperten die mit ungeweihten Hostien geschmückten Weihnachtsbäume doch nicht mehr nur die im Apfel symbolisierte Erbsünde, sondern auch deren Überwindung, also die weihnachtliche Botschaft: die Geburt des Erlösers, der mit seinem Kreuzestod den Weg des Menschen für die Versöhnung mit Gott freigemacht hat.

Äpfel, Oblaten und Nüsse

Zu Äpfeln und Oblaten kamen künstliche Blumen, aber auch Birnen und Nüsse oder Datteln und Feigen, die man in den Zunfthäusern und Gesellenstuben an den Baum hängte. Dazu gesellte sich Zuckerzeug und anderes Nasch­werk, das Erwachsene und Kinder schließlich zum Jahreswechsel oder mehr noch am Dreikönigstag zum Verzehr von den Bäumen schüttelten. 

Standen die ersten Bäume in den oberrheinischen Städten, wurden sie später in den protestantischen Großstädten des Nordens und Ostens Mode. Zunehmend platzierte man nun die Geschenke unter dem Baum. Für den Großteil der katholischen  Bevölkerung blieb zunächst der Nikolaus Gabenbringer. In den katholischen Regionen verspottete man den Protestantismus schließlich sogar als „Tannenbaumreligion“.

In der Romantik wurde der Christbaum zum "Lichterbaum"

Romantik und Biedermeier beseelten den Christbaumgedanken weiter. „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“, hieß es Mitte des 19. Jahrhunderts im Weihnachtslied. Nun kamen auch Kerzen in Mode, welche die ersten, in der Regel an der Decke aufgehängten Weihnachtsbäume noch nicht kannten. Erst als man den Baum auf dem Boden aufstellte, war der Weg zum Lichterbaum frei.

Zwar zierten schon Anfang des 18. Jahrhunderts an den kurfürstlichen Höfen wie in Heidelberg teure Kerzen aus Bienenwachs die Weihnachtstannen, aber erst die Erfindung des Stearins (1818) und des Paraffins (1830) machten den Weg für die Baumbeleuchtung frei – ganz abgesehen von den Feuerwehren, die inzwischen in immer mehr Städten ihren Dienst taten. Mit dem neuen Lichterbaum hatte Weihnachten jedenfalls sein neues Festsymbol. 

Goethes Weihnachtsbaum

Den Boden für seinen Siegeszug bereiteten Deutschlands Geistesgrößen. „Bäume leuchtend, Bäume blendend, überall das Süße spendend. In dem Glanze sich bewegend. Alt und junges Herz erregend, solch ein Fest ist uns bescheret“, notierte Johann Wolfgang von Goethe 1821. Als Student hatte der spätere „Dichterfürst“ den Weihnachtsbaum kennengelernt, der dann Eingang in sein erstes großes Werk fand: „Die Leiden des jungen Werthers“. 1775 schlug er zum Unmut des Försters selbst einen Baum im Wald und trug so zur Ausbreitung des Brauchs in Weimar bei.

Auch Friedrich Schiller wünschte sich zum Besuch seiner Schwieger­eltern 1789, dass sie ihm „einen grünen Baum im Zimmer aufrichten“. 1816 beschrieb E. T. A. Hoffmann in „Nußknacker und Mäusekönig“ einen Tannenbaum, der „viele goldene und silberne Äpfel trug, und wie Knospen und Blüten keimten Zuckermandeln und bunte Bonbons und was es sonst noch für schönes Naschwerk gibt aus allen Ästen. Als das schönste an dem Wunderbaum mußte aber wohl gerühmt werden, daß in seinen dunklen Zweigen hundert kleine Lichter wie Sternlein funkelten“.

Kerzen waren Rarität

Richtige Kerzen waren zu dieser Zeit noch rar gesät. Allenfalls handelte es sich bei den „kleinen Lichtern“ um in halbe Nussschalen gefülltes Öl mit einem Docht darin, die man mit Schnüren an die Zweige band. Das war nicht selten ein gefährliches Abenteuer, das manchen Zimmerbrand zur Folge hatte. Erst mit der Erfindung des Klemmkerzenhalters wurde das Brandrisiko kleiner. 1867 wurde er für Christbäume patentiert. Pendel unter den Haltern sorgten für die Stabilität der Kerzen, die traditionell von oben nach unten angezündet wurden.

Passend dazu entwickelte sich eine eigene Industrie, die sich dem Schmuck der Bäume verpflichtet fühlte. So entstanden Engel mit Windeln und Krippenfiguren aus Wachs, kleine Früchte, Rüben und Brezel in Körben, die man an den Baum hängte. Und auch die Christbaumständer wurden immer ausgefeilter. In den 1860er Jahren kamen schwere, aus Eisen gegossene Ständer in Mode, die den Bäumen immer mehr Stabilität verliehen und damit auch das Schmücken der Christbaumspitze beförderten. 

Diesen Platz sicherten sich Verkündigungsengel: Die himmlischen Boten trugen Spruchbänder wie „Ehre sei Gott in der Höhe“ oder „Friede den Menschen auf Erden“. Andere Bürger krönten ihre Bäume mit Sternen, die an den Stern von Bethlehem erinnern sollten, der den Heiligen Drei Königen den Weg zur Krippe wies. Ende des 19. Jahrhunderts kamen kunstvolle Glasspitzen hinzu.

Christbaumkugeln aus Lehm

Auch Christbaumkugeln ­kamen­ nun auf. Die ersten waren mit Schaumgold überzogene Lehmkugeln. Bald wurden sie von leichteren Glaskugeln abgelöst. Ein Glasbläser aus dem thüringischen Lauscha habe sich die sonst üblichen Äpfel nicht leisten können und deshalb die Kugeln geblasen, heißt es. Eine ähnliche Geschichte wird im lothringischen Glasbläser-Dorf Meisen­thal erzählt. Dort soll ein Arbeiter 1858 ein paar Christbaumkugeln geblasen haben, weil ihm die Äpfel als Baumschmuck fehlten. 

Zu den Christbaumkugeln gesellten sich Goldpapierketten, Stroh­sterne, mit Lackbildchen überklebte Figuren aus Zucker oder Schokolade und auch das Lametta, das anfangs aus Metallabfällen, später aus Stanniol hergestellt wurde. „Versilbertes Sauerkraut“ nannte es der Volksmund. Die schmalen, silber glitzernden Metallstreifen aus Zinn sollten Eiszapfen und Schnee symbolisieren und entsprachen ganz den spät­romantischen Vorstellungen.

Älter als das Lametta und ebenfalls vorwiegend in Nürnberg hergestellt wurde das sogenannte Rauschgold. Der Gold- und Silberschmuck verdrängte mehr und mehr die essbaren Teile am Baum. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Wunderkerzen in Mode, auch Christbaumschmuck aus Pappe, den man industriell zum individuellen Ausschneiden fertigte. Auch der technische Fortschritt spiegelte sich nun am Baum: durch Schmuckteile in Gestalt von Heißluftballons, Lokomotiven und Zeppelinen. 

Urgermanisches Zeichen

Bis zur Akzeptanz des Christbaums im katholischen Deutschland sollte es noch lange dauern. Nicht selten bremsten gerade Pfarrer die Ausbreitung des Brauchs. Katholisch, argumentierten Geistliche noch Anfang des 20. Jahrhunderts, sei nur die Krippe ohne Baum, sei nur die Bescherung zu Nikolaus. Erst mit dem Nationalsozialismus, der im leuchtenden Tannenbaum ein urgermanisches Zeichen für die Wintersonnwende sah, fand der Weihnachtsbaum auch beim einfachen Volk Anklang. 

Nach dem Krieg eroberte er sich schließlich auch den öffentlichen Raum. Auf den großen Plätzen der Städte wurden immer mehr Bäume aufgestellt. In den Familien war der Baum jetzt weniger christliches Symbol als Prestigeobjekt, das man gern Freunden und Nachbarn zeigte. Kaum ein Fotomotiv findet sich heute häufiger in deutschen Familienalben als strahlende Kinder vor dem geschmückten Christbaum. 

Verkaufsschlager unter den mehr als 20 Millionen deutschen Weihnachtsbäumen ist die nadelfeste Nordmanntanne, die wenig Wasser braucht. Auch in warmen Zimmern übersteht sie die Zeit zwischen den Jahren am besten. Die Nordmanntanne hat damit die Blaufichte abgelöst, die früher den Christbaummarkt dominierte.

Günter Schenk