Heinrich Hoffmann starb vor 125 Jahren

Der Irrenarzt mit dem „Struwwelpeter“

Weil er kein passendes Bilderbuch als Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn fand, schritt der Arzt Heinrich Hoffmann selbst zur Tat: Sein „Struw­welpeter“ sollte ein Klassiker der Kinderliteratur werden. Vor 125 Jahren, am 20. September 1894, ist der Autor gestorben.

Vermutlich gab es zu Hoffmanns Lebzeiten in Frankfurt kaum jemanden, der nicht zumindest schon mal von ihm gehört hatte. Der geheime Sanitätsrat Hoffmann – war das nicht dieser Irrenarzt, der mit dem „Struwwelpeter“? Hoffmann war vielfältig begabt und aktiv. Aber bestimmend war für ihn ein hohes soziales Ethos, das ihn zum Wohle der Menschen seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main handeln ließ. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in der Mainmetropole.

Spazieren statt saufen

Am liebsten wäre Heinrich Hoffmann Schriftsteller geworden, aber davon hätte er kaum leben können. So folgte er dem Wunsch seines Vaters und studierte Medizin. Die Studienjahre in Heidelberg, Halle und Paris waren seine einzige Zeit außerhalb von Frankfurt. Hoffmann war kommunikativ und gesellig, blieb seinen Prinzipien aber treu. Bei seinen Kommilitonen erwarb er sich deshalb den Spitznamen „Feldhase“. Er ging nämlich lieber spazieren als an Trinkgelagen teilzunehmen.

Zurück in Frankfurt, musste er sich erst einmal als Arzt etablieren: Er wurde Leichenbeschauer und Geburtshelfer, arbeitete an der Armenklinik und beteiligte sich an der medizinischen Betreuung umliegender Dörfer. Besonders einträglich war das nicht, ließ ihm aber ausreichend freie Zeit, um Gedichte zu schreiben und geselligen Aktivitäten nachzugehen. So war er einer der Mitbegründer von „Tutti Frutti“: Alle Mitglieder des Vereins verzichteten auf die Anrede mit ihren akademischen Titeln und wählten sich einen Obst- oder Gemüsenamen. Hoffmann war „die Zwiebel“.

Privat und beruflich ging es für ihn dabei stetig aufwärts. Hoffmann heiratete, wurde Vater von drei Kindern und erhielt 1844 endlich die ersehnte Anstellung als Anatom am Senckenbergischen Institut. 1848 engagierte er sich in der Paulskirche aufseiten der Liberalen für eine konstitutionelle Monarchie unter der Vorherrschaft Preußens. 1851 wurde er Leiter der Frankfurter Irrenanstalt.

Mit der Psychiatrie hatte Hoffmann bis dahin keine Erfahrung. Aber schon sein erster Besuch in der Anstalt machte ihm klar, dass die Menschen dort weder vom Teufel besessen oder kriminell, sondern schlicht krank waren. Deshalb mussten sie nicht weggeschlossen und verwahrt, sondern in erster Linie medizinisch behandelt werden. Der Arzt arbeitete daran, das öffentliche Bewusstsein zu verändern. Über viele Jahre betrieb er eine Aufklärungskampagne.

Zugleich sammelte er Spenden für einen Neubau. 1864 konnte die neue „Irrenanstalt“ eröffnet werden. Entworfen nach modernsten Erkenntnissen, war sie so großzügig gebaut, dass die Frankfurter vom „Irrenschloss“ sprachen. Hoffmann selbst zog mit seiner Familie ebenfalls dort ein, um mit den Kranken unter einem Dach zu leben. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1888 – Hoffmann war inzwischen 79 Jahre alt – blieb er dort wohnen.

Bleibenden Ruhm erwarb er sich aber auf einem ganz anderen Gebiet – eher unabsichtlich wurde Hoffmann zum Kinderbuchautor. Weil er 1844 für seinen dreijährigen Sohn kein passendes Bilderbuch finden konnte, griff er selbst zur Feder und legte dem kleinen Carl ein selbst gezeichnetes und gereimtes Heft unter den Weihnachtsbaum.

1845 erschien unter dem Pseudo­nym „Reimerich Kinderlieb“ die Sammlung „Lustige Geschichten und drollige Bilder“. Innerhalb von vier Wochen waren alle 1500 Exemplare verkauft. Ab der dritten Auflage erschien das Bilderbuch unter dem Titel „Der Struwwelpeter“ und wird bis auf den heutigen Tag immer noch gelesen.

Unangepasstes Verhalten

Struwwelpeter, Paulinchen mit den Streichhölzern, den bösen Friederich und all die anderen Figuren kennt jeder. Teilweise sind sie als Metaphern in den deutschen Wortschatz eingegangen – man denke nur an Zappel-Philipp und Suppen-Kasper. Wo man heute Hyperaktivität und Magersucht vermutet, sah die damalige Elterngeneration unangepasstes Verhalten, das den Kindern ausgetrieben werden musste. 

In Hoffmanns Bilderbuch gingen die Erwachsenen – auch nach damaligen Maßstäben – übertrieben drastisch zu Werke. Aber den Kindern gefielen die Geschichten. Das ist immer noch so, auch wenn die Bilder mittlerweile etwas antiquiert wirken und heutige Eltern den „Struwwelpeter“ ihren Kindern wohl kaum so unbefangen geben wie damals Heinrich Hoffmann und seine Frau.

Die Stadt Frankfurt hat ihrem großen Sohn und seinem berühmten Kinderbuch ein eigenes Museum gewidmet, das Heinrich-Hoffmann- & Struwwelpeter-Museum. Das wird – fast auf den Todestag genau – nach einem Umzug in die Altstadt am 24. September neu eröffnet. Das Museum ist ein gemeinnütziger Inklusionsbetrieb, in dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen arbeiten. Heinrich Hoffmann hätte das bestimmt gefallen.

Birgitta Negel-Täuber

18.09.2019 - Deutschland , Historisches , Kinder