Hans Scholls letzte Worte:

„Es lebe die Freiheit!“

An der Ludwig-Maximilians-Universität in München haben Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell nicht nur studiert. Hier riefen die Mitglieder der Weißen Rose auch in Flugblättern zum Widerstand gegen das NS-Regime auf. Und hier wurden einige von ihnen am 18. Februar 1943 verhaftet. Vier Tage später wurden sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Auch nach 75 Jahren sind sie Vorbilder im Kampf für die Freiheit.

„In Deutschland lebte eine Opposition, die zum Edelsten und Größten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker hervorgebracht wurde. Diese Menschen kämpften ohne Hilfe von innen und außen – einzig getrieben von der Unruhe des Gewissens. (…) Aber ihre Taten und Opfer sind das unzerstörbare Fundament des neuen Aufbaus.“ Mit diesen Worten sprach Winston Churchill 1946 seine Hochachtung vor den Mitgliedern der Weißen Rose aus, die todesmutig den Aufstand des Gewissens gewagt hatten. 

Die Gruppe hatte sich im Frühjahr 1942 an der Münchner Universität zusammengefunden. Im Zentrum standen die Studentin der Biologie und Philosophie, Sophie Scholl, und ihr Bruder Hans, der ebenso wie seine Mitstreiter Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell Medizin studierte. Außerdem gehörte Kurt Huber, außerplanmäßiger Professor für Philosophie und Musikwissenschaft dazu.

Menschen mit unterschiedlichen Biografien fanden sich verbunden durch ihre demokratischen, ethisch-humanistischen und christlichen Überzeugungen, wobei Konfessionsgrenzen keine Rolle spielten. Hans Scholl, 24 Jahre alt, war es wichtig, ein „sichtbares Zeichen des Widerstandes von Christen zu setzen“. Er und seine 21-jährige Schwester Sophie waren evangelisch und durch die Frömmigkeit der Mutter, einer ehemaligen Diakonissin, geprägt. 

Anfangs noch Mitglieder in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädel, empfanden sie die NS-Ideologie zunehmend als unvereinbar mit ihren Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit. 1941 wurden sie aufgerüttelt durch die Protestpredigten des Münsteraner Bischofs Clemens August von Galen. Auch waren sie häufig zu Besuch beim katholischen Publizisten Carl Muth: Der Herausgeber der seit 1941 verbotenen Monatszeitschrift „Hochland“ wurde ihnen zu einem väterlichen Mentor. 

Theodor Haeckers Einfluss

Sophie Scholl zeigte sich auch beeindruckt von der Begegnung mit Theodor Haecker, einem der bedeutendsten katholischen Schriftsteller seiner Zeit, der die Unvereinbarkeit des christlichen Menschenbildes mit dem NS-Staat postulierte und seit 1936 mit Publikationsverbot belegt war. Haecker las bei Diskussionsabenden der Weißen Rose unter anderem aus seinen „Tag- und Nachtbüchern“ vor. Viele seiner Formulierungen fanden Aufnahme in die Flugblätter der Weißen Rose. Zudem beschäftigten sich die Widerstandsaktivisten mit den Schriften von Augustinus, Thomas von Aquin oder John Henry Newman. 

Der 25-jährige Willi Graf stammte aus einem katholischen Elternhaus. Er lehnte den Nationalsozialismus kategorisch ab und war in der katholischen Jugendbewegung aktiv, wofür er 1938 sogar verhaftet wurde. Christoph Probst, 23 Jahre alt, stammte aus einer weltanschaulich offenen Familie. Probsts Schulfreund Alexander Schmorell hatte russische Wurzeln: Den 25-jährigen orthodoxen Christen trieb insbesondere die Abscheu vor Hitlers Vernichtungskrieg im Osten. 

Um jenen innersten Kreis scharten sich weitere Gruppen von Unterstützern und Sympathisanten. Es bildete sich beispielsweise ein Ableger in Hamburg um die Medizinstudentin Traute Lafrenz. In München besuchten die Studenten die beliebten Vorlesungen von Kurt Huber, dem aufgrund seiner regime­kritischen Haltung und seiner katholischen Konfession lange ein Lehrstuhl verweigert worden war und der noch immer den Mut hatte, seinen Studenten die verbotenen Werke jüdischer Philosophen vorzustellen. 

Wenn Hitler eine „Ausgeburt der Hölle“ war, wie Haecker es ausdrückte, gab es dann nicht eine Pflicht zum Widerstand? Sophie Scholl erklärte, wenn sie eine Pistole besäße und die Gelegenheit bekäme, Hitler persönlich gegenüberzustehen, dann würde sie abdrücken: „Wenn es die Männer nicht machen, muss es eben eine Frau tun!“ 

Kampf mit Worten

Doch der Gruppe blieb nur die Macht des Wortes: Ab Juni 1942 druckte sie eine erste Serie von vier Flugblättern. „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen“, war im ersten Flugblatt zu lesen. Das zweite geißelte die allgemeine Apathie angesichts der Ermordung der Juden. Das dritte Manifest rief zur Sabotage in kriegswichtigen Betrieben und zu passivem Widerstand auf. 

Im vierten hieß es: „Obgleich wir wissen, dass die nationalsozialistische Macht militärisch gebrochen werden muss, suchen wir, eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen.“ Wie könnten Christen überhaupt noch zögern, Hitler entgegenzutreten? „Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen?“ Das Flugblatt endete mit dem provokanten Versprechen: „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“ 

Dass jene Arbeit weitergehen konnte, war vor allem Sophie Scholl zu verdanken. Ihr Bruder Hans, Graf und Schmorell wurden von Juli bis November 1942 als Wehrmachtssanitäter an die Ostfront eingezogen und dort Zeugen der NS-Kriegsverbrechen. Hans Scholl assistierte Tag und Nacht bei Operationen in den Feldlazaretten. Jene Erfahrungen prägten die Formulierungen im fünften Flugblatt von Ende Januar 1943, das sogar als Zukunftsvision ein föderales Deutschland in einem vereinten Europa nannte. Die Flugblätter zirkulierten schließlich in Augsburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Hamburg, Salzburg, Linz und Wien. 

Nach dem Bekanntwerden der Katastrophe von Stalingrad hofften die Aktivisten auf eine breite Volkserhebung: Als etwa im Januar 1943 bei einer Rede an der Münchner Universität der Gauleiter Paul Giesler die männlichen Studenten als Drückeberger beschimpfte, erntete er Proteste von Kriegsteilnehmern. Hans Scholl, Ale­xander Schmorell und Willi Graf schrieben die Parolen „Nieder mit Hitler“ und „Freiheit“ an Häuserwände. 

„Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad“, hieß es im sechsten Flugblatt, entworfen von Kurt Huber: „Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen, zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat.“ Jenes sechste Flugblatt gelangte über Skandinavien nach England und wurde in Sendungen der BBC verlesen. Ende 1943 wurden tausende Abdrucke von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. 

Auf frischer Tat ertappt

Am 18. Februar 1943 – der Tag von Goebbels berüchtigte Rede im Sportpalast – verteilten Hans und Sophie Scholl Flugblätter in der Universität und warfen einen Blätterstapel von der Treppenbalustrade in den Lichthof. Ein Hausmeister beobachtete sie und hielt sie fest, bis die Gestapo kam. Es folgten viertägige Verhöre im Wittelsbacher Palais. Zu allem Unglück fand man bei Hans Scholl einen Flugblatt-Entwurf von Christoph Probst mit dem Satz: „Hitler und sein Regime müssen fallen, damit Deutschland lebt!“ 

Probst wurde am 20. Februar 1943 in Innsbruck festgenommen. In der Haft ließ er sich taufen, ein letztes Wiedersehen mit Frau und Kindern wurde ihm verwehrt. „Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele, nur wagen sie es nicht, es auszusprechen“, sagte Sophie Scholl zur Anklageschrift. Für den Schauprozess am 22. Februar 1943 war sogar Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofs, nach München gekommen. Die Verhandlung endete nach wenigen Stunden mit der Verkündung der Todesurteile. Noch am gleichen Tag wurden Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst in Stadelheim mit der Guillotine hingerichtet. „Es lebe die Freiheit!“, waren Hans Scholls letzte Worte. 

Graf war ebenfalls am 18. Februar 1943 festgenommen worden. Schmorell konnte fliehen, wurde aber am 24. Februar 1943 in einem Münchner Luftschutzkeller verhaftet. In einem zweiten Prozess am 19. April 1943 gegen 14 Mitglieder der Weißen Rose verurteilte Freisler auch Huber, Schmorell und Graf zum Tode. Am 13. Juli 1943 wurden Schmorell und Huber in Stadelheim hingerichtet. Am 12. Oktober 1943 starb Willi Graf unter dem Fallbeil – er hatte einen Abschiedsbrief aus dem Gefängnis schmuggeln können mit der Botschaft an seine Freunde: „Sie sollen weitertragen, was wir begonnen haben.“

Michael Schmid

Gedenkfeier

Am Sonntag, 18. Februar, findet in München ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Universitätskirche Sankt Ludwig mit Weihbischof Bernhard Haßlberger statt. Schüler tragen in einer szenischen Lesung Ausschnitte aus Briefen und Tagebüchern von Mitgliedern der Weißen Rose vor. Im Anschluss findet im Pfarrsaal ein Zeitzeugengespräch mit der 98-jährigen Eva Hönigschmid statt, die während ihres Studiums in München mit Schmorell und Probst befreundet war. Am 22. Februar ist eine Gedenkfeier in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim mit anschließendem Gang zu den Gräbern angesetzt.

Seligsprechung für Willi Graf?

MÜNCHEN (mk) – Das Erzbistum München-Freising will prüfen, ob für Willi Graf, Mitglied der „Weißen Rose“, die Möglichkeit einer Seligsprechung besteht. Dazu wird eine Voruntersuchung eröffnet, in der sich Theologen und Historiker mit dem Leben und den Schriften Grafs befassen. Am Ende der Voruntersuchung steht gegebenenfalls die Eröffnung eines Seligsprechungsprozesses. 

Willi Graf wurde vor 100 Jahren, am 2. Januar 1918, im rheinischen Kuchenheim geboren und engagierte sich im katholischen Schülerbund Neudeutschland und in der Liturgischen Bewegung. Ab 1937 studierte er in Bonn Medizin, wurde 1940 als Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen und 1942 zur Fortsetzung des Medizinstudiums nach München geschickt. Hier schloss Graf sich der Gruppe der Weißen Rose an, die in Flugblättern zum Widerstand gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime aufforderte. 

„Willi Graf hat lange mit sich gerungen, ob er es verantworten kann – auch gegenüber seinen Angehörigen – aktiven Widerstand zu leisten“, sagt Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, im Interview mit der Münchner Kirchenzeitung. Er habe ein sehr klares Bewusstsein von Recht und Unrecht gehabt. „Als sehr junger Mensch ist er geprägt worden durch die katholische Jugendbewegung und den Reformkatholizismus, die seine Gewissensbildung maßgebend beeinflusst haben“, erklärt die Stiftungsvorsitzende.

Am 18. Februar 1943 wurde Graf festgenommen und am 19. April zum Tode verurteilt. Schließlich wurde er am 12. Oktober im Gefängnis München-Stadelheim hingerichtet. 

Für die Voruntersuchung, die nun beginnen soll, wird ein Postulator ernannt, der sie inhaltlich begleitet und organisiert. Er befasst sich mit Grafs Leben und seinem Ruf unter den Gläubigen. Theologische Gutachter prüfen die Schriften des Widerstandskämpfers. Gutachter aus den Archiv- und Geschichtswissenschaften machen unveröffentlichte Schriften und Schriften aus seinem Umfeld ausfindig.

16.02.2018 - Deutschland , Historisches