Mediziner und Epidemiologe

Für die WHO nach Berlin

Als einer der ersten ausländischen Experten war Chikwe Andreas Ihekweazu zu Beginn der Corona-Pandemie mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Wuhan, China. Im November tritt der Mediziner und Epidemiologe sein Amt als Direktor des neueröffneten „Hub für Pandemieaufklärung“ der WHO in Berlin an. Die Zentralstelle, englisch „hub“, wurde vor kurzem eröffnet. Im Exklusiv-Interview spricht der gebürtige Hamburger über den Kampf gegen Pandemien, was ihn besonders mit Deutschland verbindet und seinen Glauben. 

Herr Ihekweazu, Sie waren Teil der WHO-Mission, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie nach Wuhan gereist ist. Was haben Sie dort erlebt?

Von Wuhan hatte ich zuvor noch nie gehört. Unser Forschungsteam ist dort in der Nacht angekommen. An einem Bahnhof, der fast so groß wie der Pariser Flughafen Charles de Gaulle  ist – und menschenleer war. Wie auch die ganze Stadt, dabei hat Wuhan elf Millionen Einwohner, somit eine ähnliche Dimension wie Lagos in Nigeria mit 14 Millionen Einwohnern. Drei Tage waren wir vor Ort und haben erfahren, was es heißt, wenn eine Stadt im Lockdown ist, menschenleer, eine vollkommen neue Erfahrung. Allerdings hatten wir Sondergenehmigungen, konnten uns bewegen. Ich war beeindruckt, wie die Gesellschaft reagiert hat, um Übertragungen zu verhindern, ebenso, wie die Versorgung der Infizierten in den Krankenhäusern funktionierte. 

Über die genaue Herkunft des Virus wurde in den Medien viel spekuliert. Von welchem Ursprung gehen Sie aus?

Ich halte nichts von Spekulationen. Noch kennen wir den Ursprung von Coronavirus Sars-CoV-2 nicht, auch deswegen forschen wir jetzt auch länderübergreifend intensiv, um besser auf Pandemien vorbereitet zu sein – und deswegen komme ich zurück nach Deutschland.

Sie sind 1971 in Hamburg geboren und in Nigeria aufgewachsen. Was für Erinnerungen haben Sie an Deutschland?

Ich war drei Jahre alt, als meine Eltern nach Nigeria zogen, und kann mich nicht an meine ersten Lebensjahre erinnern. Wir sind aber oft in Hamburg beziehungsweise Ahrensburg gewesen und haben dort meine Großeltern besucht. 

Ihre Eltern haben sich als Studenten in Hamburg kennengelernt?

Ja, auch deswegen hat Hamburg einen besonderen Platz in meinem Herzen. In den 1960er Jahren gab es eine Reihe von Nigerianern wie meinen Vater, die die lange und schwierige Reise nach West-Deutschland machten, um sich weiterzubilden, beruflich voranzukommen und schließlich eine neue Sprache und Kultur kennenlernten und eine Familie gründeten. 

Nach Ihrem Medizinstudium haben Sie in Düsseldorf 1998 Public Health studiert. Was hat Sie daran interessiert? 

Mein anfängliches Interesse entstand aus Neugierde. Ich bereitete mich auf ein weiterführendes Studium zum Chirurgen vor, und während ich darauf wartete, beschloss ich, mich für einen Master in Public Health, öffentliche Gesundheit, an der Heinrich-Heine-Universität einzuschreiben. 

Public Health durchbrach für mich die Monotonie der Medizin und bot mir die Möglichkeit, mich mit komplexen Problemen auseinanderzusetzen, auf die es keine einfachen Antworten gab. Dies war eine Zeit, in der in Deutschland viel über die Gesundheitsreform diskutiert wurde.

Danach waren Sie am Robert Koch-Institut tätig, in London und Südafrika. In Nigeria wurden Sie 2016 Generaldirektor der Seuchenbekämpfungsbehörde. Jetzt ruft Berlin. Worauf freuen Sie sich besonders?

Ich freue mich darauf, nach Berlin zurückzukehren, wo meine Karriere begann. Vom RKI aus nahm ich an meiner ersten internationalen Konferenz über HIV/Aids teil, die im Jahr 2000 in Südafrika stattfand. Von da an wusste ich, dass ich für den Rest meines Lebens im Bereich der Epidemiologie von Infektionskrankheiten arbeiten wollte. Ich freue mich darauf, in einer Organisation – der WHO – zu arbeiten, die ein so wichtiges Mandat hat, und ich freue mich darauf, das seltene Privileg zu haben, auf eine der größten Herausforderungen unserer Lebenszeit reagieren zu können.

Wie haben Ihre globalen Wissenschafts-Kollegen auf die Nachricht des Pandemic Hub reagiert?

Die Reaktionen waren sehr wohlwollend und hoffnungsvoll, aber auch ein wenig besorgt. Das ist nicht unerwartet, denn die Aufgabe, die vor uns liegt, ist äußerst schwierig, und jeder ist sich dessen bewusst. Aber wir haben eine kollektive Verantwortung, eine neue, kühne Vi­sion für Public Health Intelligence zu schaffen. Wir befinden uns immer noch mitten in einer Pandemie, die inzwischen fast fünf Millionen Menschenleben gefordert hat! Allen meinen Kolleginnen und Kollegen ist klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.

In Deutschland ist wenig über die Pandemie-Expertise in Afrika bekannt …

Ein wichtiger Fortschritt, der in der afrikanischen Region seit dem Ausbruch von Ebola und Typhus in Westafrika erzielt wurde, ist die Entstehung des Africa Centers for Disease Control and Prevention (Africa CDC). Das afrikanische Zen­trum für Seuchenbekämpfung und Schutzmaßnahmen ist eine gesetzliche Institution der Afrikanischen Union mit Hauptsitz in Addis Abeba, Äthiopien. 

Bevor der erste Ebola-Fall in Nigeria – ein Land mit mehr als 200 Millionen Einwohnern – auftrat, unterstützte das Africa CDC die Ausbildung von Laborwissenschaftlern und Risikokommunikationsbeauftragten, die wiederum andere schulten. Durch diese Koordinierungsfunktion konnten wir andere Länder auf der Grundlage unserer Kapazitäten unterstützen. So hat Nigeria über das Nigeria Center for Disease Control (NCDC) die Schulung zur Infek­tionsprävention für andere Länder geleitet, während das Institut Pasteur in Dakar, Senegal, die Laborschulung übernommen hat. 

Was werden Sie als Hub-Leiter als Erstes tun?

Mein wichtigstes Ziel ist, ein gutes Team zusammenzustellen und Netzwerke in der ganzen Welt aufzubauen. Wir brauchen eine breite Koalition, sonst bringen die besten Absichten nichts, egal, wieviel Geld und technische Expertise man zur Verfügung hat. Darüber hinaus ist der wichtigste Wert Vertrauen. Bei unserer Arbeit wird es immer wichtiger, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Neben traditionellen Medien sind die sozialen Medien ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Denn wir müssen die Menschen dort erreichen, wo sie sind. Ebenso wichtig ist es zuzuhören, bevor man viel spricht. Das wird meine erste Aufgabe sein: intensiv zuhören und dann die Medienarbeit gestalten. 

Sie sind Wissenschaftler, wie halten Sie es mit dem Glauben?

Mein katholischer Glaube ist immer wichtig gewesen. Aber es reicht nicht aus, Glauben zu haben – er muss unser tägliches Handeln leiten, nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch in Bezug darauf, wie wir zu den großen Entscheidungen beitragen, die das Leben anderer betreffen. Diese „anderen“ sind nicht nur unsere Nachbarn, sondern manchmal auch Menschen, die Kontinente voneinander entfernt leben. 

Um es mit Goethe zu sagen: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

Interview: Sandra Goetz

14.10.2021 - Forschung , Politik , Wissenschaft