Zum „Gedenktag“ am 19. August

Wie die Kartoffel die Welt prägte

Die Kartoffel − das klingt nach einem recht durchschnittlichen Nahrungsmittel. Ob nun in Form von Salz- oder Pellkartoffeln, als Bratkartoffeln, Püree oder Grundlage von Pommes Frites: Die Kartoffel erscheint heute alltäglich, wurde zeitweise schon als altbacken abgestempelt. Und alt – das ist sie tatsächlich: Jahrtausende hat die Knolle auf dem Buckel. Und mit dem „Tag der Kartoffel“ am 19. August sogar einen eigenen „Gedenk“-Termin.

Im Umkreis der spanischen Erobererfamilie Pizarro wurden um das Jahr 1526 „mehlige Wurzeln von gutem Geschmack“ in Südamerika entdeckt. Diese waren zuletzt bei den Inkas und schon Jahrtausende zuvor unter widrigen Klimabedingungen im kalten Hochland der Anden in Peru und Bolivien angebaut worden. Auf dem europäischen Festland riss man sich zunächst nicht um das exotische Mitbringsel. 

Vielmehr gab es allerhand Vorbehalte gegen den Verzehr, so dass die an sich sehr nährstoffreiche Kartoffel noch gute 100 Jahre als Zierpflanze in den botanischen Gärten feudaler Adelsherren zu finden war. Die Kirche warnte vor der unterirdischen „Frucht des Teufels“ und selbst Ärzte hatten mitunter Bedenken: Tatsächlich enthalten Kartoffeln in geringen Mengen das Pflanzengift Solanin, das Übelkeit, Durchfall und Krämpfe auslösen kann. 

Hungerkrise in Irland

Im 17. und 18. Jahrhundert verbreitete sich der Kartoffelanbau nach und nach in Europa aus. Die Kartoffel erwies sich als nährstoffreich und ließ sich auch unter kargen Bedingungen in Kriegs- und Unruhezeiten gut anbauen. In Irland half die Kartoffel, 1662 eine Hungerkrise zu überwinden. Schließlich machte sie rund 80 Prozent der Ernährung aus. Ein rasanter Anstieg der Bevölkerung war die Folge – bis zur großen Hungersnot von 1845 bis 1848: Eine Million Menschen starben, als die Kartoffelfäule das Grundnahrungsmittel vernichtet hatte. 

In Deutschland wurde die Kartoffel ebenfalls seit Mitte des 17. Jahrhunderts in einigen Regionen feldmäßig angebaut, etwa in West- und Süddeutschland. Die erste Einzelperson, die Kartoffeln um 1647 angepflanzt haben soll, war ein gewisser Hans Rogler aus dem bayerischen Teil des Vogtlands. Dieser hatte die Knolle bei einem Besuch an der Grenze zu Böhmen kennengelernt und witterte wohl eine Chance, den üblichen Kirchenzehnten zu sparen. Denn noch stand die Kartoffel nicht auf der Liste der abgabepflichtigen Feldfrüchte. 

Ob das nun historisch korrekt ist, bleibt ungewiss, aber nach und nach setzte sich die Anbaufrucht vor allem in Landstrichen mit kargen Böden durch, etwa im Erzgebirge oder im Vogtland. Mehrere Getreidemissernten im späten 17. und im 18. Jahrhundert ließen etliche Bauern den Wert der Kartoffel als Nutzpflanze erkennen. 

Und dann gab es noch Preußenkönig Friedrich II. (1712 bis 1786), der die Kartoffel als zuverlässige und günstige Nahrungsquelle für sein wachsendes Reich betrachtete und die Anpflanzung befürwortete. Als die Bevölkerung die kostenlos verteilten Knollen nicht zu akzeptieren schien, ordnete der König den Anbau per Dekret an. Das half während des Siebenjährigen Kriegs (1756 bis 1763), die Hungersnot zu lindern. So entstand der Mythos vom „Alten Fritz“ als „Kartoffel­könig“. Noch heute legen Besucher Knollen auf dessen Grab am Schloss Sanssouci in Potsdam. 

Retter in der Not

Das Wort „Kartoffel“ geht übrigens auf das italienische „tartufo“ (Trüffel) zurück. Man verwechselte die Kartoffel wohl zunächst mit dem ebenfalls unterirdisch wachsenden knollenartigen Trüffel. Anders als jener wurden die „Erdäpfel“ – in manchen Regionen sind auch Bezeichnungen wie „Grundbirne“ üblich – über die Jahrhunderte hinweg nie als Gourmetspeise wahrgenommen, sondern stets als Retter in der Not. 

Auch während der Industrialisierung konnten weite Teile der sich herausbildenden Arbeiterschichten nur durch die billigen Kartoffeln satt werden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Bevölkerung im ausgebombten und von Flüchtlingen überquellenden Deutschland mit Kartoffeln wenigstens notdürftig ernährt werden.

Nie wurden in Deutschland so viele Kartoffeln angebaut wie in den ersten Nachkriegsjahren. Der Pro-Kopf-Verbrauch stieg auf mehr als 200 Kilogramm. Zum Vergleich: Im Jahresdurchschnitt 2019/20 waren es nur noch rund 57 Kilo. Trotzdem gilt die Knolle nach wie vor als charakteristischer Bestandteil der europäischen Speisekultur. 

„Sonderliche Gewächse“

Die Kartoffel eignet sich besonders als Beikost: Bratkartoffeln etwa wurden früher wie heute als Reste­essen zubereitet. Bereits ein Braunschweiger Anleitungsbuch „für allerlei sonderliche Gartengewächse“ aus dem Jahr 1651 führt die Bratkartoffel. Aber auch eine Resteverwertung ist nicht beliebig, wenn sie gelingen soll: Meist verwendet man dafür in der Schale gekochte Kartoffeln vom Vortag. 

Ebenso wichtig: Bratkartoffeln benötigen zunächst starke und dann milde Hitze, da sie sonst verkohlen und bitter werden. Klassisch ist die Kombination mit Speck und Zwiebeln, wobei zuerst der fein gewürfelte, durchwachsene Speck in etwas Fett ausgelassen wird. Dann folgen die Kartoffeln und zuletzt die Zwiebeln. Gewendet wird, wenn die unteren Kartoffeln braun sind. Danach darf die Pfanne, die nicht zu voll sein sollte, nicht mehr zugedeckt sein.

Kartoffelchips aus Bratkartoffeln

Auch die Erfolgsgeschichte der Kartoffelchips soll mit Bratkartoffeln begonnen haben. 1853 bestellte ein Gast in einem New Yorker Res­taurant Bratkartoffeln, die er bei Erhalt als zu dick beanstandete und zurückgehen ließ. Nach mehrmaligem Hin und Her soll der erboste Koch George Crum die Kartoffeln schließlich in hauchdünne Blättchen gehobelt und in heißem Fett schwimmend ausgebacken haben. 

Der Gast war begeistert und fortan servierte Crum die Kartoffelchips als Beilage an jedem Tisch. Aus einer kulinarischen Katastrophe wurde so eine kulinarische Entdeckung – und das alles auf der Grundlage der guten alten Kartoffel.

Irene Krauß

12.08.2021 - Ernährung , Historisches