Sie ist das bekannteste deutsche Gesicht von Fridays for Future: Luisa Neubauer (25) ist seit Anfang 2019 eine der führenden Aktivistinnen der Klima-Protestbewegung im Land. Ihr gesellschaftspolitisches Engagement begann die studierte Geografin in ihrer Kirchengemeinde. Im Interview spricht sie über den Einsatz der Kirchen für den Schutz der Schöpfung und mächtige Momente gemeinschaftlichen Gebets.
Sie haben in Ihrer Kirchengemeinde begonnen, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Welche Rolle spielen Ihre christlichen Wurzeln für Sie als Klimaaktivistin heute noch?
Durch meine Arbeit als Jugendleiterin in meiner Kirchengemeinde habe ich früh Erfahrungen damit gemacht, welchen Unterschied Gemeinschaften machen können, wenn sie zusammenhalten und gemeinsame Ziele verfolgen. Diese Erfahrung, als Teil einer Gruppe etwas bewirken zu können, hat mich schon geprägt. Wir wissen, dass wir die Klimakrise nur gemeinsam bewältigen können. Da hilft es, wenn man erfahren hat, wie bewegend Gemeinschaften sein können.
Mittlerweile heißt es oft, als Christin oder Christ könne man ja gar nicht anders, als sich für den Klimaschutz einzusetzen. Wie sehen Sie das?
Das würde ich so nicht sagen, schließlich ist eine der größten Parteien Deutschlands eine, die das C zwar im Namen hat, aber ununterbrochen demonstriert, dass das zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können: sich als christlich zu bezeichnen – und im Sinne des Klimaschutzes zu handeln. Ich glaube aber, Christin oder Christ zu sein – oder auch in anderen Formen zu glauben – kann zusätzliche Türen zu dem Gedanken öffnen, dass wir hier etwas Großartiges und Schützenswertes zu verlieren haben – und teilweise schon verloren haben. Jedes Jahr sterben bis zu 2000 Arten aus, die Zukunftsperspektiven für junge Generationen werden immer schlechter. Wir sind gefragt, alles, was in unserer Macht steht, dafür zu tun, um unvorstellbare humanitäre, ökonomische und ökologische Katastrophen zu verhindern. Soweit es noch geht.
Inwiefern hilft dabei der Glaube?
Im christlichen Glauben beispielsweise wird viel Anleitung und Hilfestellung dazu gegeben, mit welcher Haltung man sich der Schöpfung zuwenden könnte. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir die Klimakrise nicht des Klimas, sondern der Menschheit wegen aufhalten müssen. Das Klima hat keine Krise. Wir Menschen haben eine Krise. Denn wir haben das, wovon wir abhängen, so zugerichtet, dass wir uns nun Existenzfragen stellen müssen. Wir brauchen also nicht nur ein Bewusstsein dafür, dass wir jetzt schnell Emissionen reduzieren müssen. Es braucht auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit unserem Selbstbild: Wer sind wir in der Welt? Was machen wir aus ihr? Bei all dem kann ein christlicher Glaube in meinen Augen durchaus helfen, wenn man sich darauf einlassen möchte.
Was entgegnen Sie Christen, die die Klimakrise leugnen oder infrage stellen, dass wir sie bekämpfen müssen?
Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem man die Klimakrise nicht mehr rhetorisch leugnet, sondern praktisch: Man erklärt sich zum Pariser Klimaabkommen, während man Kohlekraftwerke baut, Gaspipelines verlegt und Wälder rodet. Letztendlich verhalten sich einige politische Parteien dadurch so, als gäbe es die Klimakrise nur auf dem Papier, nicht aber in der wirklichen Welt. Stattdessen wurde in den vergangenen Jahren Klimaschutz systematisch boykottiert, indem etwa der Kohleausstieg verzögert wurde, Grenzwerte für Abgase heruntergehandelt und der Windausbau blockiert wurde. Dadurch hat die Politik die Klimakrise weiter befeuert.
Wen meinen Sie damit konkret?
Ich erlebe es in meiner Arbeit ununterbrochen, dass Menschen, die sich zumindest formell nah genug am Christentum sehen, um in eine christliche Partei einzutreten, demonstrativ die Klimakrise vorantreiben und durch ihr Handeln implizieren, es sei alles nicht so schlimm. Dazu kommt eine nächste, beunruhigende Dimension der wirtschaftlichen Verstrickungen: So wie beim ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU), der den Kohleausstieg mitverhandelt hat und später Aufsichtsratsvorsitzender bei einem Kohlekonzern geworden ist.
Wie reagieren Sie darauf, dass Politiker entgegen ihrer christlichen Werte handeln?
Wir versuchen, uns dem entgegenzustellen. Das Schöne dabei ist, dass wir das nicht alleine machen, sondern dass sich sehr viele christliche Gemeinden, aber auch andere religiöse Institutionen für Klimagerechtigkeit aussprechen und demonstrieren, dass es anders gehen kann.
Mittlerweile haben sich zahlreiche Untergruppen zu Fridays for Future gebildet, darunter die christlichen Initiativen Churches for Future und Christians for Future. Wie relevant sind sie für die Klimaschutzbewegung?
Unfassbar wichtig! Das sollte man nicht unterschätzen. Für uns als Klimaschutzbewegung ist es einerseits wichtig, Konflikte auszutragen – etwa mit der Politik. Gleichzeitig müssen wir Verbündete suchen und Allianzen schmieden. Um Menschen zu motivieren, müssen wir verschiedene Zugänge finden.
Wie meinen Sie das?
Wir jungen Aktivistinnen und Aktivisten bei Fridays for Future werden Menschen, die spirituell interessiert oder christlich engagiert sind, nicht alleine davon überzeugen können, sich der Sache anzuschließen. Eine Gemeinde, die sich für den Klimaschutz engagiert, kann eine andere Gemeinde viel besser als wir dazu motivieren, es ihr gleichzutun. Diese Gemeinde überzeugt dann wiederum andere Gemeinden, man ist selbst ein Vorbild für den Nächsten. So ist aus einer einzelnen Gemeinde, die etwas verändern will, eine Bewegung entstanden. Churches for Future haben sich mittlerweile Dutzende christliche Institutionen angeschlossen. Wir kooperieren aber auch mit anderen religiösen Institutionen, wie etwa der Muslimischen Jugend.
Wie könnten die Initiativen innerhalb der Kirche mehr Unterstützer und Relevanz gewinnen?
Man hört ja oft, dass alle nur noch über das Klima reden würden – aber ich glaube, man unterschätzt immer noch sehr, wie extrem niedrig der tatsächliche Grad an Bewusstsein ist. Bei vielen Menschen ist mittlerweile zwar die Botschaft angekommen, dass etwas mit dem Klima nicht stimmt. Aber die wenigsten Menschen haben das Gefühl, dass es auf sie persönlich ankommt und dass sie persönlich einen Beitrag leisten können. Deswegen ist es sehr entscheidend, dass auch die Mitglieder der deutschen Kirchen anfangen, sich diesem Thema selbstbewusster und lauter zu stellen.
Wie genau sollen sie das tun?
Das wissen engagierte Menschen innerhalb der Kirchen natürlich viel besser als ich. Mein Eindruck ist: Sie könnten ihre Bühnen und Plattformen dafür nutzen, andere zu informieren und sie dazu einladen, sich anzuschließen. Gleichzeitig müssen sie in meinen Augen aber auch mutiger auf das hinweisen, was schiefläuft: dass christliche Institutionen in diesem Land zum Beispiel immer noch Anteile an fossilen Konzernen haben und selbst keine Pläne haben, klimaneutral zu werden. Das ist für mich ein eklatanter Widerspruch, dem sich viele kirchliche Akteure noch werden stellen müssen.
Viele katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen haben aber auch Klimaschutzmanager eingestellt oder setzen auf E-Autos. Wie glaubwürdig ist der Klimaschutz der Kirchen Ihrer Meinung nach?
Ich wäre sehr vorsichtig, pauschal von „den Kirchen“ zu sprechen. Wir sehen an vielen Orten, dass Gemeinden anfangen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Das ist großartig. Gleichzeitig müssen sie aber auch den Anstoß für eine ehrliche Selbstreflexion geben. Wenn die Kirchen sich nicht selbst hinterfragen, werden es andere tun. Es passiert ja schon, dass sich Kampagnen gegen Bistümer richten. Da wäre es eine gute Gelegenheit zu sagen: Wir stellen uns der Sache selbstständig und beweisen, dass wir es ernst meinen.
Sie meinen die Kampagne gegen das Bistum Aachen? Damit der Konzern RWE im Rheinischen Braunkohlerevier mehr Kohle fördern kann, sollen dort Dörfer und Kirchengebäude abgerissen werden. Das Bistum Aachen hat dem Verkauf der Kirchen zugestimmt.
Die Kirchen sind gefragt, Verstrickungen wie diese zu beenden und sich den betroffenen Menschen zuzuwenden. Drei rheinländische Kirchengebäude sollen noch für die Braunkohleförderung abgerissen werden. Verantwortet durch den gläubigen Katholiken Armin Laschet – Stichwort Widersprüche. Wir bräuchten so dringend eine Kirche, die für den Erhalt dieser Gebäude kämpft – und nicht angesichts der politisch anvisierten Klima-, Dorf- und Kirchenzerstörung klein beigibt. Umso wichtiger ist es, dass sich Gemeinden jetzt zusammenschließen und dagegen protestieren – was ja teilweise auch schon passiert. Aber die Menschen vor Ort brauchen noch mehr Unterstützer.