Gedenktag am 26. Juli

Heilige Anna – durch sieben Schlösser gesichert

Der Ort strahlt Geborgenheit aus, bereitet ein warmes Willkommen. Per Bewegungsmelder öffnet sich das Portal an der Südseite der Kirche automatisch. Dahinter versiegt der Strom des städtischen Trubels. Stille greift um sich. Im Vorraum findet sich für Pilger ein Stempel zur Selbstbedienung. Immer wieder treten Gläubige ein. 

Annahaupt – ein wertvolles Reliquiar

Im Halbdunkel der Pilgerhalle flackern Kerzen. Ihre Spiegelungen fluten als Lichterteppich über den Boden. Wie magnetisch zieht das Heiligste die Blicke an, animiert zum Innehalten, zum Gebet: ein schmiedeeiserner Gitterschrein, der auf Säulen ruht und ein winziges Satteldach trägt. Er birgt das „Annahaupt“, ein wertvolles Reliquiar, das seit über einem halben Jahrtausend Verehrung genießt. 

Zu Hause ist es im rheinischen Düren, in der Kirche St. Anna, deren Fassadenkleid aus Buntsandstein besteht. Ihr 50 Meter hoher Turm ist das Wahrzeichen der Kreisstadt und zugleich ein Mahnmal, denn die vormals gotische Prachtkirche wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Am selben Platz steht bereits seit über 1300 Jahren eine Kirche. Ursprünglich war sie dem heiligen Martin geweiht.

Kirche von Bomben zerstört

Der Luftangriff britischer Bomber am 16. November 1944 ging als schwärzester Tag in Dürens Geschichte ein. Bald danach begannen die Menschen, auf den Trümmern „Kerzen als Ausdruck der Hoffnung auf einen Neubeginn“ zu entzünden, sagt Pfarrer Hans-Otto von Danwitz. Der Wiederaufbau in den 1950er Jahren geriet zu einem der bedeutendsten Sakralbauten der Nachkriegsmoderne in Deutschland. Eingearbeitet wurden Trümmerteile des Vorläufers.

Anna-Oktav als "stille geistliche Woche"

Die Kirche trägt den Namen der heiligen Anna, der Großmutter Jesu, der Mutter Mariens. Ihr Festtag steht am 26. Juli an, natürlich auch in Düren. Traditionell ist er dort verbunden mit der Anna-Oktav, die in diesem Jahr durch die Corona-Umstände bis 2. August als „stille geistliche Woche“ begangen wird. Die Annakirmes, eines der bekanntesten Volksfeste im Rheinland, fällt aus. Die Verehrung der Heiligen aber ist durch die Auswirkungen der Pandemie vielleicht noch intensiver als sonst.

Was verbindet die heilige Anna gerade mit Düren? Die Kirchenbroschüre erhellt die Hintergründe aus dem Jahr 1501: „Der aus Kornelimünster stammende 25-jährige Steinmetz Leonhard arbeitete in der Stiftskirche St. Stephan in Mainz; er entwendete und übertrug die Annareliquie nach Düren.“ Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Leonhard wurde in Mainz um seinen Lohn geprellt. Er nahm das Recht in die eigene Hand – und zum Ausgleich dieses Objekt mit. 

Ein Fall von Selbstjustiz also und nicht von herkömmlichem Diebstahl. Zumindest aus Dürener Sicht. Darüber entbrannte ein Disput mit Mainz, der laut dem Kirchenheft so endete: „Nach mehrjährigen Auseinandersetzungen, in die sich neben Kaiser Maximilian auch zahlreiche andere bekannte Persönlichkeiten wie Bischöfe, Kardinäle und Herzöge einschalteten, entschied 1506 Papst Julius II. den Verbleib der St.-Anna-Reliquie in Düren.“ 

Verehrt wird diese als Annahaupt. Streng genommen handelt es sich dabei um das Fragment einer Hirnschale, die in ein Büstenreliquiar gefasst und oben freigelegt ist. Die ältesten Teile des golden-silbern glänzenden Reliquiars, das mit Email-Arbeiten verziert ist, datieren aus dem Spätmittelalter. 

Angst vor den Mainzern

Während der Anna-Oktav kommt es zur feierlichen Erhebung des Annahaupts: Das kostbare Reliquiar wird den Gläubigen gezeigt. Dazu wird es über ein System aus sieben Schlüsseln aus seinem Schrein geholt. Jedes der Schlösser besitzt einen anderen Mechanismus – wohl, um potenzielle Langfinger abzuschrecken. „Na ja“, sagt Pfarrer von Danwitz mit Blick auf die Sicherheitsvorkehrungen schmunzelnd, „vor Pilgern aus Mainz haben wir bis heute ein bisschen Angst“.

Andreas Drouve