Kulturerbe der Menschheit

Hier wird ständig blau gemacht

Normalerweise fangen Geschichten über diese alte Handwerkskunst mit dem Satz an: „Hier können Sie Ihr blaues Wunder erleben.“ So soll es auch dieses Mal sein. Schließlich wird es um das Bewahren gehen. Und das ist jetzt nicht ins Blaue hinein gesprochen. 

Der Weg führt in eine der letzten Blaudruckereien in Deutschland. In lediglich neun Betrieben wird noch gedruckt und gefärbt. Der Name kommt nicht von ungefähr, das erkennt selbst der Laie. Im neben der Druckerei befindlichen Laden dominiert ein kräftiger Blauton. Tischdecken, Vorhänge, Tücher und Stoffbahnen füllen die Regale bis unter die Decke – alles von Hand gefertigt, alles Unikate und alles blau, jedenfalls fast. 

Uraltes Färbeverfahren

Elke Schlüter ist die Chefin der Blaudruckerei im westfälischen Lüdinghausen. Sie führt Regie beim blauen Wunder. „Blaudruck ist ein uraltes Färbeverfahren“, sagt sie. „Aber kommen Sie doch mal mit.“ Über eine schmale Stiege geht es in ihr Atelier. Auf einem langen Tisch liegt eine aufgespannte weiße Stoffbahn. Elke Schlüter greift einen mehr als handtellergroßen Holzklotz, einen Model. 

Zu Hunderten liegen sie in Regalen gestapelt. Die Unterseite eines Models ist mit kleinen Drahtstiften, die in einer bestimmten Form angeordnet sind, dicht beschlagen. Diese drückt die Handwerkerin jetzt in den Papp, eine feuchte Masse. „Die Zusammensetzung wird nicht verraten“, wehrt die Blaudruckerin lächelnd die nächste Frage ab. Dann wird der Model mehrfach kräftig auf den Stoff gepresst, so dass allmählich ein blässliches Muster entsteht. 

„Das aber ist nicht das blaue Wunder“, räumt Elke Schlüter ein. Um das zu erleben, geht es in die Färberei. Hier werden die bedruckten Naturtextilien in einen Sternreif gespannt, der dann in die Küpe getaucht wird, einen Brunnen mit 1500 Liter Indigo-Lösung. „Ein Färbevorgang dauert etwa 20 Minuten. Je nach gewünschtem Blauton muss ich den Vorgang wiederholen.“ 

Danach werden die Reste des farb­abweisenden Papps herausgespült. „Der Begriff kommt übrigens aus dem Niederländischen und bedeutet Brei“, klärt die Blaudruckerin auf. Sobald das Färben abgeschlossen ist, beginnt die Oxidation. „Der zunächst gelblich-grüne Stoff wird allmählich blau.“ Ein richtiges Wunder ist das zwar nicht. Aber die Redensart dürfte genau diesem Prozess entstammen. Der Clou des Ganzen: Die mit dem Papp bedruckten Stellen sind weiß geblieben.

Ende November hat die Unesco dieses traditionelle Färbeverfahren, dessen Techniken sich über Jahrhunderte kaum verändert haben, in die internationale Liste des Immateriellen Weltkulturerbes eingeschrieben. Den Antrag stellten fünf Länder gemeinsam: Deutschland, Österreich, die Slowakei, Tschechien und Ungarn. 

Den Antrag mitformuliert hat Ulf Ahrens aus Einbeck. „So war der Titel keine große Überraschung für uns Initiatoren“, äußert der Blaudrucker. „Wir waren sehr optimistisch, dass die Unesco dieses alte und heute sehr seltene Handwerk anerkennen würde.“ Ahrens hat mit Ursula Schwerin vor einigen Jahren die älteste Blaudruckerei Europas übernommen. In ihr wird seit 1638 durchgehend gedruckt und gefärbt. 

Der Blaudrucker, der bei seinem Vorgänger gelernt und gearbeitet hat, verschweigt die schwierige wirtschaftliche Lage nicht. „Wie die meisten müssen auch wir zusätzliche Produkte wie Schmuck anbieten, um überleben zu können.“ Der Verkauf übers Internet sei nicht die Zukunft: „Unsere Stoffe muss man sehen und anfassen können.“ 

Tradition soll weiterleben

Einen besonderen Weg geht Josef Koó im österreichischen Burgenland. „Damit die Tradition des Handwerks weiterleben kann, bedrucken wir nicht nur Stoffe, sondern auch Schuhe und Taschen aus Leder“, erläutert der Blaudrucker aus Steinberg-Dörfl. Koó, der einen 100 Jahre alten Familienbetrieb führt, ist einer der beiden verbliebenen Blaudrucker in Österreich. „Unser Handwerk, das sich seit Generationen kaum verändert hat, ist wie ein Gegenentwurf zur Globalisierung“, meint er. 

Die Ursprünge des Blaudrucks liegen in Indien. Von dort wurde das Verfahren zusammen mit der Färbepflanze Indigo von holländischen Seefahrern nach Europa gebracht. „Im 18. und 19. Jahrhundert gab es fast in jedem Dorf einen Betrieb“, erzählt Ulf Ahrens. „Vor allem dort, wo Flachs, der Rohstoff für Leinen, angebaut wurde, wie bei uns im Münsterland“, ergänzt Elke Schlüter. 

Früher waren die ausschließlich männlichen Blaudrucker so genannte Lohndrucker. Das heißt: Sie bearbeiteten Aufträge. Auch heute kommen Besucher oft mit bestimmten Wünschen zu Elke Schlüter. „Eine Kundin brachte mir eine Porzellantasse. So wie deren Muster sollte auch der Blaudruck aussehen.“ Meist bringen sie aber alte Weißwäsche, die bedruckt werden soll. 

Die Westfälin setzt zudem viele eigene Entwürfe um. Sie arbeitet mit einer Schneiderin zusammen. „Mein Ziel war es immer, das alte Handwerk dem Zeitgeschmack anzupassen“, erklärt die Designerin, die an der Fachhochschule für Gestaltung in Münster studiert hat. Aus diesem Grunde arbeitet sie zusätzlich zu Indigo auch mit Indanthren, einem Farbstoff, der andere Töne – etwa Rot und Grün – möglich macht. 

Das A und O des Blaudrucks ist nicht etwa das blaue Wunder – es sind die aus verschiedenen Holzarten schichtweise zusammengesetzten Model mit ihren mannigfaltigen Drahtstiftformen. Über 800 hütet Elke Schlüter wie einen Schatz – sehr alte und auch einige neueren Datums. Genauso viele hat Ulf Ahrens in seiner Werkstatt. Sie dokumentieren Stil­epochen vom Barock über Biedermeier bis zu Art Deco. 

Biblische Motive

Die ältesten Model zeigen biblische Motive, etwa den Sündenfall. „Blaudruckereien haben auch Altartücher für die Kirchen produziert und an Weihnachten waren Stoffe mit Krippenmotiven beliebt“, erklärt Elke Schlüter. Der Beruf des Formstechers, der die Model anfertigte, sei so gut wie ausgestorben. 

Was die Zukunft des als Welterbe geadelten Blaudruck angeht, ist Elke Schlüter nicht gerade optimistisch. „Einen Nachfolger aus der Familie wird es nicht geben.“ Ein Übernahmeinteressent ist in Lüdinghausen auch noch nicht auf den Plan getreten. Es kämen zwar wie in Einbeck viele Interessierte – vor allem zu den Gruppenführungen. „Aber dass jemand meinen Job übernehmen will, davon ist mir noch nichts zu Ohren gekommen.“ Ein Ausbildungsberuf ist Blaudrucker schon seit Jahrzehnten nicht mehr. 

Ulf Ahrens bestätigt diese Einschätzungen. „Der fehlende Nachwuchs ist das größte Problem.“ Ob die Unesco-Auszeichnung daran etwas ändern kann? Vermutlich wird das blaue Wunder eines Tages nur noch eine Redensart sein.

Ulrich Traub

13.03.2019 - Deutschland , Kunst