Räume der Kontemplation

Im Schatten der Domtürme

Der Kölner Dom ist die wichtigste Kirche der Stadt. Wer wollte da widersprechen? 25 Jahre ist es her, dass der Dom den Titel eines Weltkulturerbes erhalten hat, den er zwischenzeitlich gegen Hochhauspläne verteidigen musste. Nach Meinung nicht weniger Kunst- und Kulturfreunde sind jedoch die romanischen Gotteshäuser der viel größere Schatz der Domstadt.

Nirgends sonst gibt es einen so reichen Bestand an romanischen Kirchen an nur einem Ort. Und eine viel längere Geschichte als der gotische Dom haben sie natürlich auch. Nicht weniger als zwölf Baudenkmäler aus der Romanik liegen in der Nähe und doch im Schatten der von Touristenstürmen umtosten Hohen Domkirche St. Petrus. 

In diesem Jahr sind alle Augen auf St. Aposteln gerichtet, eine der herausragenden Schöpfungen romanischer Baukunst in Mitteleuropa. Vor 1000 Jahren wurde mit dem Bau der dreischiffigen Basilika, die einen kleineren Vorgänger ablöste, begonnen. Im Sommer soll gefeiert werden. Konzerte, Vorträge, eine Ausstellung – das Programm steht. 

Wer sich dem Gotteshaus vom Neumarkt kommend nähert, steuert auf das Markenzeichen des Gebäudes zu: Drei markante, halbrunde Baukörper mit Giebeln, Kuppeln und Türmen schließen die Kirche nach Osten ab. In römischer Zeit verlief an dieser Stelle die Stadtbefestigung. Eine vermauer­te Tür in der Kirchenwand erinnert noch daran. 

Geht man im Inneren durch das Langhaus auf den Chor zu, wird man ein Querschiff vermissen. Stattdessen liegt zu beiden Seiten der quadratischen Vierung und zum Abschluss des Langhauses ein Drei-Konchen-Chor, eine zu Beginn des 13. Jahrhunderts errichtete bauliche Besonderheit. Die drei gleich großen, halbkreisförmigen Nischen, die Konchen, werden von Kuppeln überwölbt. Das lateinische Kreuz wird hier von einer an ein Kleeblatt erinnernden Bauform ersetzt. Seinen Ursprung hat sie in der Geburtskirche in Bethlehem.  

Apostel als Holzfiguren

Nach dem Großbrand von 1198 begann der Umbau von St. Aposteln zur heutigen Gestalt. So wurden Westchor und -querhaus sowie die Krypta erweitert. Darüber wurde ein fünfgeschossiger Turm hochgezogen, den man in Köln frech „Apostelklotz“ nennt. Der Bauherr der Kirche, Erzbischof Pilgrim, ruht in einem bescheidenen Sarkophag in der Südkonche. Die Namensgeber des Gotteshauses findet man als auf einer Retabel stehende Gruppe hinter dem Altar. Die sehr schlanken Eichenholzfiguren stammen aus dem 14. Jahrhundert. 

Das auffällige Ölgemälde „Die Apostel“ des Künstlers Gerd Mosbach aus dem Jahr 2003 versammelt elf junge Männer, die trotz Tuniken wie Vertreter aus unseren Tagen anmuten. Ihre Gesten drücken die vier Grundzüge christlichen Lebens aus: Nächstenliebe, Gebet und Gottesdienst, Gemeinschaft miteinander und mit Gott sowie die Bezeugung des Glaubens – ein altes Thema in einer modernen Interpretation mitten in einer Kirche aus dem Mittelalter. 

Als vor rund 30 Jahren die Kuppeln des Kleeblatt-Chores von Hermann Gottfried zeitgenössisch ausgemalt wurden, gab es heftige Einwände. Manche sahen in den blassen, meist grauen Szenen aus der Offenbarung des Johannes einen Widerspruch zum romanischen Charakter von St. Aposteln.

Dass dieser nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg überhaupt wieder erlebbar ist, verdankt sich einem Wiederaufbauplan für alle romanischen Kirchen, der im Sinne einer weitgehenden Rekonstruktion vollzogen worden ist. Das erfreut umso mehr, je genauer man sich die Kölner Innenstadt anschaut. Für die Kirchen hätte es schlimm ausgehen können. 

Durch die Jahrhunderte

Natürlich ist kein Kirchengebäude mehr lupenrein romanisch: hier ein gotischer Chor mit hohen Fenstern (in St. Andreas), dort ein Lettner aus der Renaissance (in St. Maria im Kapitol) und als Höhepunkt barocker Heiligenverehrung die Goldene (Reliquien-)Kammer in St. Ursula. 

In St. Severin ist nur noch der Chor reinste Romanik. Dagegen lässt sich in St. Gereon die einzigartige Verschmelzung eines Ovalbaus aus dem vierten Jahrhundert mit einem zehneckigen Kuppelbau (Dekagon) aus dem frühen 13. Jahrhundert erleben. Und St. Cäcilien ist seit 1956 Kulisse für die Mittelalter-Schätze des Museums Schnütgen. 

Auch vom ursprünglichen Farbenreichtum vieler Kirchen ist nicht viel übriggeblieben. Herausragende Ausnahme sind die in den 1880er Jahren wiederentdeckten und freigelegten Fresken aus dem 13. Jahrhundert in St. Maria Lyskirchen, in denen sich Szenen aus Altem und Neuem Testament gegenüberstehen.

Neue Glasfenster bringen vor allem in St. Andreas farbmächtiges Licht ins Kircheninnere. Der Künstler Markus Lüpertz hat sich auf zwölf Fenstern in den gotischen Seitenchören mit dem Leiden der Makkabäer, dem Pietà-Motiv und den Albertus Magnus zugeschriebenen „Neun Sätzen zu einer guten Lebensführung“ auseinandergesetzt. Jetzt sind Langhaus und Vorhalle an der Reihe. Das Petrus-Martyr-Fenster ist vollendet, zehn weitere sollen bald folgen. 

Stadtprägender Turm

Die für viele wohl bekannteste der romanischen Kirchen Kölns ist Groß St. Martin. Kein Foto von der Altstadt am Rhein ohne deren massigen Vierungsturm. Das Gotteshaus hat römische Wurzeln. Es ist über einer Sportanlage errichtet worden, die später als Lagerhalle genutzt wurde. Ausgrabungen im Gotteshaus erinnern daran. Auch in Groß St. Martin ist ein konzentriert schlichter Kleeblatt-Chor Höhepunkt des Raumgefüges. 

Der älteste dieser Chöre in Köln ist in St. Maria im Kapitol zu finden. Der Name der Kirche verweist auf deren Bauort: Sie erhebt sich über den Fundamenten eines römischen Tempels. 

Wer nach Räumen der Ruhe und Kontemplation sucht, ist in den romanischen Gotteshäusern Kölns, denen die schwer auszuhaltende Aufgeregtheit im Kölner Dom vollkommen fehlt, an der richtigen Adresse. In der Stille ihres geheimnisvollen Halbdunkels mit den wohlgesetzten Kunstschätzen lässt sich nachdrücklich nicht nur der langen Geschichte dieser Gotteshäuser und der Stadt Köln nachspüren. Gotische Monumentalität oder überbordenden Barockprunk vermisst hier keiner.

Ulrich Traub

Information

Bis Ende des Jahres finden in St. Apos­teln zahlreiche Veranstaltungen statt. Das komplette Festprogramm mit Gottesdiensten, Konzerten, Vorträgen und Kirchenführungen findet sich unter 

www.st-aposteln.de/1000-jahre.