Zur Fastenzeit

Jesus, die zarteste Versuchung

Wer kennt nicht aus der Werbung „die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“? „Führ’ mich bloß nicht in Versuchung“, sagte mir ein Mitbruder, als ich ihm die schmackhaften Pralinen angeboten habe. Mit Versuchung kann man zweierlei Gedanken verbinden: einmal die Verlockung zu etwas Leckerem und daneben die Verführung zu etwas Schädlichem. Das rechte Verständnis und der rechte Gebrauch dieses Wortes will gekonnt sein. 

Auch Jesus selber wird in Versuchung geführt, geht aber nicht auf das Ansinnen des Teufels ein. Im richtigen Moment widerstehen zu können setzt voraus, dass man den Hintergedanken seiner Verführer auf die Schliche kommt. Nicht immer ist nämlich das, was „doch nur gut gemeint“ ist, auch in Wirklichkeit gut für einen. Es braucht eine gute Selbsterkenntnis, um zu beurteilen, wovon man sich besser fernhält, weil sich hinter einem vermeintlich Gutgemeinten eine ziemlich eigennützige Absicht verbirgt. 

Versuchung und Rettung

Versuchungen haben viele Gesichter: Die erste Versuchung beginnt bei Adam und Eva. Sie glaubten nicht daran, dass Gott es gut mit ihnen meint. Sie lassen sich einreden, dass Gott willkürlich und selbstgefällig diesen einen Baum verboten hat. Das erhöht den Reiz, dieser Versuchung nachzugeben. Zweifel und Misstrauen sind die treibenden Kräfte – und die Angst, zu kurz zu kommen. 

Versuchung ist: Anstatt auf das zu sehen, was wir haben, starren wir auf das, was wir nicht haben. Für mich ist es viel wichtiger, dieses Grundvertrauen in Gott einzuüben, als auf Pralinen zu verzichten.

Verwerflich ist es, jemanden in Versuchung zu führen, vor allem, wenn man schon von vornherein weiß, dass man ihn damit nicht glücklich macht. Da gibt es auch die Verlockung, die Wahrheit so hinzudrehen, dass ich dabei gut wegkomme. 

Eine der grässlichsten Versuchungen ist sicher die gedankenlose Wortwahl, mit der man Menschen verletzen und fertigmachen kann. Da gibt es die Versuchung, als Verheirateter eine Beziehung neben der Ehe zu beginnen. Solche Versuchungen schimmern einem allabendlich aus dem Fernseher entgegen. Die Verlockung, auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein und so auf Kosten anderer zu leben, ist in unserer Gesellschaft kein Einzelfall. Es gibt scheinbar kleine, alltägliche Versuchungen, die nicht gut für uns sind,  und große Versuchungen, welche die Kraft und Möglichkeit besitzen, unser Leben zu zerstören.Anfechtungen gehören zum Leben und stärken unsere Spiritualität. Der heilige Antonius der Große, Vater der Mönche, erklärte unmissverständlich: „Keiner kann unversucht ins Himmelreich eingehen. Nimm die Versuchungen weg, und es ist keiner, der Rettung findet.“ 

Er kennt das Bild vom Baum, der seine Wurzeln tiefer in die Erde gräbt, wenn er von Stürmen erschüttert wird. Der Mönch, der von Versuchungen heimgesucht wird, kann seine Wurzeln tiefer in Gott eingraben. Wieviel leichter fällt es doch, süßen Pralinen zu widerstehen, als der Gier nach Macht und des Wer-sein-Wollens.

Im Spielfilm „Chocolat“ sind diejenigen, die die Schokolade verbieten wollen, viel verkrampfter und gefangener als diejenigen, die die Schokolade mit Genuss essen. Die Dorfbewohner sind so sehr damit beschäftigt, Anstoß an der Schokoladenverführung zu nehmen, dass sie die Begegnung mit einer Frau vermeiden, die es in ihrem Laden schafft, Menschen vorurteilsfrei anzunehmen. Was im Übrigen den eigentlichen Reiz ausmacht – die Schokolade ist nur Beiwerk. 

Es ist die Art dieser Frau, sich auf jeden, der in ihren Laden kommt, einzulassen, die Vorlieben zu entdecken, das, was zu ihm passt, ihn zu erkennen – in seiner Schönheit. Das wäre doch ein guter Fastenvorsatz: meine Mitmenschen in ihrer Schönheit wieder neu entdecken!

Ich-Lösung oder Er-Lösung

„Jesus, die zarteste Erlösung, seit es die Versuchung gibt!“ Eine originelle Idee mit einer großen Wahrheit. „Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören“ (1 Joh 3,8). Er tut dies zart mit seinem Wort, das in unser Herz dringen will, und er tut das nicht mehr ganz so zart, indem er für uns den Weg ans Kreuz geht. 

Weil Jesus Nein gesagt hat zum Bösen und Ja zu Gott, sind wir erlöst. Er-löst – das ist eben nicht die Versuchung der Ich-Lösung. Und denken Sie daran: Wer nicht mehr genießt, wird ungenießbar!

Wolfgang Öxler, Erzabt von St. Ottilien

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