Es ist wohl das eisigste aller Zugabenteuer: im Winter in der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau in die Mongolei, rund 6300 Kilometer durch einen der kältesten Landstriche der Erde, über fünf Zeitzonen hinweg. Möglich macht das der Sonderzug „Zarengold“. Stopps und Ausflüge führen während der knapp zweiwöchigen Tour auch zu Klöstern und Kirchen in der Eiseskälte.
Den Anfang macht Moskau. Zur Einstimmung locken Touristenmagnete wie der Rote Platz, das Bolschoi-Theater mit seiner Säulenfront und die Basilius-Kathedrale. Ihr himmelstürmendes Türme- und Kuppelensemble ist ein Wahrzeichen der russisch-orthodoxen Kirche, ein Zuckerbäckerwerk der Farben und Extravaganzen.
Der Bau erfolgte Mitte des 16. Jahrhunderts nach dem Sieg über die Tataren. Die treibende Kraft war Zar Iwan der Schreckliche (1530 bis 1584). Die beiden Baumeister ließ er blenden, damit sie niemals ein schöneres Bauwerk als dieses errichten würden – so erzählt es jedenfalls Stadtführerin Vera. Das Innere fällt gegen die Außenansicht ab.
Eine enorme Raumwirkung entfaltet dagegen die wiederaufgebaute, über 100 Meter hohe Christ-Erlöser-Kathedrale unter ihrer Hauptkuppel. Üblicherweise fehlen in solchen Kirchen Bänke. Vera lächelt und fragt: „Was passiert bei stundenlangen Gottesdiensten, wenn man sitzt?“ Dann gibt sie selbst die Antwort: „Man schläft ein. Deswegen steht oder kniet man.“ Marmorböden und Mosaike bestechen in der Kathedrale ebenso wie die Ikonostase, die Fresken und die überbordend ausstaffierte Unterkirche.
Am zweiten Abend wird es ernst: Im Kopfbahnhof Yaroslavsky sind die „Zarengold“-Abteile zu beziehen. Dann geht es hinaus in die Nacht – mit Kurs auf die Wolga und das Uralgebirge, Sibirien, die Taiga und den Baikalsee. Unterwegs werden die Zugfenster grandioses Bordkino bieten: puderweiße Zauberlandschaften, Stunde um Stunde, Tag für Tag, unermessliche Weiten, versunken in Eis, Wälder und Häuser unter massigen Schneelasten.
Die erste Großetappe führt nach Jekaterinburg: rund 1800 Kilometer von Moskau, 30 Stunden Fahrt. Valeri Pinizhaninov, Reiseleiter an Bord, hält einen ersten Vortrag zum Thema „Russland und seine Regionen“. Sibirien kommt buchstäblich näher. Dann bittet der 51-Jährige, der akzentfrei Deutsch spricht, zur Wodkaprobe. Süßes, erfährt man, gibt es nie zur russischen Nationalspirituose, dafür Gewürzgurken und Heringshappen.
Gesprächsthema unter den Reisenden ist die Außentemperatur, die fortan sinken wird – auf 20 oder gar 30 Grad minus. Den Klimaschocks zu trotzen, das weiß jeder, wird nur in optimaler Vermummung gehen: Daunenkleidung, Skianzug, Thermo-Unterwäsche, Mütze mit Ohrschutz, Wollsocken, Wollschal, festes Schuhwerk.
Spuren der Zarenfamilie
Tritt man in Jekaterinburg hinaus in die Kälte, verschlagen die Niedrigtemperaturen einem den Atem. Die Stadt am Uralgebirge birgt Spuren der Zarenfamilie, die hier im Sommer 1918 ermordet wurde. Heute erhebt sich an der Stelle der bolschewistischen Mordtat die Heilig-Blut-Kathedrale. Deren Kuppel liegt gerade versunken im Nebel da. Der Eingang empfängt mit einem Heizungsgebläse und dem Andenkenladen. Es riecht nach Kerzen.
Beim Betreten des Gotteshauses mahnt die Führerin an: „Frauen müssen eine Kopfbedeckung aufsetzen, Männer müssen sie ablegen.“ Der Chorgesang während des Gottesdienstes ist erhebend. Für den guten Ton sorgen vornehmlich Damen. Beim Schlussgebet nennt der Priester die Namen der Mitglieder der letzten Zarenfamilie, erklärt Valeri Pinizhaninov.