Seine „Gemeinde“ ist international und wechselt ständig: Seemannspastor Matthias Ristau leitet sieben Seemannsmissionen der Evangelischen Kirche an Nord- und Ostsee, von Hamburg und Brunsbüttel über Kiel bis nach Lübeck und Rostock. Im Interview berichtet er von seiner Tätigkeit und den schweren Belastungen für die Seeleute. Die weltweite Corona-Krise verstärkt deren Isolation.
Herr Pastor Ristau, Sie betreuen insgesamt sieben Seemannsmissionen: Wie ist das überhaupt zu leisten?
Vor Ort gibt es immer Mitarbeitende: Das sind meistens Diakoninnen und Diakone, die sind bei uns in der evangelischen Kirche so etwas wie Sozialarbeiter mit theologischer Zusatzqualifikation. Die leiten die Arbeit vor Ort und ich bin Berater, Begleiter, Koordinator. Das heißt, ich fahre dann hin, wenn besondere Themen dran sind, wenn es bei den örtlichen Vereinen Vorstandssitzungen gibt oder wenn es besondere Anlässe, Feiern oder so etwas gibt. Ansonsten bin ich an den „großen Themen“ dran und koordiniere für die Seemannsmission insgesamt die Psychosoziale Notfallversorgung und das Bündnis „Fair über’s Meer“.
Aber Sie haben schon auch persönlichen Kontakt mit Seeleuten?
Ja. In normalen Zeiten mache ich einmal die Woche Bordbesuch am Hamburger Hafen. Jetzt, in diesen Zeiten, haben wir eine digitale Plattform gestartet, die heißt „DSM.care“ und über diese Internetadresse können uns Seeleute weltweit vertraulich erreichen. Das ist eine verschlüsselte Seite. So eine Plattform ist wichtig, denn Seeleute sind sowieso schon sehr isoliert. Sie leben monatelang auf den Schiffen. Auf so einem Frachtschiff arbeiten zehn bis 25 Besatzungsmitglieder. Die Europäer arbeiten vier Monate, die Filipinos, Inder und andere oft neun Monate lang. Je nach Art des Schiffes sind sie öfters mal in Häfen. In den letzten Monaten hatten sie aber keine Gelegenheit für Landgang. Viele von ihnen sind schon sechs Monate nicht mehr an Land gewesen und da gibt es viele Anliegen, die unter den Nägeln brennen. Mit ihren Problemen oder Fragen können sie sich jetzt auf dieser digitalen Plattform bei uns melden.
Sind Sie als Pastor hauptsächlich für deutsche Besatzungsmitglieder Ansprechpartner oder auch für andere Nationalitäten?
Also ursprünglich war die Deutsche Seemannsmission etwas für die deutschen Seeleute. Ich sag jetzt immer, die Deutsche Seemannsmission ist die Einrichtung aus Deutschland für Seeleute aus aller Welt. Für die Seeleute da zu sein, das ist unsere Mission. Wir sind auch für weibliche Seeleute da, von denen es nicht viele gibt. Und wir sind für Seeleute aus aller Welt da, egal, aus welchem Land sie kommen, welche Sprache sie sprechen, welcher Kultur oder Religion sie angehören, welche sexuelle Orientierung sie haben. Wir sind für alle da.
Das heißt, ihre „Gemeinde“ wechselt ständig?
Ich selbst sehe wenige Seeleute mehrfach. Es gibt ein paar deutsche Seemannsfamilien, bei denen ich die Kinder getauft habe. Die treffe ich dann gelegentlich mal wieder, bei verschiedenen Anlässen. Ansonsten lerne ich immer wieder neue Seeleute kennen. In den kleineren Häfen gibt es Kollegen, die ein paar Seeleute haben, die regelmäßig wiederkommen. Da entwickelt sich dann auch eine längere Bekanntschaft.
Wie ist zur Zeit die Situation an den Häfen? Wie viel Normalbetrieb herrscht inzwischen wieder?
Die „Normalität“, die wir haben, ist sehr widersprüchlich. Wie in anderen Bereichen ist es bei der Schifffahrt auch so: Manches läuft trotz Corona ganz normal weiter. Die Fracht wird ganz normal verladen. Natürlich brauchen wir alle die Güter aus aller Welt, die hierher kommen. Deutschland lebt ja auch vom Export. Das läuft also alles, wenn auch ein bisschen weniger. Aber die Seeleute sind weiter „24/7“, also rund um die Uhr, für uns alle unterwegs, um die Güter zu transportieren. Die Waren dürfen in den Hafen rein, aber in vielen Häfen dürfen die Seeleute nicht an Land. In Deutschland haben die Besatzungsmitglieder in den meisten Häfen wieder Landgang. Das hat aber auch sehr lange gedauert. Weltweit ist in den meisten Häfen immer noch der Landgang verboten. Wenn dann, wie zur Zeit, in vielen Ländern die Infektionen wieder steigen, dann ist eine der ersten Maßnahmen, dass für die Seeleute alles verboten wird. Das ist ein altes Vorurteil, dass die Seeleute Krankheiten einschleppen. Das stimmte damals bei der Cholera wahrscheinlich schon nicht und das stimmt auch bei Corona nicht. Es wäre sehr, sehr wichtig, nicht nur für die Seeleute, sondern für alle, da die Lieferketten davon abhängen, dass da jetzt etwas geschieht. Dass die Seeleute reisen können und die Möglichkeit zum Landgang erhalten. Auch Zugang zu medizinischer Versorgung an Land müssen sie bekommen. Denn es ist für die Seeleute bald nicht mehr auszuhalten. Und wenn die Schiffe dann nicht mehr fahren können, dann fehlen uns wirklich Sachen. Dann bricht wirklich die Lieferkette zusammen. Statistisch gesehen werden 80 Prozent des Welthandelsvolumens per Schiff transportiert. Wenn wir die Seeleute so alleine lassen, wie es momentan geschieht, weil sich die Regierung und viele andere nicht um sie kümmern und weil auch Quarantäneregeln nach Nationalitäten erlassen werden, dann können sie nicht reisen – vom Schiff nach Hause und zurück – oder können nicht an Land gehen. Aber der Landgang ist ein Grundrecht der Seeleute, das kann man nicht einfach so streichen, wenn von den Seeleuten eigentlich gar keine Gefahr ausgeht.