Aussichtslos. Unmöglich. Wer Martin Luther in Eisleben aus dem Weg gehen will, wandelt auf verlorenen Pfaden. Der Reformator ist in dem kleinen Städtchen in Sachsen-Anhalt buchstäblich allgegenwärtig. Hier wurde er geboren, hier starb er. „Lutherstadt“ nennt sich Eisleben stolz seit 75 Jahren. Selbst zu DDR-Zeiten war der Kult um jenen Mann ungebrochen, dessen Wirken zur Kirchenspaltung wesentlich beitrug.
Auf dem Marktplatz, dem städtischen Rathaus den Rücken zugekehrt, steht er und blickt nach Osten – stolz, entschlossen, trotzig, die päpstliche Bannbulle in der rechten und die Heilige Schrift in den linken Hand: Martin Luther, Eislebens berühmtester Sohn. Seit 1883, seit Luthers 400. Geburtstag, steht der mächtige Bronze-Reformator auf dem Markt und kann nicht anders.
Luthers Leben und Wirken
Das Denkmal schuf der preußische Bildhauer Rudolf Siemering (1835 bis 1905). Den viereckigen Sockel aus schwedischem Granit zieren drei Reliefs, die Ereignisse aus Luthers Leben und Wirken illustrieren: Martin im Kreise seiner Familie, die Disputation mit seinem papsttreuen Kontrahenten Johannes Eck aus Ingolstadt, die Bibelübersetzung auf der Wartburg. Ein viertes Relief steht für den Sieg des Guten über das Böse.
Nur jeder siebte Einwohner von Eisleben gehört einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Zwei Drittel davon sind evangelisch-lutherisch. Und doch macht man hier in der Lutherstadt buchstäblich keinen Schritt, ohne dem Reformator zu begegnen. Selbst die Gully-Deckel erinnern an ihn. Und in den Schaufenstern der Geschäfte prangt sein Antlitz auf Büchern, Touristenführern und Spirituosen.
Der Name des Reformators grüßt von Straßenschildern und Wegweisern. Inschriften an Fassaden und eingelassen im Boden verkünden seine Worte. Ein Gymnasium, das auf Luther selbst zurückgeht, trägt seinen Namen. Die Beschäftigten der Luther-Apotheke helfen bei körperlichen Wehwehchen. Und für’s leibliche Wohl sorgt die Lutherschenke. „Ich fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher“, wirbt sie mit einer jener deftigen Aussagen, für die Luther schon zu Lebzeichen berüchtigt war.
Hinterm Rathaus ragen die Türme der spätgotischen Andreaskirche in die Höhe. Von ihrer Kanzel, die natürlich nach dem Reformator benannt ist, hielt Luther die vier letzten Predigten seines Lebens. Nur wenige Schritte von dem Gotteshaus entfernt starb er am 18. Februar 1546: neben dem Rathaus, wo heute ein gehobenes Hotel seine Gäste beherbergt. Das Museum „Luthers Sterbehaus“ ist zwar ähnlich alt, hatte aber ursprünglich nichts mit dem Reformator zu tun.
Lutherstätten sind Unesco-Welterbe
Seinen Beinamen „Lutherstadt“ hat sich Eisleben unter sozialistischer Vorherrschaft gegeben: 1946, zum 400. Todestag des berühmten Sohns der Stadt. Seit 25 Jahren, seit 1996, gehören die Lutherstätten zum Unesco-Welterbe. Gemeinsam mit jenen in der anderen, der ungleich bekannteren „Lutherstadt“ Wittenberg (so benannt seit 1938) stehen sie unter der Ägide der öffentlich-rechtlichen Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt.
Seit 2006 erschließt ein „Lutherweg“ die Pfade zu den Lutherstätten in Eisleben: vom „Geburtshaus“ über Luthers Taufkirche St. Petri-Pauli bis zur Bergmannskirche St. Annen. Das imposante „Geburtshaus“ in der Lutherstraße ist übrigens einer der ersten Museumsbauten der Welt: 1693 wurde das Haus errichtet, um protestantische Pilger und Luther-Freunde anzulocken. Luthers wahres Geburtshaus war 1689 abgebrannt. Der Museumsbau hat nach Ansicht von Forschern kaum eine Ähnlichkeit zum ursprünglichen Gebäude.
Heute unscheinbar, früher bedeutend – das Städtchen Mansfeld
Ortswechsel: Rund zehn Kilometer nordwestlich von Eisleben liegt das Städtchen Mansfeld. Heute auf den ersten Blick eine unscheinbare Landgemeinde: Kirche, Supermarkt, zahlreiche Bauern- und Bürgerhäuser, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Vor Jahrhunderten – im Mittelalter, aber auch noch zu Luthers Zeiten – war Mansfeld Hauptort einer bedeutenden Grafschaft, deren Herrscher zu den ältesten Adelshäusern im gesamten Heiligen Römischen Reich zählten.
Das mächtige Schloss der Grafen von Mansfeld, eine der größten Burgen Mitteldeutschlands, thront auf einem steilen Felsen hoch droben über dem Ortskern und kündet stolz von der einstigen Bedeutung des Städtchens. Heute beherbergt es eine christliche Begegnungsstätte. Der Zahn der Zeit aber hat deutliche Spuren hinterlassen in Mansfeld – auch wenn dessen Gemarkung nach mehreren Kommunalreformen der vergangenen Jahrzehnte heute wieder weite Gebiete im Umkreis umfasst.