Josef Wilfling war 22 Jahre bei der Münchner Mordkommission, davon sieben Jahre als deren Leiter. In seine Dienstzeit fallen der Mord an „Modezar“ Rudolph Moshammer und die Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Kürzlich ist im Heyne-Verlag ein neues Buch des Ermittlers erschienen. Im Interview spricht Wilfling über seine Vernehmungsmethoden und verrät, warum man einen Beschuldigten nicht zu Hause verhören sollte.
Herr Wilfling, Ihr Buch heißt „Geheimnisse der Vernehmungskunst“. Sind da nicht auch wertvolle Tipps für Kriminelle dabei?
Nein, denn jeder Täter tickt anders und jeder Ermittler hat beim Verhör seine eigene Strategie. Insofern verrate ich keine Geheimnisse. Aber es gibt in diesem Zusammenhang sehr viele Klischees aus dem Fernsehen, mit denen ich gerne mal aufräumen möchte. Es wäre schön, wenn mein Buch dazu beitragen würde, das Misstrauen uns Ermittlern gegenüber abzubauen.
Worin besteht die Kunst beim Vernehmen?
Dass man es als Ermittler schafft, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, in seine Psyche. Und man dadurch einen Draht zu ihm aufbaut. Die Psyche ist immer die große Unbekannte bei einem Verhör. Vieles lässt sich erlernen, so wie die strengen rechtlichen Richtlinien, an die wir gebunden sind und die man nicht überschreiten darf. Aber darüber hinaus ist ein Teil sicherlich auch Talentsache.
Kann man sagen, ein Neuling hat schlechtere Chancen als Ermittler?
Das A und O ist ganz klar die Berufserfahrung. Aus diesem Grund wird sich ein junger Kollege in der Regel schwerer tun, und das spürt auch das Gegenüber. Es ist wichtig, dass ein Ermittler souverän wirkt. Erst in der Praxis lernt man, wie die unterschiedlichen Tätertypen ticken. Details wie die Körpersprache sind dabei auch wichtig.
Ich habe damals meinem Ausbilder zunächst viele Male bei Vernehmungen zugehört und ihn dabei beobachtet. Nur so bekommt man mit der Zeit Erfahrung. Ich vergleiche das gerne mit dem Berufsbild eines Chirurgen: Da vertraut man sein Leben ja auch lieber demjenigen an, der eine OP schon viele Tausend Male durchgeführt hat, als dem, der das erst ein-, zweimal gemacht hat. Die Vertrauensbasis ist das Wichtigste.
Wie lange dauert ein Verhör im Schnitt?
Das lässt sich schwer sagen. Einen Kaufhausdieb wird man kaum 15 Stunden verhören. Bei Mordfällen ist das durchaus normal. Aber egal, um was es geht: Beim Ablauf eines Verhörs gibt es strenge Vorschriften, an die wir uns halten müssen. Auch da stimmen die Klischees nicht, die Leute allgemein haben. Die Vernehmungszeit bestimmt nämlich immer derjenige, der vernommen wird. Sobald der irgendwann sagt, ich mag nicht mehr, ist Schluss. Wobei der Ermittler ebenfalls körperlich und geistig fit sein muss, um ein Verhör zu führen. Ansonsten gibt es eine Pause. Mein persönlicher Rekord waren 17 Stunden am Stück. Das war im Mordfall Walter Sedlmayr.
Wie sollte die Umgebung sein beim Verhör?
Wir haben keine Vernehmungszimmer wie im TV-Krimi, mit verspiegelter Wand oder einem langen Tisch, wo an einem Ende der Beschuldigte sitzt und am anderen der Ermittler. Das würde nur Angst machen. Wir haben ganz normale Büroräume. Sachlich. Nüchtern. Es soll eine möglichst lockere, angenehme Atmosphäre herrschen. Ohne eine Barriere zwischen sich zu haben.
Warum verhört man den Beschuldigten nicht zu Hause?
Das macht man nur im äußersten Notfall. Im Büro kann man alles viel besser protokollieren oder Tonaufnahmen machen. Und dann gibt’s da psychologisch gesehen den Heimvorteil, den man als Ermittler vermeiden möchte: Jemand in den eigenen vier Wänden neigt eher zu Widerspruch und Lüge.
Ist es von Vorteil, wenn man sich bei der Vernehmung sympathisch ist?
Das kommt ganz auf den Täter an. Bei einer Tat mit starkem emotionalen Hintergrund ist man mehr in der Rolle des Beichtvaters. Wenn mir jedoch ein eiskalter Zuhälter gegenüber sitzt, der die Arme verschränkt, muss ich nicht Seelenmassage betreiben. Das wäre kontraproduktiv.
Ich war immer eher Anwalt als Ankläger. Das heißt: nicht von oben herab den Moralapostel spielen. Man passt sich je nach Fall der Situation an. Bei Sittlichkeitsdelikten lassen sich Frauen erfahrungsgemäß lieber von Frauen verhören, und bei einem Jugendlichen ist es meist sinnvoll, wenn ein jüngerer Beamter ihn vernimmt. Um sozusagen auf Augenhöhe zu sein.