Folgen der Krise

„Es macht uns ärmer“

Den französischen Wallfahrtsort besuchen in normalen Zeiten jährlich bis zu sechs Millionen Pilger aus aller Welt, unter ihnen Tausende Kranke. Doch wegen der Pandemie musste die Wallfahrtsstätte für mehr als zwei Monate schließen. Auch nach der Wiederöffnung kann momentan nur eine begrenzte Zahl von Besuchern empfangen werden. Die Wallfahrtsdirektion rechnet mit einem Millionenverlust. Pfarrer Klaus Holzamer koordiniert in Lourdes die Seelsorge für die deutschsprachigen Pilger. Im Interview berichtet er über die Situation vor Ort.

Herr Pfarrer Holzamer, wie würden Sie den aktuellen Betrieb in Lourdes beschreiben? Wie sehr ist die Wallfahrt durch die Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckungen eingeschränkt?

Stand heute darf jeder, der nach Frankreich einreisen kann, nach Lourdes kommen. Wir haben hier zwar noch eine Obergrenze für Versammlungsorte von 5000 zu beachten, aber das wird in der Regel nicht erreicht. Bisher haben wir genug Raum, denn es kommen kaum große Pilgergruppen und fast überhaupt keine mit Kranken. Unsere Krankenherbergen, die sogenannten ­Accueils, sind aus hygienischen Gründen geschlossen. Ebenso bleiben die Bäder zu. Das sind schon Einschränkungen, die sich bemerkbar machen. Inzwischen kommen allerdings mehr und mehr Pilger. Wir haben jeden Abend auch wieder eine kleine Prozession, die von der Grotte aus über die zwei Brücken führt. So ist das schon wieder fast Gewohnheit. Allerdings haben wir noch keine große nachmittägliche eucharistische Prozession. Da pausieren wir noch. 

Woher kommen momentan die Pilger? Aus der Region oder auch schon wieder aus Deutschland?

Die Pilger kommen nicht nur aus Frankreich. Wir haben auch wieder Italiener da und bisweilen auch Gruppen aus Deutschland. Ende Juli war beispielsweise eine kleine Jugendwallfahrt des Erzbistums Köln mit dem Generalvikar hier, der zugleich der Präsident des deutschen Lourdes-Vereins in Köln ist.

Normalerweise können die Pilger ja auch ein Bad im Quellwasser nehmen. Was bedeutet es für sie, dass das nun nicht geht?

Pilger verbinden sehr oft die Fahrt nach Lourdes mit der Erfahrung des Ganzeintauchens als Erneuerung der Taufe. Das ist im Moment wegen der Ansteckungsgefahr nicht möglich. Aber es gibt ja noch andere Gesten. Das Wasser ist frei zugänglich. Und man kann sich das Wasser auch mit nach Hause nehmen oder es an Ort und Stelle trinken. Waschungen finden im Moment kaum statt, allerdings wird in den Bädern die Geste des Wassers für Pilger angeboten. Das ist für den Pilgeralltag vielleicht eine Einschränkung. Für das, was Lourdes im Grunde ausmacht, ist das allerdings nicht unbedingt ein Malus. Denn die heilige Bernadette hat nie vom Bad gesprochen oder vom Baden. Sie wurde von der Gottesmutter aufgefordert, sich im Wasser zu waschen – und hat deswegen die Quelle gesucht. Insofern werden wir da vielleicht aufmerksamer werden, wenn wir das nicht so alltäglich nehmen.

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert, nachdem momentan sehr wenige Pilger aus den deutschsprachigen Ländern kommen? 

Ich denke, die Zahl wird in den kommenden Wochen und Monaten ein bisschen steigen. Bis Ende Oktober rechne ich mit mehr deutschsprachigen Pilgern. Auch das bayerische Pilgerbüro hat sich wieder angesagt. Zumindest kommen sie mit zwei Gruppen, was immerhin eine Bereicherung sein wird. Als wir im „Confinement“ waren, in der Zeit der Ausgangssperre, hatten wir täglich in deutscher Sprache Gebete an der Grotte. Durch den Live­stream­­ hatte ich sehr, sehr viel Kontakt und Rückmeldung aus dem ganzen deutschsprachigen Bereich. Das war in der ersten Zeit der Lockerung und der Ankunft der Pilger wieder nicht der Fall. In dieser Zeit war ich in meiner Tätigkeit wirklich beschränkt auf die ganz wenigen deutschen Besucher, die als Einzelpilger hierherkamen. Oft ist es nur eine kleine Auskunft, die ich geben kann. Da bin ich natürlich auch vom Schreibtisch aus per E-Mail gefordert. Und ich stehe regelmäßig zur Beichte zur Verfügung. Wer hierherkommt, kann sich immer im Informationsbüro durchfragen, und ich mache dann vor Ort mit dem Betreffenden einen Termin aus. Seit dem 1. August feiern wir wieder für alle deutschen Pilger eine deutschsprachige Eucharistie, wir begleiten sie auf dem Kreuzweg, zu Führungen und zum Rosenkranzgebet am Abend.

Waren für Sie selbst die zwei Monate, als gar keine Pilger kamen, bedrückend? 

Ja und Nein. Denn es war ja die Vorsaison, da sind wir normalerweise ohnehin ziemlich alleine. Das war für mich die Gelegenheit, beim täglichen Gebet an der Grotte, das im Internet übertragen wurde, schon mal mit Pilgern in Kontakt zu treten. Und ich habe dann die Zeit genutzt, um lange Spaziergänge zu machen. Das war am Anfang eigentlich eher eine Bereicherung als eine Beschränkung. Das hat sich dann allerdings mit Beginn der Saison und dem Ausbleiben der Pilger tatsächlich gewandelt. Es ist schon etwas, was uns ärmer macht, im Wirtschaftlichen, als auch im Geistlichen, wenn keine Pilgergruppen hier sind.

Normalerweise ist ja gerade eine Wallfahrt ein Anlass, Sorgen und Nöte vor Gott oder die Gottesmutter zu bringen. Dass das gerade in einer so schwierigen Zeit wie seit dem Ausbruch der Pandemie nicht geht, ist für viele vermutlich eine doppelte Belastung? 

Ich erlebe es eigentlich aus einer ganz anderen Warte. Wir hatten ja am 16. Juli, dem Jahrestag der letzten Erscheinung, dem Fest unserer lieben Frau auf dem Berge Karmel, die Gelegenheit, noch einmal an unsere virtuelle Wallfahrt zu erinnern. Wir haben zu einer Wallfahrt im Internet eingeladen, das war etwas Neuartiges. Man macht ja auch in Deutschland die Erfahrung, dass zum Beispiel Live­stream-Gottesdienste in der Zeit der Ausgangssperre für viele ein Angebot waren. Entsprechend wurde auch die Online-Wallfahrt wahrgenommen. Eigentlich geht das auf die heilige Bernadette zurück. Sie sagte einmal, als sie schon in Nevers war, dass sie jeden Tag im Geiste hierher gepilgert ist. Und diese geistliche Verbundenheit habe ich sehr wohl bei vielen Menschen verspürt, die mit uns verbunden waren, die uns dann auch ihre Fürbitten, ihre Gebetsanliegen zugesandt haben. Wir haben diese praktisch zu Füßen der Gottesmutter vorgetragen. Wenn wir das auch nicht immer laut lesen konnten, aber an diesem 16. Juli sind die Anliegen und Bitten der Pilger, wenn auch in Auszügen, laut vorgelesen worden. Jetzt zünden wir Votivkerzen an in Erinnerung und gleichzeitig auch in dem Bewusstsein, dass ein Stück der Sehnsucht immer noch hier vor Ort ist, dass wir da im Geiste im Kontakt stehen können. Und das wird von vielen Menschen angenommen.

Vom Wallfahrtsbetrieb hängen die Arbeitsplätze von rund 320 Menschen ab. Wie geht es für die Mitarbeiter weiter? 

Da ist die ökonomische, aber auch die geistliche Seite zu bedenken. Ökonomisch heißt es für uns, dass wir am Ende des Jahres etwa mit einem Verlust von acht Millionen Euro zu rechnen haben. Das ist eine große Summe. Unsere festangestellten Mitarbeiter wurden nicht auf die Straße gesetzt. Das heißt, auch wenn jemand freigestellt ist, werden die Mitarbeiter nach wie vor bezahlt. Das können wir natürlich nicht über eine sehr lange Zeit aufrechterhalten. Wir hatten ja in der Vergangenheit schon Phasen, dass sich durch Fehlkalkulationen über Jahre ein Defizit aufgebaut hat. Das wurde in den letzten drei Jahren sehr energisch angegangen und eigentlich auf null reduziert. Wir waren gerade im „schwarzen Bereich“ der Buchführung und jetzt sind wir am Ende des Jahres wieder genau dort, wo wir vor drei Jahren schon mal waren. Hoffentlich wird dieser Schuldenberg mit dem Kommen der Pilger wieder abgetragen. Das andere ist, dass ein Wallfahrtsort ohne Pilger nicht mehr das ist, was es eigentlich ist. Das macht ja einen Wallfahrtsort aus, dass Wallfahrer ankommen. Dass Pilger hier in eine Begegnung eintreten, sich in einen Zusammenhang stellen. Und wenn das natürlich dauerhaft ausgeschlossen wäre, wäre das tatsächlich das Ende eines Wallfahrtsortes.

Interview: Ulrich Schwab

15.08.2020 - Corona , Frankreich , Wallfahrt