Glaube geht durch den Magen

Schlemmerpfad Jakobsweg

Blasen, Schweiß und Muskelschmerz: Der Jakobsweg durch Nordspanien, der sich nach der pandemiebedingten Pause anschickt, neue Pilgerrekorde zu vermelden, ist mit enormen Strapazen verbunden. Die von Papst Franziskus verordnete Verlängerung des Heiligen Jakobsjahres bis Ende 2022 hat Schlagzeilen gemacht. Der Jakobsweg ist in aller Munde – buchstäblich: Überall an der Strecke warten kulinarische Verlockungen. 

Ein alter Pilgerspruch geht so: „Mit Wein und Brot macht man den Weg.“ Doch nicht nur damit stockt Francisco Contreras Gil die Kalo­rienvorräte auf. Der Madrider Autor eines „Magischen Reiseführers“ zum Jakobsweg hat elf Touren und Tausende Marschkilometer zum Sehnsuchtsziel Santiago de Compostela in den Knochen. 

Er weiß, dass die lukullischen Versuchungen unterwegs riesengroß sind. Nicht widerstehen kann der 48-Jährige bei Kartoffeln auf Rioja-Art, Blutwurst aus Burgos und Oktopus in Galicien, sagt er. Für ihn ist Pilgern zwar entbehrungsreich, aber nicht unbedingt gleichbedeutend mit Verzicht. 

Verköstigung in Versform

„Con pan y vino se hace el camino“ – auf Spanisch reimt sich der Pilgerspruch sogar. Den Ursprung der Redensart vermutet Contreras Gil im Mittelalter. Gegen dessen Ende, 1494, war ein deutscher Mönch auf Achse, Hermann Künig von Vach. In seinem Pilgerbuch „Die walfart und Straß zu Sant Jacob“ hielt er für die Nachwelt in Versform Tipps zur Verköstigung fest. 

Für das in Kastilien-León gelegene Villafranca del Bierzo gab er diesen Rat: „Da trink den Wein mit klugen Gedanken, / denn er brennt manchem ab sein Herz, / dass es ausgeht wie eine Kerz.“ Für Contreras Gil ist der schwere Rote aus der Rioja der Favorit: „Ein Rioja­wein direkt am Jakobsweg durch die Rioja schmeckt einfach anders als daheim.“

Wo Hemingway zu Gast war

Einer, der Contreras Gil in den Lokalitäten am Jakobsweg vorausging, war der US-amerikanische Autor Ernest Hemingway (1899 bis 1961). Lässig stützt er sich an den Tresen. Der Tresen stützt ihn – als Bronzebildnis in Pamplonas historischem „Café Iruña“. Hier war der trinkfeste Hemingway oft zu Gast. In seinem Roman „Fiesta“ setzte er dem schönsten Kaffeehaus der Stadt ein literarisches Denkmal. 

Der US-Literat hatte kein Interesse am christlichen Jakobsweg, dafür am Stierkampf und an Exzessen. Trotzdem schauen viele Pilger vorbei. Auf einen Rosé oder andere Spezialitäten Navarras: Schafskäse etwa, Spargel oder Paprika. Im Innern des Iruña hat sich ein Alt-Bohème-Ambiente erhalten, draußen weiten sich die Terrassen zum Hauptplatz hin. 

Speisen in der "Lorbeergasse"

Einer der größten Kneipenballungsräume Spaniens findet sich in der Calle del Laurel, der „Lorbeergasse“ in der Rioja-Hauptstadt Logroño. Hier reiht sich Bar an Bar. Der Riojawein fließt in Strömen. Oft herrscht drangvolle Enge – ­Corona hin oder her. Jeder Wirt fährt seine eigene Häppchen-Spezialität auf: da ein Champignonspieß, dort Schweinebäckchen, ein paar Schritte weiter Foie gras auf einer Baguettescheibe. Typisch ist – für Spanier stets im Stehen – der Zug von Tür zu Tür, um auszukosten, wo es am besten ist.

In ihrem Restaurant „Piedra“, das in der Pilgergasse durch Santo Domingo de la Calzada liegt, tischt Chefin Carmen Urdina einfache, herzhafte Hausmannskost auf. Dazu gehören Kartoffeln auf Rioja-Art („Patatas a la riojana“). Die sind weich gekocht, um sie gut im Sud kneten zu können. Die Würze hängt vor allem an den Stücken gegrillter Paprika-Knoblauch-Wurst (Chorizo), deren Aroma die Pilger den Rest des Tages begleitet.

Blutwurst als Vorspeise

Deftig geht es weiter in Kastilien-León: mit der Blutwurst aus Burgos („Morcilla de Burgos“), die vielerorts in der Stadt auf den Speisekarten steht. Außer dem Schweineblut stecken Reis, Zwiebeln, ­Schmalz und Gewürze in der Pelle. Die Einheimischen essen die Wurst als Vorspeise, in schmale Scheiben geschnitten, gegrillt oder frittiert.

Der Landstrich Maragatería, der am Pilgerweg in Astorga beginnt, ist für seinen Maragato-Eintopf („Cocido maragato“) bekannt. Kurios ist, dass er in drei Gängen serviert wird: zuerst die herausgefischten Fleisch- und Wurststücke, danach das Gemüse, zum Schluss die Brühe. Das Beste zuerst, heißt es hier, ganz einfach. Die Flüssigkeit am Ende sei am ehesten verzichtbar. Wer eine komplette Portion Maragato-Eintopf schafft, gibt ein Königreich für einen Absacker: den Tresterbranntwein (Orujo). 

Käse mit weiblichen Rundungen

Der galicische Brüstchenkäse („Tetilla gallega“) ist tatsächlich der weiblichen Rundung nachempfunden. Das mag auf Fremde sexistisch wirken, hat laut Volksmund aber eine Erklärung: als Protest gegen das Erzbistum von Santiago de Compostela. Im Figureninventar des romanischen Glorienportals der Kathedrale hatten die Steinbildhauer einst die Formen der Esther allzu stark herausgearbeitet, worauf der Klerus sie züchtig zurückbilden ließ. Statt in Granit leben sie seither – auf Basis von Kuhmilch – in cremig-weicher Form weiter. Oder härter, falls der Käse mit Buchenholz geräuchert ist.

Eine andere Spezialität gibt es an der Hauptstraße durch Melide. An den Oktopus-Restaurants, den „Pulperías“, bilden sich oft lange Schlangen. Schier pausenlos werden hier Oktopusse in riesigen Blechtöpfen gekocht, nach einer halben Stunde rausgeangelt und in mundgerechte Happen über einem Holzbrett zerschnibbelt. Darüber werden Paprikapulver und Olivenöl gegeben – fertig ist der Oktopus auf Jahrmarkt-Art („Pulpo a feira“).

Kein Fest ohne Oktopus

Auch María José Souto in Santiagos Markthallenrestaurant „Pulpería Abastos“ bereitet den Achtfüßer zu. Ob sie das Gericht selbst gern isst, wird die Köchin gefragt. „Mensch“, antwortet Souto, „ich bin eine echte Galicie­rin. Das gehört zu unserer Kultur. Es gibt kein Treffen mit Freunden, kein Fest ohne Oktopus. Früher war es allerdings ein preiswertes Essen. Das hat sich geändert.“

Nicht fehlen darf am Jakobsweg eine andere Leckerei – der wahre Jakob für alle, die es süß und gehaltvoll mögen: Jakobuskuchen („Tarta de Santiago“) auf Basis von Mandeln. Die krönende Dekoration ist in den Belag aus Puderzucker eingefasst: das Schwertkreuz der Jakobsritter. Im Mittelalter war das ein Ritterorden, der die Kämpfe gegen die Mauren vorantrieb und sich um den Schutz der Jakobspilger kümmerte. Die Konditoreien in der Altstadt Santiagos sind mit dem Kuchen gut bestückt.

Die Jakobsmuschel – eine Delikatesse

Die Schale der Jakobsmuschel, auf Galicisch Vieira, ist vom Camino ebenfalls nicht wegzudenken. Sie ist das Symbol aller Pilger und diente in den Frühzeiten der Pilgerbewegung als Nachweis der Ankunft in Santiago de Compostela. Das, was drinsteckt, ist eine Delikatesse: weiches weißes Fleisch, das gratiniert in der Schale aus dem Ofen kommt oder – wie im Restaurant „Abastos 2.0“ bei den Markthallen von Santiago – in Stückchen zerschnitten auf einem kleinen Gemüsebett liegt. 

Der Jakobsweg hat Menschen schon immer angespornt, ein neues Leben in der Fremde zu beginnen: im Mittelalter als Händler, Handwerker oder Gastwirte. In der Altstadt von Santiago setzt das argentinische Paar Carina Gragnolati und Alejandro Racciatti seit gut einem Jahr auf Süßes aus der Eigenproduktion: Jakobsmuscheln aus Schokolade, en miniature oder handtellergroß. 

Widrige Umstände

Ihren Laden mit angeschlossener Schokowerkstatt haben die beiden „TeoAta“ genannt, ein Zusammenzug aus Teodoro und Atanasio. Laut Legende waren dies die beiden Jünger, die den Leichnam des Apostels Jakobus unter widrigen Umständen aus Jerusalem fortschafften und an jenen Platz brachten, aus dem nach der Wiederentdeckung des Grabes im neunten Jahrhundert Santiago de Compostela entstand. „Von ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit wollten wir uns anstecken lassen“, sagt Gragnolati.

Andreas Drouve

07.10.2021 - Ernährung , Glaube , Jakobsweg