Weihnachten in der Heiligen Stadt

"Wir brauchen einen Wandel"

Ein Weihnachtsfest wie kein anderes zuvor steht nicht nur Deutschland ins Haus, sondern auch dem Nahen Osten. Auch im Heiligen Land schränkt Corona das Leben massiv ein. Im Exklusiv-Interview nimmt Pierbattista Pizzaballa, der neue Lateinische Patriarch von Jerusalem, der selbst positiv auf das Virus getestet wurde, zur Situation Stellung.

Herr Patriarch, die Corona-Krise überschattet das Fest der Geburt Christi im Heiligen Land. Was geben Sie den Christen im Land der Bibel als Ermutigung für die Weihnachtszeit auf den Weg?

Schwer zu beantworten. Tatsächlich ist es nicht einfach, nur mit Worten zu ermutigen. Es ist wahr, dass die Situation immer schwieriger wird, insbesondere für die Menschen in Bethlehem. Aber nicht nur. Wir als Kirche unterstützen zusammen mit anderen Institutionen so gut wie möglich unsere bedürftigen Familien. Natürlich können wir nicht auf alle Forderungen eine angemessene Antwort geben. Aber wir sind dort und stellen so viel Lebensmittel und Medizin wie möglich zur Verfügung. 

Das Ausbleiben der Pilger stimmt uns traurig. In jedem Fall ist es wichtig, einen Weg zu finden, unsere Freude und unsere Festtagsstimmung auch äußerlich auszudrücken. Wir machen uns gegenseitig Mut, so gut es geht, um mit Freude Weihnachten zu feiern. Vielleicht auf mehr nüchterne Weise als üblich, aber mit nicht weniger Entschlossenheit.

Die Pandemie kennt keine Grenzen der Nation, des Alters und der politischen Überzeugung. Könnte nicht gerade auch in einer solch schweren Zeit das gemeinsame Leid Juden und Palästinenser enger zusammenführen – allen Abstandsgeboten zum Trotz?

Wir können hier positive und negative Aspekte sehen. Wir finden in den Krankenhäusern Palästinenser, die sich um Juden kümmern – oder das Gegenteil: Juden, die Palästinenser heilen, oder israelische und palästinensische Ärzte, die zusammenarbeiten, und so weiter. Diese Krankheit unterscheidet nicht zwischen Glauben und Nation. Gleichzeitig können wir aber nicht sagen, dass das, was in den Krankenhäusern geschieht, die Realität in der normalen Gesellschaft verändert. Die „Distanz“ zwischen den Menschen bleibt immer noch sehr groß.

Weihnachten ist in der modernen Welt oft überschattet von Überfluss, gutem Essen und Geschenken. Der eigentliche Inhalt des Fests von der Geburt Jesu Christi gerät so ins Hintertreffen. Bietet die Pandemie ein Chance, sich auf das Wesentliche des Christfests zu besinnen?

Dass Weihnachten mehr Möglichkeiten bietet, Geschäfte zu machen, als eine religiöse Feier zu gestalten, ist leider wahr. Sicherlich ist es richtig zu sagen, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich die Gelegenheit bekommen, Weihnachten in seiner ursprünglichen Bedeutung zu feiern. Zumindest die religiösen Familien können in diesem Geist das Weihnachtsfest begehen. Aber ich fürchte, das reicht nicht aus! Wir brauchen einen kulturellen Wandel, bei dem nicht das Produkt, sondern die Person im Mittelpunkt steht.

Covid-19 macht den Gottesdienstbesuch für viele Menschen unmöglich. Das weckt den Wunsch nach Gottesdienst-Übertragungen übers Internet. Welche Möglichkeiten sehen Sie in dieser Richtung für die Christen im Heiligen Land?

Zusammen mit den anderen Kirchen kämpfen wir mit den Behörden, um ein Maximum an Möglichkeiten zu erreichen und gleichzeitig die Regeln zu respektieren. Unsere Leute wollen beten und sich treffen. So  versuchen wir, ihnen alle Gelegenheiten zu geben, draußen zu feiern – wann und wo immer möglich. 

Wir müssen aber berücksichtigen, dass wir unsere Entscheidungen auch mit Moscheen und Synagogen abzustimmen haben. Wir können keine unterschiedlichen Verfahren vorschreiben. Online-Feiern könnten helfen, aber niemals den sakramentalen Gottesdienst ersetzen. Ich hoffe, dass wir zu Weihnachten einige Erleichterungen für unsere Feierlichkeiten haben werden.

Welche Schwerpunkte möchten Sie als Patriarch für die nähere Zukunft setzen? 

Ich möchte zuerst von den Menschen hören, was ihre Erwartungen sind. Auf jeden Fall müssen wir die pastoralen Programme wieder aufnehmen und versuchen, einen gemeinsamen Weg für all die verschiedenen und vielfältigen pastoralen Regionen der Diözese zu finden. 

Interview: Karl-Heinz Fleckenstein

17.12.2020 - Corona , Heiliges Land , Interview