Wirtschaftskraft gegen Glaubensleben

Wo Fronleichnam am Sonntag ist

Wer hätte das gedacht: Im katholischen Italien gibt es kaum noch kirchliche Feiertage. Mit einem Federstrich wurden die meisten katholischen Feste 1977 im ganzen Land einheitlich gestrichen. Neben den Sonntagen sind seither zwölf weitere Tage als arbeitsfrei anerkannt. Drei davon sind Nationalfeiertage: der 25.  April (Tag der Befreiung), der 1. Mai (Tag der Arbeit) und der 2. Juni (Tag der Republik).

Neben dem Neujahrstag sind die anderen Feiertage kirchliche Hochfeste oder kirchlich gebotene Feiertage: der Dreikönigstag, Ostermontag, Mariä Himmelfahrt am 15. August, Allerheiligen, Mariä Unbefleckte Empfängnis am 8. Dezember sowie der 25. und 26. Dezember. Jede Region und Provinz Italiens kann darüber hinaus einen weiteren gesetzlichen Feiertag bestimmen – meist der Gedenktag des Patrons der jeweiligen Provinz. 

Beispiele für einige Patronatstage sind der 26. Juni, der Tag des heiligen Vigilius, der in Trient arbeitsfrei ist; in Mailand der heilige Ambrosius (7. Dezember); Johannes der Täufer (25. Juni) in Florenz oder San Gennaro (19. September) in Neapel. Im mehrheitlich deutsch- und ladinischsprachigen Südtirol ist anders als im restlichen Italien der Pfingstmontag gesetzlicher Feiertag. 

In Werktage umgewandelt

Zurück ins Jahr 1977. Damals wurden aufgrund der Öl- und Wirtschaftskrise in Italien zahlreiche Feier-tage abgeschafft und in Werktage umgewandelt. Abgeschafft wurden der Josefitag am 19. März, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, der Peter-und-Paul-Tag am 29. Juni und Pfingstmontag. Auch der Dreikönigstag am 6. Januar wurde zunächst zum normalen Arbeitstag. 

Die Verhandlungen im Vorfeld wurden zwischen der italienischen Regierung und dem Vatikan geführt. Die Bischofskonferenz wurde nicht einbezogen. Joseph Gargitter etwa, der Bischof von Bozen-Brixen, erfuhr aus der Zeitung von der Tilgung der Feiertage. Die Aufregung war sehr groß, aber die Diözesen mussten die Entscheidung hinnehmen – ob sie wollten oder nicht. Politische oder kirchliche Protestkundgebungen verhallten wirkungslos.

Die Kirche musste Fronleichnam und Christi Himmelfahrt von Donnerstag auf den darauffolgenden Sonntag verlegen. Nicht wenige sahen in dieser Verlegung eine Entwürdigung dieser wichtigen katholischen Feiertage. Die Tage des heiligen Josef und der beiden Apostel Petrus und Paulus werden zwar kirchlich begangen, sind aber normale Werktage. Wenn sie nicht gerade auf einen Sonntag fallen, ist der durchschnittliche Italiener wohl oder übel zur Arbeit verpflichtet. 

Im benachbarten Ausland wundert man sich gut 40 Jahre danach immer noch, aus welchem Grund gerade das katholische Italien diese großen Feste abgeschafft hat. Der Entscheid vor mehr als vier Jahrzehnten habe dafür gesorgt, dass die damit verbundenen kirchlichen
Feiern und Gottesdienste still und leise aus der Öffentlichkeit verschwunden und heute gar nicht mehr wahrgenommen werden, meint Karl Golser, der frühere Bischof von -Bozen-Brixen.

Neben den kirchlichen Feiertagen wurden damals auch der Tag der Republik am 2. Juni und der Tag der nationalen Einheit und der Streitkräfte am 4. November abgeschafft. Mit diesen Tagen hatte Südtirol, die nördlichste Provinz Italiens, ohnehin nie etwas am Hut. Als 1946 die Italiener vor die Wahl gestellt wurden, ob ihr Land nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs weiterhin eine Monarchie bleiben oder Republik werden solle, durften die Südtiroler nicht abstimmen. 

Der 4. November wird in dem kleinen Land zwischen Brennerpass und Salurner Klause, welches stark unter dem Joch des Faschismus zu leiden hatte, mit dem Jahr 1918 in Verbindung gebracht. Damals ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Mit ihm zerfiel die Habsburger-monarchie und Tirol wurde zerrissen. Der südliche Landesteil wurde ohne Rücksicht auf das von US-Präsident Woodrow Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker und ohne Gewährung von Autonomie als Kriegsbeute Italien zugeschlagen.

Bis heute gilt Italien als wirtschaftliches Sorgenkind Europas – und durch die Folgen der Corona--Krise wird sich daran nichts ändern. Die Tilgung der Feiertage hat der italienischen Ökonomie wenig gebracht. Der Beschluss gilt daher vielen als übereilt getroffen. Vom Vatikan wird er mittlerweile als grober Fehler eingestuft.

Die Gewerkschaften erreichten, dass die abgeschafften Feiertage den Arbeitnehmern als zusätzliche Urlaubstage gutgeschrieben wurden. Diese Regelung hat sich bis heute gehalten. Und der 2. Juni, der Tag der Republik, ist seit 2001 wieder Nationalfeiertag. Auch in Südtirol freut man sich über diesen Feiertag in den letzten milden Frühlingswochen – selbst jene, denen der inhaltliche Bezug zu dem Tag fehlt.

Wieder eingeführt

Bereits neun Jahre nach dem Beschluss von 1977 hatte ein Dekret von Staatspräsident Francesco Cossiga den Dreikönigstag wieder als Feiertag eingeführt. Während in Südtirol die Heiligen Drei Könige von Haus zu Haus ziehen und den Bewohnern Segen für das neue Jahr zusprechen, verfügt im Rest der Apenninen-Halbinsel die Tradition der mit jenem Datum verbundenen Gabenbringerin Befana über einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert. 

Eine Wiedereinführung der übrigen gestrichenen Feiertage stand in Italien politisch selten zur Diskus-sion. Der damalige Ministerpräsident Romano Prodi zeigte sich aufgeschlossen, scheiterte aber an regierungsinternen Querelen und musste 2008 das Handtuch werfen. Mancher setzte seine Hoffnungen in die Regierungszeit des lombardischen Medienmoguls Silvio Berlusconi – doch vergebens.

Südtirols Landeshauptmann Ar-no Kompatscher und sein Vorgänger Luis Durnwalder stehen beide hinter dem Wunsch nach einer Wiedereinführung der Feiertage. Mehrere entsprechende Gesetzesentwürfe im Südtiroler Landtag wurden mit einer breiten Mehrheit verabschiedet. Auch im Parlament in Rom wurden wiederholt Gesetzesentwürfe eingebracht. Mitunter machten sich sogar ranghohe Minister für das Anliegen stark. Doch am Ende scheiterte bislang noch jede Initiative.

Andreas Raffeiner