Leuchtende Farben, lebendige Figurensprache und eine enorme perspektivische Tiefe der rund 500 Jahre alten Gemälde des „Lübecker Cranach“ begeistern noch heute. Hans Kemmer, jener Meistermaler aus der Hansestadt, ist allerdings nur einem überschaubaren Kreis bekannt. Das zu ändern ist der Anspruch der Sonderausstellung „Lucas Cranach der Ältere und Hans Kemmer – Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation“ im Lübecker St.-Annen-Museum.
Cranach betrieb in Wittenberg eine (vor)industriell anmutende Malereiwerkstatt, wo bis zu elf Gesellen gleichzeitig arbeiteten. Kemmer verbrachte hier vermutlich zwischen 1515 und 1520 seine Wanderjahre. In Wittenberg gehörte Kemmer wohl zu den Leistungsträgern der Manufaktur. Zumindest vermutet das die jüngere Forschung, auch aufgrund von Vergleichen von Werken, die dem Meister zugeschrieben werden, mit Werken Kemmers.
„Urteilen Sie selbst“, fordert Kunsthistorikerin Dagmar Täube, Museumsleiterin, Initiatorin und Kuratorin der Ausstellung, die Besucher auf. Sie steht vor dem einzigen erhaltenen Gemälde Kemmers, das ein weltliches Motiv zeigt: Die „Liebesgabe“ war eine Auftragsarbeit, die der in Lübeck durch die Heirat mit der Malerwitwe Anneke Wickhorst gut etablierte Kemmer in Öl auf Eichenholz malte. Anlass war die Verlobung des Kaufmanns Johann Wigerinck mit dessen zweiter Frau Agneta Kerckring 1529.
Cranachs „Jesus und die Samariterin“
Flankiert wird das Werk von „Das Urteil des Paris“ und „Jesus und die Samariterin“, beide von Lucas Cranach dem Älteren datiert und mit geflügelter Schlange signiert. So lassen sich Ähnlichkeiten der Bildsprache erkennen: das Pferd etwa, das hinterm Baum hervorlugt, das Arrangement der Figuren oder die Landschaft im Hintergrund. Auch die Qualität lässt sich vergleichen.
Von den 29 bekannten Werken Kemmers sind 22 im St.-Annen-Museum vereint. Sieben gehören dem Museum. Mit 64 Exponaten ist die Ausstellung zwar eher klein. Sie besticht aber mit der Qualität der Werke, die von 32 Leihgebern aus ganz Europa und den USA stammen – und nicht zuletzt mit dem historischen Kontext: dem Übergang der Renaissance zur Neuzeit, eine spannende und spannungsreiche Zeit.
Die Reformation bedeutete für Künstler einen großen Umbruch, den Cranach bestens meisterte. Auch Kemmer arbeitete überwiegend nach dem neuen Bildprogramm, das Cranach in Wittenberg mit Martin Luther, Philipp Melanchthon und Johannes Bugenhagen erarbeitete. Es liegt nahe, dass auch Hans Kemmer beteiligt war. Trotz der Nähe zu den Reformatoren arbeiteten Cranach wie Kemmer – geschäftstüchtig wie sie waren – weiter auch für Katholiken.