AltNiederländischer Meister Hugo von der Goes:

Zwischen Schmerz und Seligkeit

Die Bundeshauptstadt ist eine Reise wert: besonders für Kunst- und Kulturfreunde. Wenn dann noch Bilder von Weltrang von einem der bedeutendsten europäischen Künstler der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit präsentiert werden, sollte man sich das nicht entgehen lassen. Noch bis Mitte Juli zeigt die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin eine Zusammenstellung, die es in dieser Qualität und Güte selten zu sehen gibt:  die Sonderausstellung „Zwischen Schmerz und Seligkeit“ mit Werken von Hugo van der Goes. 

Gläubige Besucher sehen in den von christlicher Überzeugung inspirierten Darstellungen nicht nur Kunst, sondern nähern sich diesen Werken auch kontemplativ. Für sie lohnt die Schau gleich doppelt. Hugo van der Goes (um 1440 bis 1482/83) malte, einmal abgesehen von wenigen überlieferten Porträts, fast ausnahmslos Themen aus der Bibel: die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem ebenso wie die Kreuzigung auf Golgatha oder den Tod der Gottesmutter Maria.

Die Berliner Schau vereint fast alle Hauptwerke des wichtigsten niederländischen Künstlers der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Von Kennern wird er in einem Atemzug mit Meistern wie Jan van Eyck und Rogier van der Weyden genannt. Es verwundert geradezu, „dass seinem Gesamtwerk bisher noch nie eine monografische Ausstellung gewidmet wurde“, betonen die Kuratoren Stephan Kemperdick und Erik Eising.

Das dürfte sowohl an der Seltenheit seiner Werke als auch an deren großem Format liegen. Immerhin befinden sich zwei seiner monumentalen Arbeiten, der „Monforte-­Altar“ (um 1470/75) und die „Geburt Christi“ (um 1480), in der Berliner Gemäldegalerie. Beide Tafel­-­
bilder wurden in den vergangenen Jahren aufwendig restauriert und präsentieren sich nun „in einer zuvor ungeahnten Frische“, wie die Ausstellungsmacher es ausdrücken.

Das gilt auch für Hugos spätes Meisterwerk: den „Marientod“ (um 1480) des Groeningemuseums in Brügge. Für die Berliner Ausstellung hat es erstmals seine Heimat Flandern verlassen. Große Besuchertrauben bilden sich vor dem Bild – man muss förmlich Glück haben, einmal alleine davor zu stehen, um ein Foto zu schießen oder das Werk in Ruhe betrachten zu können.

Erstaunliche Lebensnähe

Nicht nur die Monumentalität und intensive Farbigkeit, auch die erstaunliche Lebensnähe und emotionale Ausdrucksstärke bewundern die Besucher. „Hugo wusste die Gefühlsregungen seiner Figuren mit größtem Einfühlungsvermögen wiederzugeben“, erklärt die Stimme des kostenfreien Audioguides. Die Betrachter erleben himmlische Seligkeit wie auch irdischen Schmerz – getreu dem Motto der Ausstellung. 

Das Leben des Künstlers verlief ähnlich widersprüchlich. Vielleicht erscheint er deshalb überraschend modern. Der ab 1467 in Gent als selbstständiger Meister tätige Maler brach Mitte der 1470er Jahre seine erfolgreiche Karriere ab und trat als Laienbruder in das Rood-Kloster in der Nähe von Brüssel ein. Dort entstanden die meisten seiner bis heute bekannten Werke, die er gemeinsam mit Gehilfen schuf.

„Nach einigen Jahren im Kloster aber wurde Hugo plötzlich von einer rätselhaften Geisteskrankheit befallen“, ist im Audioguide zu hören. Ein schriftliches Zeugnis davon ist in dem Bericht eines Mitbruders erhalten und wird ebenso ausgestellt. Der Maler versuchte offenbar sogar, sich das Leben zu nehmen – weil er sich vom Satan verfolgt und verdammt fühlte. 

Im späten 19. Jahrhundert wurde van der Goes daher als „wahnsinniges Genie“ betrachtet. Ein Bild von Emile Wauters (1872) am Ende der Ausstellung illustriert diese Sichtweise. Auch Vincent van Gogh identifizierte sich mit dem altniederländischen Meister. 1888 schrieb er an seinen Bruder: „Nicht nur meine Gemälde, auch ich selbst bin in letzter Zeit beinahe ebenso verstört geworden wie Hugo van der Goes.“ 

Die Sonderausstellung in Berlin umfasst gut 60 hochkarätige Exponate, darunter Leihgaben aus 38 Sammlungen. Im Zentrum stehen zwölf der 14 heute van der Goes zugeschriebenen Gemälde sowie die beiden als eigenhändig erachteten Zeichnungen „Jakob und Rachel“ (um 1475) und „Christus am Kreuz“ (um 1480). Auch verlorene Kompositionen des Meisters in zeitgenössischen Wiederholungen und Nachzeichnungen werden präsentiert. 

Zusätzlich widmet sich die Ausstellung anhand einer Auswahl herausragender, deutlich von Hugo van der Goes’ Stil geprägter Werke der unmittelbaren Nachfolge des Malers. Darunter sind das spektakuläre „Hippolytus-Triptychon“ des Mu­seum of Fine Arts in Boston und die „Anbetung Christi“ des Franzosen Jean Hey aus dem Musée Rolin in Autun.

Rocco Thiede

Information

Der reich bebilderte Katalog zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag erschienen. Er kostet im Buchhandel 55 Euro, im Museum 39 Euro.