Personelle Konsequenzen nach Kölner Gutachten

Auch Erzbischof Heße bietet seinen Rücktritt an

Nach der Vorstellung eines Gutachtens zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln gibt es erste personelle Konsequenzen. Nach dem Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp bot am Donnerstag auch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße dem Papst seinen Rücktritt an. Heße, seit 2015 Erzbischof von Hamburg, war ab 2006 Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar in Köln, einem der einflussreichsten deutschen Bistümer. Mit ihm übernimmt erstmals ein deutscher Diözesanbischof persönliche Verantwortung im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Deutschland.

Zuvor hatte die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger ihr Gutachten im Rahmen einer Pressekonferenz in Köln präsentiert. Für den Zeitraum zwischen 1975 und 2018 wurden Übergriffe und Grenzverletzungen untersucht und dabei 202 Beschuldigte ermittelt. Die Zahl der Betroffenen beläuft sich auf 314. Dabei stellten die Anwälte 75 Pflichtverletzungen von lebenden und verstorbenen Verantwortlichen fest. Die Amtsträger gingen zum Beispiel einem Verdacht nicht nach oder sanktionierten strafbares Verhalten nicht. In keinem Fall ging es um Strafvereitelung im strafrechtlichen Sinn.

Die Strafrechtler Björn Gercke und Kerstin Stirner bescheinigten den Verantwortlichen eine große Rechtsunkenntnis und dem Erzbistum eine desaströse Aktenlage. Der Schutz der Institution Kirche habe im Vordergrund gestanden.

Unmittelbar nach der Präsentation entband der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, dem selbst keine Pflichtverletzungen nachgewiesen wurden, Weihbischof Schwaderlapp und Offizial Günter Assenmacher, den obersten Kirchenrichter im Erzbistum, von ihren Aufgaben. "Damit gebe ich die Möglichkeit zur Reflexion und zum offenen Gespräch", sagte Woelki.

Der ehemalige Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff, dem die Gutachter Pflichtverletzungen in 13 Fällen attestieren, kündigte an, sich aus dem Priesterrat des Erzbistums zurückzuziehen. Der 81-Jährige war von 1975 bis 2004 Generalvikar und eines der bekanntesten Gesichter der Kölner Erzdiözese.

Von Betroffenen kam Kritik. Als "Freispruch" für Kardinal Woelki wertete der Sprecher der Initiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, das Gutachten. "Was man bestellt hat, hat man bekommen", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Untersuchung kläre weder moralische noch kirchenrechtliche Fragen. Katsch bemängelte zudem, dass die Perspektive der Betroffenen für die Erstellung der Studie keine Rolle gespielt habe.

Unterdessen wächst der Druck auf weitere Schritte zur Aufarbeitung. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte das im Gutachten gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen "erschreckend". Zugleich lobte er die Untersuchung als einen "wichtigen von vielen weiteren Mosaiksteinen der unabhängigen Aufarbeitung". Nun müsse zügig eine Aufarbeitungskommission unter Beteiligung von Betroffenen und Experten gebildet werden.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sieht in dem Gutachten einen "klaren Auftrag für Reformen". Das betreffe die Kirche insgesamt, betonte ZdK-Präsident Thomas Sternberg. "Alle Bistümer können aus den offensichtlichen Verfahrensfehlern, mangelnden rechtlichen Regelungen und mangelnder Rechtskenntnis in Köln lernen." Das ZdK ist das höchste repräsentative Gremium der katholischen Laien in Deutschland.

Ähnlich äußerten sich mehrere katholische Verbände und prominente ZdK-Mitglieder. "Die katholische Kirche muss eine andere Kirche werden", forderte etwa der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Das Gutachten hatte Woelki erst im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum - ein erstes Gutachten einer Münchner Kanzlei wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Woelki es für mangelhaft hält. Kritiker warfen ihm deshalb fehlenden Aufklärungswillen vor. Der Kardinal will sich am kommenden Dienstag zu weiteren Konsequenzen zu äußern. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte Möglichkeit zur Lektüre des Münchner Gutachtens bekommen.

KNA