Helmut Dieser neuer Beauftragter

Bischofskonferenz stellt sich im Kampf gegen Missbrauch neu auf

Die katholische Kirche in Deutschland will mit Hilfe unabhängiger Experten den sexuellen Missbrauch an Kindern besser aufklären und bekämpfen. Der neue Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Aachener Bischof Helmut Dieser, will zudem weitere Betroffene ermutigen, sich zu melden. Neben der von ihm geleiteten bischöflichen Fachgruppe und dem Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz soll ein neuer Expertenrat die Aufarbeitung vorantreiben.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann gab nach zwölf Jahren das Amt des Missbrauchsbeauftragten ab. Er bedauere, dass die Kirche den Missbrauchsskandal nicht schon längst entschlossener aufgearbeitet habe, sagte Ackermann am Mittwoch in Fulda. Zu lange seien die Bischöfe davon ausgegangen, dass es sich nur um Einzelfälle handle.

Bischof Dieser zeigte sich offen für eine deutschlandweite Studie zur sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Dabei dürfe es aber nicht allein um Missbrauch in den Kirchen gehen, sagte er bei der Vollversammlung der Bischofskonferenz. "Der Fokus kann jetzt nicht mehr weiter immer nur bei uns sein. Menschen in anderen Bereichen sind genauso betroffen. Dort guckt scheinbar immer noch keiner genauer hin oder zu wenig."

Die SPD im Bundestag hatte zuvor eine neue, einheitliche Missbrauchsstudie der katholischen Kirche in Deutschland gefordert. Den bisherigen Weg, dass jedes Bistum seine eigene Studie veröffentliche, halte er für "verrückt", sagte der religionspolitische Sprecher der Fraktion, Lars Castellucci, am Montag dem WDR. Die Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung für sexuellen Kindesmissbrauch, Kerstin Claus, hatte am Dienstag auf strukturelle Probleme im Spitzen- und Breitensport hingewiesen, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche begünstigten.

Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist nach Ansicht Diesers auch nach mehr als 20 Jahren noch nicht überall in der katholischen Kirche angekommen. In einem KNA-Interview sagte er: "Das Bewusstsein, wie zerstörend dieses Thema ist, macht vielen Angst, und sie riskieren nicht, das offen anzugehen, weil sie glauben, dass dann von der Kirche eventuell nichts mehr übrig bleibt." Der Aachener Bischof äußerte sich auch zu den sieben Bistümern in Deutschland, die noch keine Aufarbeitungskommission eingerichtet haben: "Meines Wissens stehen auch diese Bistümer im Prozess der Konstituierung. Alle sind in der Pflicht und müssen in die Pötte kommen."

Das Thema Missbrauch sei "giftig" für die Kirche und die Gesellschaft, betonte Dieser bei einer Pressekonferenz. "Im sozialpsychologischen Sinne ist es so giftig wie Radioaktivität. Es wirkt unendlich nach und zerstört soziale Beziehungen." Daher gebe es einen Grundreflex des Verschweigens, sagte der Bischof und mahnte: "Es ist so, dass die Kirche daran kaputtgehen kann."

Das Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen äußerte unterdessen massive Kritik an der Aufarbeitung in der katholischen Kirche. Es forderte ein Eingreifen der Politik. Eine Wahrheitskommission sei überfällig. "Auch ein neuer Beauftragter und neue Gremien werden nichts ändern", erklärte der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthias Katsch. "Von der Kirche erwarten wir nichts mehr. Das gilt auch für jene reformerisch orientierten Gläubigen, die sich stets betroffen zeigten und sich auch bemüht haben. Diese Kirche hat fertig."

Katsch verwies darauf, dass noch kein einziger Bischof zurückgetreten sei. Verantwortung löse sich in Dutzenden Studien und Gutachten auf. Kein einziger Betroffener habe eine angemessene Entschädigung erhalten, sondern alle seien mit "Freiwilligen Anerkennungsleistungen" abgespeist worden.

KNA

29.09.2022 - Aufarbeitung , Bischöfe , Missbrauch