"Aus guten Gründen"

Ethikratsmitglieder sehen sehr hohe Hürden für Impfpflicht

Für eine generelle rechtliche Impfpflicht gibt es nach Ansicht des Tübinger Ethikers Franz-Josef Bormann "aus guten Gründen sehr hohe Hürden". Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erinnerte Bormann am Dienstag zudem daran, dass die Bundesregierung immer wieder erklärt habe, dass das Impfen freiwillig geschehen solle. Nach moralischen Maßstäben sei indes jeder verpflichtet, über eine Impfung nachzudenken, "weil nur sehr wenig dagegenspricht".

Für Berufsgruppen wie etwa Altenpflegekräfte oder Krankenhauspersonal kann allerdings aus Sicht des Mitglieds im Deutschen Ethikrat eine Impfpflicht das letzte Mittel der Wahl sein. Jeder habe die Verpflichtung, Schäden für sich und andere möglichst klein zu halten; dies gelte besonders für die Menschen, die mit gefährdeten Gruppen wie Alten oder Kranken arbeiteten. "Erwartbar ist deshalb die gesteigerte Bereitschaft, andere nicht zu gefährden." Allerdings müssten die Betreffenden entsprechend informiert und aufgeklärt werden.

Mit Blick auf die Diskussion zur Impfung von Jugendlichen rief der katholische Moraltheologe dazu auf, die globale Perspektive zu sehen. Es sei zwar ein Problem, wenn sich Heranwachsende vermehrt ansteckten und ein hoher Wert, dass sie zur Schule gehen könnten. Da Jugendliche aber ein geringeres Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs hätten, müsse überlegt werden, ob es nicht besser sei, stark Gefährdete in Armutsregionen zu impfen. Die Pandemieentwicklung in der sogenannten Dritten Welt könne sich durch das Ausbilden von Mutanten auch auf die Lage "in den Wohlstandsregionen" auswirken, sagte Bormann.

Ausdrücklich lehnte Bormann Begriffe wie "Sonderrechte" und "Privilegien" für doppelt Geimpfte ab. Es gehe bei den Einschränkungen um Grundrechte: Begründungspflichtig sei nicht die Gewährung von Freiheitsrechten, sondern deren Entzug. Impfverweigerer sollen nach Bormanns Vorstellung künftig ihre Tests selbst zahlen, wenn sie ein Impfangebot ausgeschlagen haben. Es gebe keinen Grund, vermeidbare Folgekosten der Allgemeinheit aufzubürden.

Auch das Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl lehnt eine Impfpflicht momentan ab. Wegen der derzeitigen Impfbereitschaft sei sie noch nicht erforderlich, um eine Herdenimmunität zu erreichen, sagte der Berliner katholische Moraltheologe im Inforadio des rbb.

Lob-Hüdepohl lehnte auch Einschränkungen für Nicht-Geimpfte ab. Für solche Sanktionen müsse es eine gesetzlich geregelte Impfpflicht geben. Ansonsten seien solche Maßnahmen nur denkbar, wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gebe.

"Derzeit gehen Immunologen davon aus, dass eine negative Testung eine ähnlich vergleichbare Sicherheit bietet wie die doppelte Impfung und wieder genesen zu sein", sagte Lob-Hüdepohl. Getestete Ungeimpfte könne man nur dann ausschließen, wenn es eine große Differenz in den Sicherheitslagen gebe. "Und dann ist das durchaus legitim, denn es gibt ja für alle ein Impfangebot. Das unterscheidet sich von der Lage noch von vor drei, vier Monaten."

KNA

27.07.2021 - Ethik , Gesellschaft , Impfung