Gutachten veröffentlicht

Zahlreiche Pflichtverletzungen im Erzbistum Köln

Ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln hat in 24 der insgesamt 236 ausgewerteten Aktenvorgänge Pflichtverletzungen von Amtsträgern festgestellt. In 104 Vorgängen gebe es darüber hinaus Hinweise auf mögliche Pflichtverletzungen, sagte die Rechtsanwältin und Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner, am Donnerstag vor Journalisten in Köln. Das Handeln der Verantwortlichen im Erzbistum sei über viele Jahre "von Chaos, subjektiv empfundener Unzuständigkeit und Missverständnissen" geprägt gewesen.

Geändert habe sich dies erst mit Einrichtung einer Interventionsstelle im Jahr 2015. In den Jahren zuvor sei es aufgrund widersprüchlicher Aussagen der Betroffenen schlicht nicht möglich gewesen, die Verhältnisse im Erzbistum zu rekonstruieren.

Das Gutachten belastet unter anderem den Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54), den Kölner Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) sowie den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff (81). Ihnen sowie den bereits verstorbenen Erzbischöfen Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017) attestiert die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger jeweils zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen - gemessen am staatlichen und kirchlichen Recht sowie am kirchlichen Selbstverständnis.

Den amtierenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki (64) treffen laut der Untersuchung keine Vorwürfe. Belastet wird dagegen auch der Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher (69), der in zwei Fällen unzutreffende Rechtsauskünfte gegeben haben soll.

Für das Gutachten wurde laut Angaben der Zeitraum zwischen 1975 und 2018 untersucht. Es gab Übergriffe und Grenzverletzungen von insgesamt 202 Beschuldigten, davon knapp zwei Drittel Kleriker. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 314, darunter 178 männliche und 119 weibliche. Bei 17 Opfern gab es keine Angabe zum Geschlecht.

Das Gutachten wurde am Donnerstag nach monatelanger Debatte vorgestellt. Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte es erst im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum - ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Kardinal Woelki es für mangelhaft hält. Kritiker warfen ihm deshalb mangelnden Aufklärungswillen vor.

Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann nahmen als Gäste an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannten sie den Inhalt des Gutachtens bislang nicht. Woelki will sich am 23. März zu den Konsequenzen äußern.

Das komplette Gutachten soll gegen 13 Uhr auf der Internetseite des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte Möglichkeit zur Lektüre des WSW-Gutachtens bekommen.

KNA

18.03.2021 - Aufarbeitung , Bistum , Missbrauch