"Kulturbruch"

Kirche kritisiert Sterbehilfe-Urteil in Österreich

Nach der Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zu Sterbehilfe üben Kirchenvertreter scharfe Kritik. Ärzteverbände äußerten sich am Wochenende besorgt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz dagegen reagierte gelassen.

Die katholischen Bischöfe sprachen von einem Kulturbruch. "Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird - bis zu seinem natürlichen Tod", erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Dieser gemeinsamen Auffassung habe das Gericht mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen.

Vor dem Hintergrund der Entscheidung werde sich die Kirche sowohl in Hospizarbeit und Schmerzbehandlung, aber auch in der Begleitung von Menschen in Lebenskrisen nun noch intensiver engagieren, kündigte der Salzburger Erzbischof an. Das gelte auch mit Blick auf die Vorbeugung von Selbsttötungen.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn betonte in der "Kronenzeitung": "Die schreckliche Erinnerung an die Masseneuthanasie von 'lebensunwerten Leben' in der Nazi-Zeit hat immer als Warnung gegolten." Die höchstrichterliche Entscheidung sei überraschend und komme einem "Dammbruch" gleich.

Der Verfassungsgerichtshof hatte am Freitag eine Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter bei der mündlichen Urteilsverkündung. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.

Die neue Regelung tritt zum 1. Januar 2022 in Kraft. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern. Anlass für die Befassung des Verfassungsgerichtshofes mit dem Thema waren vier Anträge gegen die Paragrafen 77 und 78 des österreichischen Strafgesetzbuches, die ein Wiener Anwalt mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfevereins "Dignitas" eingebracht hatte.

"Für Deutschland ist das Urteil nichts Ungewöhnliches", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Hierzulande sei die Hilfe zur Selbsttötung bereits seit über 100 Jahren straflos.

Interessant sei jedoch, dass der Verfassungsgerichtshof den Straftatbestand "Verleiten zum Suizid" ausdrücklich bekräftigt habe, sagte der Patientenschützer. Dieser Grundsatz bleibe "ein scharfes Schwert gegen organisierte und wiederholte Hilfe zur Selbsttötung", betonte Brysch. "Für Sterbehelfer wird es weiterhin unmöglich sein, solche Angebote straflos in der Alpenrepublik anzubieten."

Österreichische Ärzteverbände bezeichneten das Urteil als bedauerlich. Es drohe die Gefahr, "dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen", kritisierte der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres. Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) forderte ein striktes Verbot kommerzieller Anbieter.

Die Juristin Stephanie Merckens, Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, sagte: "Bisher konnte man sich darauf verlassen, in Österreich nicht legaler Weise direkt getötet zu werden. Nun haben wir den Freibrief serviert bekommen, uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns umzubringen. Was für eine verkehrte Welt."

KNA

14.12.2020 - Kirchen , Österreich , Sterbehilfe