Richterspruch aus Karlsruhe

Kirchen und Verbände kritisieren Urteil zur Suizidbeihilfe

Die beiden großen Kirchen, Sozialverbände und Palliativmediziner haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe scharf kritisiert. „Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“, erklärten die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in Bonn und Hannover. Die Kirchen wollten sich weiter dafür einsetzen, dass „organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden“.

„Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen“, sagten der Konferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in der gemeinsamen Erklärung.

Aus Sicht der Kirchen entscheiden sich an der Weise des Umgangs mit Krankheit und Tod grundlegende Fragen des Menschseins und des ethischen Fundaments der Gesellschaft. „Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. Sie sind Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet.“

Mit Bestürzung reagierte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). „Dieses Urteil ist ein tiefer Einschnitt für den Schutz des Lebens in unserem Land“, erklärte Präsident Thomas Sternberg. „Hier droht vielen Menschen statt der verheißenen Selbstbestimmung eine wachsende Fremdbestimmung am Lebensende.“ Dass die Selbsttötung als Dienstleistung verfügbar werde, habe nichts mit der Achtung der Menschenwürde zu tun. Sternberg verwies auf Entwicklungen in europäischen Nachbarländern mit liberalen Sterbehilfegesetzen: Dort sei der Zugang zu ärztlicher Suizidassistenz und aktiver Sterbehilfe kontinuierlich ausgeweitet worden.

Auch der Deutsche Caritasverband bedauerte das Urteil. „Sterbenskranke Menschen brauchen eine Begleitung, die ihre Ängste und Nöte und die ihrer Angehörigen ernst nimmt. Sie müssen alle mögliche Unterstützung erfahren, um würdevoll sterben zu können“, erklärte Präsident Peter Neher. „Sterbehilfe verstößt gegen die Menschwürde und gegen das christliche Menschenbild.“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz befürchtet einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft. „Jetzt kann die Beihilfe zum Suizid jederzeit von jedermann angeboten werden. Damit wird die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption“, kritisierte Vorstand Eugen Brysch. Heftige Kritik übte auch die Deutsche PalliativStiftung. Karlsruhe setze die Selbstbestimmung der ohnehin Starken über den Schutz der Schwächsten, erklärte der Vorstandsvorsitzende Thomas Sitte. „Jetzt wird die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde zur normalen Dienstleistung.“ Wer Sterbehilfe erlaube, mache über kurz oder lang Sterben zur Pflicht „- erst recht in einer so ökonomisierten Gesellschaft wie der unseren“, fügte Sitte hinzu.

KNA