System wurde geschützt

Kohlgraf nennt Ergebnisse der Mainzer Missbrauchsstudie erschreckend

Die Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Mainz bescheinigt den drei früheren Bischöfen Albert Stohr (1935-1961), Hermann Volk (1962-1982) und Karl Lehmann (1983-2016) einen verheerenden Umgang mit sexuellem Missbrauch. Lehmann wird ein Gegensatz zwischen seinem öffentlichen Auftreten und Handeln attestiert. Betroffene hätten fast nie eine Rolle gespielt. Vielmehr sei darauf geachtet worden, das System katholische Kirche zu schützen.

Dem amtierenden Bischof Peter Kohlgraf sprechen die Studienautoren Ulrich Weber und Johannes Baumeister die Bereitschaft zu, lernen und aufarbeiten zu wollen. Für "hoch plausibel" halten die Studienautoren, dass es 181 Beschuldigte und 401 Betroffene gibt. Das heiße aber nicht, dass die anderen Fälle unplausibel seien; auch sie seien mutmaßlich wahrheitsgemäß.

Kohlgraf wertete in einer ersten Reaktion die Untersuchung als "Meilenstein". Zugleich erklärte er, die EVV-Studie sei nicht der Abschluss dieses Prozesses. Die Ergebnisse nannte er erschreckend. Auch Vertreter aus der Bundespolitik würdigten die Studie. Zugleich riefen die Missbrauchsbeauftragte der Regierung, Kerstin Claus, und der religionspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, zu einer stärkeren staatliche Beteiligung an der Aufarbeitung auf. Der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthias Katsch, sprach von einem schwarzen Tag.

Von den Betroffenen sind laut Studie 59 Prozent Jungen oder Männer sowie 41 Mädchen oder Frauen. Die Hälfte sei Opfer einer schweren oder besonders schweren Straftat geworden - und zwar mehrfach. Zeitlicher Schwerpunkt der Taten sei Volks Amtszeit gewesen. Immer noch sei aber das Dunkelfeld groß und habe nur in Teilen erhellt werden können.

Stohrs Umgang mit Missbrauch etikettieren die Autoren mit den Worten "ermahnen und versetzen"; bei Volk heißt es "verharmlosen und verschweigen". Lehmanns Bischofszeit wird in drei Phasen unterteilt, die mit den Begriffen "abwehren und vortäuschen", "herausreden und verteidigen" und zuletzt "eingestehen und bewältigen" umschrieben werden. Lehmann habe Missbrauch nie als Chefsache gesehen und ein mangelndes Problembewusstsein gehabt. Seinem eigenen Anspruch sei der Bischof "zu keiner Zeit gerecht geworden".

Die Studienautoren betonten, bei der Erarbeitung der Untersuchung habe das Bistum kooperiert. Weber wörtlich: "Wir konnten tun und machen, was wir wollten." Als Risikofaktoren für Missbrauch macht die Studie etwa eine sehr enge Bindung an die Kirche und eine schwierige persönliche Situation Betroffener aus. Oft habe auch ein falscher Umgang mit Macht und Vertrauen Missbrauch begünstigt. Weitere Gründe seien eine Überhöhung des Priesteramts und mangelnde persönliche Reife von Klerikern im Umgang mit dem Zölibat, also der Ehelosigkeit. Notwendig sei, jeden Fall einzeln zu sehen, weil viele kirchliche Strukturen Missbrauch begünstigt und ein Umfeld dafür geschaffen hätten. Gelegentlich gebe es heute noch Strukturen "wie vor 30 Jahren". Notwendig sei an allen Orten eine "Bereitschaft zum Lernen".

Dieses "Lernen aus der Vergangenheit" bedeute "Steuerung der Gegenwart" und "Gestaltung der Zukunft". Überall brauche es eine "Kultur der Achtsamkeit". Der Bericht mit dem Titel "Erfahren - Verstehen - Vorsorgen" (EVV) ist nach Angaben der Autoren nicht mit anderen Untersuchungen wie etwa der 2018 veröffentlichten bundesweiten MHG-Studie vergleichbar. So ging es in Mainz nicht nur um Taten von Klerikern, sondern von allen kirchlichen Mitarbeitern. Zudem wurden Beziehungen unter Erwachsenen einbezogen. Die Kosten für die Studie bezifferten ihre Autoren mit einer "hohen sechsstelligen Summe".

KNA

06.03.2023 - Bischöfe , Bistum , Missbrauch