Zentralrat zu judenfeindlichen Straftaten:

Halle war ein "Fanal"

Angesichts des Rekordniveaus judenfeindlicher Straftaten in Deutschland fordert der Zentralrat der Juden einen verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Dabei seien sowohl Politik, Justiz und Zivilgesellschaft gefragt, hieß es am Mittwoch in Berlin. "Dabei muss der israelbezogene Antisemitismus, der erschreckend weite Verbreitung in allen Teilen der Bevölkerung hat, einbezogen werden." Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, der Justiz und Lehrer müssten darüber hinaus besser fortgebildet werden, um Antisemitismus zu erkennen und "nachhaltig" bekämpfen zu können.

Unter den judenfeindlichen Straftaten hatten im vergangenen Jahr 93,4 Prozent einen rechtsextremistischen Hintergrund. Mit rund 2.000 erfassten Delikten erreichte dieser Bereich den höchsten Stand seit Aufnahme der Statistik, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am selben Tag bei der Vorstellung der Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität für 2019 erklärt hatte. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Fälle um 13 Prozent.

Der Negativrekord sei 75 Jahre nach der Schoah erreicht worden, gab der Zentralrat zu bedenken. Es zeige sich ein "düsteres Bild", wenn auch die Dunkelziffer sowie antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle berücksichtigt würden.

Zentralratspräsident Josef Schuster nannte den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 ein "Fanal". Für Juden in Deutschland sei Antisemitismus alltäglich geworden. "Vor allem im Internet schlägt uns ungehemmter Hass entgegen. Doch auch auf der Straße und in Schulen ist die Ablehnung von Juden ein massives Problem. Die Corona-Krisen wirkt sich dabei leider verstärkend aus, so dass wir auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind."

Anhänger von Verschwörungsmythen und Gegner der Maßnahmen gegen die Pandemie schreckten nicht davor zurück, den Holocaust zu relativieren. "Auf dem wachsenden Rechtsextremismus muss das besondere Augenmerk liegen", forderte Schuster.

Der Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, Jo Frank, erklärte, dass die Zahlen die Erfahrung vieler Juden in Deutschland widerspiegelten. "Antisemitismus ist eine reale Bedrohung für jüdisches Leben, die nicht länger ignoriert werden darf." Das "Nie Wieder", das nach dem Ende der Schoah eine "wesentliche Säule des bundesrepublikanischen Selbstverständnis" geworden sei, gerate ins Wanken. "Das dürfen wir alle nicht zulassen."

Es müssten zudem "Schieflagen im Diskurs" überdacht werden, forderte Frank: "Statt über Begrifflichkeiten und Zuschreibungen von Antisemitismus muss es jetzt um die aktive Bekämpfung des Antisemitismus innerhalb unserer Gesellschaft gehen." Frank verwies auf das bis 2022 laufende Programm des Begabtenförderungswerks "Nie wieder!? Gemeinsam gegen Antisemitismus & für eine plurale Gesellschaft".

KNA

28.05.2020 - Deutschland , Gesellschaft , Judentum