Ansprache beim Kreuzweg am Gebets- und Solidaritätstag für verfolgte Christen von Bischof Bertram Meier am 19. September 2021

„In den leidenden Christen lebt der Leib Christi“

Eure Heiligkeit, hochverehrter Herr Patriarch,

liebe Brüder im geistlichen Dienst, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

wir sind beisammen, um den Kreuzweg Jesu nachzugehen, stellvertretend und im Glauben tief verbunden mit jenen Millionen Menschen auf der Welt, die mit letzter Kraft und Todesmut dem Schmerzensmann nachfolgen, die ihr Kreuz, ihre Not kaum mehr tragen können. Sie durch unser Gebet zu stützen, sie der Gefahr des Vergessenwerdens zu entreißen, darum begehen wir jedes Jahr im Licht des Festes Kreuzerhöhung diesen Gebets- und Solidaritätstag. 

Vor uns stehen unsere verfolgten Schwestern und Brüder, wohl wissend, dass auch wir nicht davor gefeit sind, Anfeindung, Hass und Verfolgung zu erleiden. Wie viele aufrechte Christinnen und Christen, Ordensleute, Priester, Pastoren, bekannte und unbekannte Namen starben vor rund 80 Jahren in den Konzentrationslagern Europas! Ja, wir wissen nur zu gut, welchen Mut es braucht, seinen Glauben zu bekennen und für Christus in den Tod zu gehen. Doch gerade in den leidenden Christen lebt der Leib Christi; dort bildet er sich ab: weniger auf Kirchenparlamenten oder Synodalen Wegen und mehr auf den Stationen des Kreuzwegs; weniger im Kreisen um sich selbst und mehr im geistlichen Miteinander und in der Solidarität mit der Kirche in Not. 

Die Unkenrufe verstummen nicht, im Gegenteil: Auch heute gibt es Menschen, denen Anpassung über alles geht: Tendenz steigend! Nur nicht auffallen, in der Masse abtauchen, mit den Wölfen heulen. Manche Straßenszene der letzten Monate erinnert in fataler Weise an Tage, die wir längst überwunden glaubten! 

So haben wir allen Grund, uns zusammenzutun und diesen Tag wie einen Stachel im Fleisch (2 Kor 12,7) auch zu spüren, damit wir in der Gewohnheit des Alltags nicht abstumpfen, sondern wach und bereit sind, wenn jemand unsere Hilfe braucht. Auf zwei Menschen, denen wir gleich auf dem Kreuzweg begegnen, will ich Sie aufmerksam machen: Simon von Zyrene und Veronika. 

Beide sind Passanten: Leute, die ihren Geschäften nachgehen und auf diesen Zug des Elends treffen. Es sind Menschen, die nicht zu den Sensationslüsternen gehören, sondern vielleicht im Stillen ein Gebet sprechen, wenn sie Zeuge von Unrecht werden und sich ohnmächtig einer Übermacht ausgesetzt sehen. Simon von Zyrene gelingt es nicht, am Menschenauflauf unbehelligt vorbeizukommen. Ausgerechnet ihn, der müde und erschöpft vom Feld kommt, herrscht einer der Soldaten an und fordert ihn auf, Jesus das Kreuz zu tragen. Wie bloßgestellt und erniedrigt muss sich Simon vorgekommen sein! Wer wird schon gerne zum Helfershelfer eines Todeskandidaten. Aber diese erzwungene Hilfe – sie wird zum Wendepunkt seines Lebens! 

Wenn es nicht so gewesen wäre, dann wüssten wir nicht einmal seinen Namen und dass er der Vater des Alexander und Rufus war (Mk 15, 21). Was geschah also an jenem heißen Tag auf dem Weg nach Golgotha im Herzen dieses Mannes? Das Evangelium überliefert uns kein weiteres Detail und doch hat – wie ich glaube -  jeder von uns eine Vorstellung davon, wie es gewesen sein muss, auf DEN zu treffen, der der Heilige und unendlich Liebende zugleich ist.

Schauen wir auf Veronika: Die körperlich schwächere Frau erweist dem geschundenen Heiland einen mutigen Liebesdienst, unscheinbar und doch nicht sinnlos. Denn auch für sie ist dieser Moment der wichtigste in ihrem Leben, der Moment, für den es sich lohnt, zu leben, zu lieben und zu verzeihen… Sie hat den getröstet, der der Tröster aller war und ist und immer sein wird. Ihr Name ist Verheißung: Veronika – die wahre Ikone – in ihr Tuch, das sie Jeus hinhält, prägt sich das Antlitz Jesu ein.

Beten wir nun in dieser Gesinnung für unsere gequälten und von Hunger, Gewalt und Verzweiflung bedrohten Schwestern und Brüder den Kreuzweg des Mitleidens und Mittragens aller Not:

Im Namen des Vaters…

20.09.2021 - Predigt