Predigt zur Erteilung der Missio Canonica am 10. Juli 2020 im von Bischof Bertram Meier

Kirchliche MISSIO heißt: Auf Sendung bleiben!

Es gibt Erlebnisse, die bleiben. Das Gedächtnis vergisst sie nicht. So kann ich mich noch lebhaft an einen Schulbesuch erinnern, den ich vor einigen Jahren während einer Visitation an einem Gymnasium machte. Im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern wurde ich mit der Frage konfrontiert: „Was ist denn das Besondere des Christentums und der Kirche?“ Meine Antwort war ebenso spontan wie einfach und klar: „Jesus und sein Evangelium, die Sorge um die Armen, wie es Papst Franziskus betont, und die Verheißung von einem Leben, das Sinn hat.“ Diese Frage samt Antwort stand nicht am Anfang. Vorausgegangen war eine lebendige und durchaus kontroverse Diskussion über viele Themen, die Kirche und Welt gerade umtreiben – Fragen, welche die Schülerinnen und Schüler wie viele Menschen bei uns in der Region bewegen. Wir müssen uns klarmachen: Die typisch katholischen Milieus sind auch bei uns in Bayern ausgedünnt oder ganz verschwunden. Darüber täuscht auch die immer noch gültige Bayernhymne nicht hinweg. Wir leben mitten in einer Welt, die geprägt ist nicht nur von katholischen und evangelischen Christen, sondern auch von vielen christlichen Konfessionen und Angehörigen anderer Religionen wie Juden, Muslimen, Buddhisten usw. Hinzu kommen nichtreligiöse Glaubens- und Lebensüberzeugungen, die ausdrücklich oder eher unbewusst artikuliert werden. Es ist eine Herausforderung, sich in einer solchen Gesellschaft als Christ zu positionieren und zu profilieren. Noch einmal die Eingangsfrage: „Was ist das Besondere des Christentums und der Kirche?“ Ich bleibe dabei: Es ist schlicht und einfach Jesus Christus. Um IHN geht es. Er ist Dreh- und Angelpunkt, um den alles kreist und der uns in die Tiefe des Lebens vordringen lässt.

Doch noch einmal zurück zu diesem Schulbesuch: Auf meine spontane wie klare Antwort haben einige Schülerinnen und Schüler mit Unverständnis, manche sogar lachend reagiert. Andere waren eher nachdenklich. Warum wohl? Wer immer sich in der Schule mit dem Religionsunterricht und seinen Inhalten auseinandersetzen muss, ist stets als Person und Mensch gefragt. Es geht um nicht weniger als um das Leben. Der französische Philosoph Gabriel Marcel brachte es auf den Punkt: „Die Frage nach dem Leben fragt nicht nach einem Problem, sondern nach einem Geheimnis.“

Liebe Religionslehrerinnen und –lehrer, zunächst beglückwünsche ich Sie zu Ihrem Schritt, den Dienst an den verschiedenen Schulen zu übernehmen. Gleichzeitig sage ich Ihnen ganz ehrlich: Es werden Ihnen Erfahrungen nicht erspart bleiben, die ich selbst bei dem erwähnten Schulbesuch gemacht habe: wenig Begeisterung, eher Achselzucken und auch Ablehnung. Solche Reaktionen erinnern an das, was Paulus nach seiner Rede auf dem Areopag in Athen zu hören bekam: „Darüber wollen wir dich ein andermal hören.“ (Apg 17,33) Doch lassen Sie sich bitte davon nicht entmutigen! Wenn ich Ihnen heute die sog. MISSIO erteile, dann sollten Sie wissen: „Sie haben nicht nur eine Mission, sie sind eine Mission.“ Papst Franziskus hat dafür wunderbare Worte gefunden: „Die Mission im Herzen ist nicht ein Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann; sie ist kein Anhang oder ein zusätzlicher Belang des Lebens. Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein ausreißen kann, außer ich will mich zerstören. Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. (…) Da zeigt sich, wer aus ganzer Seele Krankenschwester, aus ganzer Seele Lehrer, aus ganzer Seele Politiker ist – diejenigen, die sich zutiefst dafür entschieden haben, bei den anderen und für die anderen da zu sein. Wenn hingegen einer die Pflicht auf der einen Seite und die Privatsphäre auf der anderen Seite voneinander trennt, dann wird alles grau.“ (Evangelii gaudium, Nr. 273). Dann verwirkt er seine Mission. 

Mission heißt Sendung. Wenn wir Christen – auch und gerade Sie – nicht „auf Sendung“ bleiben und die Entwicklung unserer Gesellschaft lieber „anderen Sendern“ überlassen, verfehlen wir unseren Grundauftrag. Dann sind wir tatsächlich auf Dauer nicht mehr systemrelevant, wie es ja im Horizont der Corona-Debatten hie und da schon angeklungen ist. Ich bin überzeugt: Der Religionsunterricht ist systemrelevant – weniger als Missionsinstrument, aber dafür als Angebot für ein sinnvolles Leben: im Licht Jesu Christi und seines Evangeliums von einer menschlicheren Welt. Wir haben den jungen Menschen etwas zu sagen. UND: Wir müssen es tun – sei es gelegen oder ungelegen.

Man kann in der Schule nicht mit kühler Distanz von Jesus Christus erzählen, wie man vielleicht Mathematik oder Chemie lehrt. Im Religionsunterricht bringt sich die Lehrerin / der Lehrer selbst ein: die eigene Glaubenserfahrung, die eigene Glaubensgeschichte, die eigenen Fragen und Zweifel. Ich wünsche Ihnen, dass in Ihrem Tun etwas von dem spürbar wird, was die Jünger Petrus und Johannes einst veranlasst hat, vor dem Hohen Rat in Jerusalem auszurufen: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4,20) Es geht darum, das Erlebte weiterzuerzählen. Mit der MISSIO setze ich Sie nicht als Lehrer für neutrale christliche Religionskunde ein, sondern als Zeugen einer Botschaft, die es sich lohnt, den jungen Menschen von heute anzubieten. Zugleich versteht sich unser katholischer Religionsunterricht nicht als innerkirchliche Christenlehre, sondern als Beitrag, den jungen Menschen von heute ein Angebot zu machen, das eindeutige Konturen zeigt: das Evangelium Jesu Christi. 

Genau das ist es, was ich mir als Bischof von Ihnen erwarte: Ihre Berufswahl ist mehr als ein Job, sie ist Berufung. Denn wer immer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat – erst recht, wenn er sie durch Angebote und Inhalte von wichtigen Lebensperspektiven im Glauben überzeugen will, der muss mit begründeter Fachkompetenz auftreten und seinen Unterricht gleichzeitig mit seiner ganzen Persönlichkeit unterstreichen. 

Für Religionslehrerinnen und -lehrer fallen Leben und Lehre, Berufung und Beruf zusammen. Sie lassen sich nicht trennen. Das ist auch der Grund, warum es nicht ausreicht, einfach ein Universitätsstudium in katholischer Theologie erfolgreich abzuschließen, um dann Religionsunterricht an den verschiedenen Schultypen erteilen zu können, die es in unserem Freistaat Bayern gibt – seien sie staatlich oder kirchlich. Für den Religionsunterricht braucht es den ausdrücklichen Auftrag der Kirche: So ist die MISSIO als Dokument Würde, aber auch Bürde. Gerade in so schwierigen Zeiten wie der unseren, in denen der Kirche Gegenwind von innen und außen ins Gesicht bläst, erwarte ich mir Persönlichkeiten, die von kritischer Zeitgenossenschaft ebenso geprägt sind wie von einem loyalen „Sentire cum Ecclesia“. Fühlen Sie mit der Kirche, die Sie heute sendet! Das heißt nicht, als Papagei der Obrigkeit auftreten zu müssen; vielmehr wünsche ich Sie mir – um im Bild zu bleiben – als Nachtigallen oder Amseln, als Menschen, die ihrem Lebensgesang eine variantenreiche, individuelle Glaubensmelodie verleihen!

Dabei sollte uns allen – ob als Religionslehrer oder als Prediger – das Wort des Apostels Petrus als Richtschnur gelten: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen.“ (1 Petr 3,15f.) Wir brauchen uns mit dem Angebot des Evangeliums nicht verstecken, aber wir sollten die Frohe Botschaft auch keinem aufzwingen. Das heißt, nüchtern und zugleich durchdrungen zu sein vom Reichtum der wunderbaren Botschaft Jesu, von der Faszination seiner Persönlichkeit, die uns vom Tod ins Leben, vom Dunkel ans Licht und immer wieder in die Frische eines neuen Anfangs zieht. Denn auch wenn im Schulalltag manchmal Zeiten der Er-Nüchterung und drohenden Depression auftreten können, lassen Sie sich nicht entmutigen: Greifen Sie auf die Unterstützung der Gemeinschaft, der Communio, zurück und teilen Sie auch ihre Schwierigkeiten miteinander.

An dieser Stelle ist es mir ein Herzensanliegen, dem zu danken, der in vielen Jahren die Schulabteilung im Bistum Augsburg mit Umsicht und feinem Gespür geleitet hat: Herrn Bernhard Rößner, der in wenigen Wochen in den Ruhestand tritt. Als seine Nachfolger wird es ein Tandem geben: Frau Dr. Kristina Roth und Herr Markus Moder. Die beiden Weihbischöfe Dr. Losinger und Florian Wörner, denen Herr Rößner zugearbeitet hat, werden ihren Dank im September noch ausdrücklich formulieren. Ich selbst will es heute nicht versäumen, Ihnen als Bischof für Ihren Dienst in der Diözese Augsburg zu danken. Uns beide verbindet ein großer Pädagoge und Theologe, der aus unserem Bistum stammt: Johann Michael Sailer. Ich weiß, dass Sie ihn sehr verehren und sich von seinen Ideen inspirieren lassen. So möchte ich Ihnen persönlich, aber auch uns allen einen Sailer-Gedanken mit auf den Weg geben, der uns in die Zukunft führt: „Die deutschen katholischen Theologen wollen einen Katechismus für das katholische Deutschland. Katechismen haben wir oder bekommen wir bald genug. Aber an Katecheten und an Religion fehlt es uns.“ Ja, Papier haben wir genug, aber zu wenig lebendige Zeugen. Möge Wirklichkeit werden, was uns der hl. Papst Paul VI. in seinem Schreiben Evangelii nuntiandi (1975) ins Stammbuch geschrieben hat: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte. Und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind.“ (Nr. 41).

MISSIO – Sendung zu einer besonderen Berufung in die Welt der Schulen, zu den jungen Menschen ebenso wie zu den Kollegen anderer Fächer! Das feiern wir heute. Ich freue mich von ganzem Herzen, Sie rufen und segnen zu dürfen als Zeugen für Jesus Christus.

10.07.2020 - Bistum Augsburg , Gottesdienst