20 Jahre Gemeinsame Erklärung

Unterschiede nicht trennend

AUGSBURG – Am 31. Oktober 1999, also am Reformationstag vor 20 Jahren, wurde die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in der evangelisch-lutherischen Kirche St. Anna in Augsburg unterzeichnet. Diözesanadministrator Bertram Meier gibt eine Einschätzung aus heutiger Sicht. Er beginnt mit einem Zitat Johannes Pauls II.: 

„Es handelt sich um einen Meilenstein auf dem nicht einfachen Weg zur Wiederherstellung der vollen Einheit unter den Christen, und es ist sehr bedeutsam, dass er gerade in jener Stadt gesetzt wird, in der im Jahre 1530 mit der ‚Confessio Augustana‘ eine entscheidende Seite der Reformation geschrieben wurde. Dieses Dokument bildet eine sichere Grundlage für die weitere ökumenische theologische Forschung, aber auch dafür, die noch verbleibenden Schwierigkeiten mit begründeter Hoffnung auf eine künftige Lösung anzugehen.“

Diese Worte von Papst Johannes Paul II. vor dem Angelus-Gebet am 31. Oktober 1999, just zur Stunde der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER), haben Gültigkeit bis zum heutigen Tag. Sagen sie doch zweierlei aus: Die Unterzeichnung der Erklärung ist ein Meilenstein auf unserem nicht einfachen Weg zur Einheit – und das Dokument ist eine sichere Grundlage für den gemeinsamen Weg, die noch verbleibenden Schwierigkeiten anzugehen.

Keine Sonderwege

Es ist viel erreicht – aber noch nicht alles gelöst! Umso mehr erstaunt es, wenn einige meinen, schon jetzt sei eine wechselseitige Einladung zur Eucharistie oder zum Abendmahl möglich. So sei an dieser Stelle an eine Aussage von Kardinal Karl Lehmann erinnert, der gewiss kein ökumenischer Bremser war. In seinem Festvortrag zum zehnten Jubiläum der GER in Augsburg sagte er: „Manchmal überschätzen wir unsere deutsche All-Kompetenz. Wir leben zwar im Land der Reformation, aber wir sind nicht der ökumenische Nabel der Welt – Gott sei Dank.“ 

Das sollte uns abhalten von deutschen Sonderwegen! Der Kardinal fuhr fort: „Was sich in mehr als 450 Jahren theologisch, spirituell, kulturell und oft auch politisch auseinandergelebt hat, braucht bei allem hohen Einsatz Zeit der Reifung für ein verantwortliches Zusammenwachsen.“

Welche Bedeutung und welche Wirkung hat die GER aus katholischer Sicht? Zuerst einmal manifestiert sich in dieser Erklärung auf beiden Seiten der große Ernst, sich in einer Frage von höchster Bedeutung verständigen und annähern zu wollen. Für Martin Luther war das Problem um die Rechtfertigung der Punkt, an dem Kirche steht und fällt. Das Ringen um eine Lösung geschah auf sachlicher Ebene; im Zuge der theologischen Klärungen wurden auch psychologische Barrieren abgebaut, die im Laufe der Zeit durch gegenseitige Polemiken gewachsen waren: ein großer und wichtiger Schritt, der nicht unterschätzt werden darf.

Zwei jüngere Veröffentlichungen zum Reformationsgedenkjahr 2017, die für viele andere stehen, wussten die Bedeutung der GER zu würdigen. Zum einen handelt es sich um das Studiendokument des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen mit dem Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, zum anderen um das gemeinsame Wort „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland haben es gemeinsam herausgegeben.

Der Grundkonsens, so heißt es in dem Schreiben, sei so umfassend, dass auch die noch verbleibenden Divergenzen diesen nicht aufheben könnten; die „Unterschiede haben keinen kirchentrennenden Charakter, sie haben vielmehr den Status von ‚heilsamen Warnungen‘ vor einer konfessionellen Verengung des Blicks.“ 

Auch Kardinal Kurt Koch, der „Ökumene-Minister“ des Vatikans, hebt in seiner jüngsten Veröffentlichung mit Blick auf „500 Jahre Reformation“ die Bedeutung der GER hervor: „Der hohe Anspruch eines gemeinsamen Reformationsgedenkens (wäre) ohne ökumenischen Konsens in der Rechtfertigungslehre wohl kaum denkbar gewesen.“

Heikler Aspekt

Bei aller positiven Würdigung weist Koch auch auf einen gerade für Katholiken höchst bedeutenden und ökumenisch noch immer heiklen Aspekt hin, der unter den verbleibenden Schwierigkeiten weiterer Bearbeitung bedarf: Rechtfertigung zwischen Gnade Gottes und Mitwirken des Menschen als Zusammenwirken von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit. Die GER hat die Tür für eine Lösung dieser Spannung weit geöffnet, doch es bleiben Fragen, die der weiteren Vertiefung bedürfen.

So hält Kardinal Koch fest: „Das Versöhnungsgeschehen ist ‚kein Deszendenzgeschehen ohne Aszendenzgeschehen‘ (Karl-Heinz Menke, Das unterscheidend Christliche. Beiträge zur Bestimmung seiner Einzigkeit, Regensburg 2015, 67). Nur im Licht dieser christologisch-soteriologischen Grundperspektive lassen sich auch die ökumenisch noch nicht konsensfähigen Fragen angehen.“ Dabei denkt der Kardinal zum Beispiel an das ekklesiologische Problem der Sakramentalität der Kirche. Er weist auch auf grundlegende hagiologische und mariologische Fragen bezüglich der Mitwirkung der Heiligen und Mariens hin.

Diözesanadministrator Bertram Meier schließt: „Mit Freude können und dürfen wir 20 Jahre danach der Unterzeichnung der GER gedenken. Doch der Weg zur sichtbaren Einheit ist längst noch nicht am Ziel. Mitunter ist er steinig und beschwerlich. Es gibt also noch viel zu tun. Packen wir’s an!“

28.10.2019 - Bistum Augsburg , Ökumene