Bischof Sprolls Exil in St. Ottilien

Sein Deckname: Pater Martinus

ST. OTTILIEN – Der Rottenburger Bekennerbischof  Joannes Baptista Sproll lebte im Krumbad im Exil. Eine Straße in dem Krumbacher Stadtteil, die nach ihm benannt wurde, hält die Erinnerung daran wach. Weniger bekannt ist, dass der Bischof zuvor schon im Kloster St. Ottilien aufgenommen wurde. Vor 82 Jahren traf er am Sonntag, 13. September, im Kloster ein. Der Munderkinger Sproll-Forscher Pfarrer Franz X. Schmid beschreibt für unsere Zeitung die näheren Umstände:

Am 24. August 1938 eröffnete die Geheime Staatspolizei dem Bischof von Rottenburg, Joannes Baptista Sproll (*1870, im Amt von 1927 bis 1949), im Rottenburger Bischofspalais mündlich die mit Adolf Hitlers Billigung verfügte Ausweisung aus der Diözese Rottenburg. Hitler und Reichskirchenminister Hanns Kerrl hatten sich Anfang August 1938 bei einer Wagner-Aufführung in Bayreuth darauf verständigt, dass Sproll weg müsse. Die Zusage der Gestapo, die Ausweisungsverfügung schriftlich nachzureichen, wurde nicht eingehalten. Dem Bischof war überdies zugestanden worden, sich außerhalb Württembergs frei und unbehelligt bewegen zu können. Tatsächlich jedoch wurde er überall von der Gestapo beobachtet und überwacht. 

Zunächst in Starnberg

Der Erzabt von St. Ottilien, Pater Chrysostomus Schmid OSB (*1883, im Amt von 1930 bis 1957, †1962), schreibt über seine Erlebnisse mit dem Rottenburger Bischof: „Nach seiner Vertreibung aus seiner Diözese fragte Bischof ­Sproll am 11. September 1938 bei mir an, ob er nach Lech-Ott [er meinte damit St. Ottilien] kommen könne, um dort Aufenthalt zu nehmen. Er befand sich um diese Zeit bei seinem Freund Professor Dr. [Ludwig] Baur in Starnberg [1871 bis 1943; Kurskollege ­Sprolls]. Es sei ihm in letzter Zeit etwas peinlich, weil man herumfrage und rate, wer er sei. Ich erhielt seinen Brief bei der Kircheneinweihung in Münsterschwarzach.

Am 12. September war ich schon in Starnberg und hatte eine Unter­redung mit dem Bischof. Wir machten aus, dass er am 13. September mit unserm Auto in Starnberg abgeholt werde. Zunächst suchte ich seinen Aufenthalt um des Bischofs willen geheim zu halten. Aber eine Geheimhaltung war nicht möglich. Am 14. September war das Fest Kreuzerhöhung mit Kreuzverehrung, und Bischof Sproll kam auch in den Gottesdienst. Es bestand auch kein Grund für Bischof Sproll, sich in Ottilien zu verstecken. 

Gleich nach dem Gottesdienst kamen Patres und Brüder zu mir und sagten: ‚Bischof Sproll ist doch hier. Wir kennen ihn. Er hat uns gefirmt.‘ Ich selbst hielt es für eine große Ehre, einem vertriebenen Bischof Aufnahme zu gewähren, gleichgültig darüber, was die Machthaber dazu sagten. Bischof Sproll bewohnte das sogenannte Bischofszimmer im zweiten Stock des Klosters und speiste dort gewöhnlich alleine. Die bischöfliche Kleidung trug er ganz selten, er kam immer in Schwarz. So machte er seine Spaziergänge und kleineren Ausflüge, ohne sich und seine bischöfliche Stellung zu verraten.“

In seinem Kloster-Exil hielt der Rottenburger Bischof Kontakt zu seiner Diözese. So schrieb er am 3. Oktober 1938 einen Brief an die Dekane: „Eine Sorge bewegt und bedrückt mein Herz – die Sorge, ob meine Verbannung nicht zum Nachteil meiner Diözese ausschlage.“ 

Aber er weist auch auf positive Perspektiven hin: „Ein Gutes hat die offene Verfolgung der Bischöfe und Priester und die Erschwerung des Gottesdienstes und des Religionsunterrichtes gebracht: sie hat dem katholischen Volke die Augen geöffnet und Geistliche und Gläubige zu einer geschlossenen Einheit zusammengeschweißt. In dieser Einigkeit haben sie den zähen Widerstand der Kirchengegner gebrochen und ihren heiligen Gottesglauben, Christusglauben und Kirchenglauben über zwei schwere Jahrzehnte der Not hin­übergerettet.“

Gestapo wird vorstellig

„Gottesglauben, Christusglauben und Kirchenglauben“ – das sind die Säulen von Sprolls geistlichem Widerstand gegen die Ideologie der Nationalsozialisten, die sich seit Jahren durch seine Predigten und Reden hindurchziehen und Eingang in die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937) von Papst Pius‘ XI. gefunden haben. Am 4. Oktober 1938 schrieb der Bischof an die Diö­zesanen. Zur Sudetenkrise sagt er darin: „Ein Krieg, schrecklicher als die Menschheit je erlebt hat, ist von uns abgewendet worden.“ Ab Mitte November 1938 veröffentlichte Sproll Hirtenbriefe, aber ohne Angabe seines Aufenthaltsorts.

Auch in St. Ottilien ist Bischof Sproll in Gefahr. Man will ihn auch hier vertreiben. Die an ihn gerichtete Post wird an „Pater Martinus, Kloster St. Ottilien, Post Geltendorf“ bzw. „Eresing“ adressiert. Es dauert nicht lange, bis der Gestapo Sprolls Aufenthalt in der Benediktiner-Erzabtei gesteckt wurde. Er bekam oft alle vier Wochen unangenehme Besuche von den Geheimpolizisten.

Am 13. Juli 1939 kamen drei SA-Männer zum Bischof und forderten die Herausgabe des sogenannten SA-Mann-Briefs. Ein Mitglied der SA hatte ihm nach dem Sturm auf das Rottenburger Bischofspalais am 23. Juli 1938 geschrieben: „Hochwürdigster Herr Bischof! Ich habe Ihnen etwas abzubitten. Auch ich war am letzten Samstag dabei – allerdings nicht freiwillig, sondern kommandiert. Ich war stolz auf mein Vaterland. Aber am Samstag habe ich mich zum ersten Mal geschämt, ein Deutscher zu sein. Und wie mir, so ging es vielen Kameraden von meinem Sturm. Wir haben uns vor uns selbst geschämt, dass wir uns – ohne unser Wissen – zu solch schändlichem Tun haben missbrauchen lassen müssen.“

Dieser Brief war beim Bischof nicht zu finden. Sproll­ weigerte sich, irgendwelche Namen zu nennen. Bei diesem Besuch sagte er zu den SA-Leuten: „Sie haben mir bisher Fragen gestellt. Darf ich auch welche stellen? Man sagt, der Pöbel habe in Rottenburg das Palais gestürmt. Zählen der Herr Kreisleiter, der Chef der Polizei und diese Leute auch zum Pöbel? Ihr habt gesiegt, aber nach all euren Siegen siegt Christus.“

Am 5. März 1939 traf sich der neugewählte Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli: *1876, im Amt von 1939 bis 1958) mit den deutschen Kardinälen Adolf Bertram (Breslau), Michael von Faulhaber (München), Karl Joseph Schulte (Köln) und dem österreichischen Kardinal Theodor Innitzer aus Wien zu deren Antrittsbesuch und zur Feier des 70. Geburtstags von Kardinal von Faulhaber. Der Münchner sagte bei diesem Treffen: „Die Aussichten, dass Sproll in seine Diözese zurückkehren kann, sind sehr gering.“

Anfang April 1939 besuchte Bischof Sproll Kardinal von Faulhaber in München. Anschließend betete er in Frauenchiemsee am Grab der seligen Irmengard, um dann zu einem Besuch bei den Missionsdominikanerinnen von Schlehdorf am Kochelsee weiterzureisen, denen viele Frauen aus der Rottenburger Diözese angehörten. Am 31. Mai 1939 besuchte Bischof Sproll Weiler im Allgäu und Wertach. 1939 und 1940 fuhr er wiederholt nach Moorenweis bei St. Ottilien, unter anderem, um an einer Primiz teilzunehmen. Am 17. April 1939 schrieb der Rottenburger Bischof an Kardinal Karl Adolf Bertram in Breslau: „St. Ottilien entwickelt sich zu einer Wallfahrtsstätte der Diö­zese Rottenburg.“

Am 8. September 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, erlässt, wie der Neffe Stephan Sproll in seiner Dissertation berichtet, Bischof Joannes Baptista Sproll einen Hirtenbrief: „Schon sind ja aus allen unseren Gemeinden, dem Rufe des Führers folgend, die waffenfähigen Männer zum Schutz von Haus und Herd an die Grenzen geeilt, und wir wissen, dass sie, ihrem Fahneneid getreu, bis zum Einsatz ihres Lebens ihre Pflicht erfüllen werden.“

In der Tat kann dieses Hirtenwort von Bischof Sproll irritieren. Kriegsbefürworter oder gar Kriegsverherrlicher war er nie; ganz im Gegenteil: Seit dem Ersten Weltkrieg, bei dem ihn die Schicksale der Soldaten an der Front bei einem persönlichen Besuch zutiefst erschüttert hatten, war er, Mitglied des Friedensbundes deutscher Katholiken, ein erklärter Pazifist. Nationalistischen Dünkel hatte er seit jeher als etwas dem Universalismus des christlichen Gottesglaubens zutiefst Widersprechendes betrachtet.

Im Winter 1939/1940 hielt er sich für drei Monate im St.-Urban-Krankenhaus in Freiburg auf. Seine schwere Erkrankung kommt hier zum ersten Mal in den Blick. Er litt nicht an Multipler Sklerose, wie er dachte, sondern an einer Schädigung der periphären Nerven infolge der übermäßigen seelischen Belastung. Am 11. März 1940 traf sich Papst Pius XII. mit Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (1893 bis 1946), als dessen Resümee der Papst festhält: „Sproll ist für sie politisch tot.“

Treffen in Günzburg

Am 2. Oktober 1940 feierte der Bischof in St. Ottilien seinen 70. Geburtstag. Am Morgen seines Geburtstags hatte Bischof Sproll in der Klosterkirche ein Pontifikalamt gefeiert. Die regelmäßigen Treffen des Bischofs, der ja auch in der Verbannung im Amt geblieben war, mit den Domkapitularen und mit Mitarbeitern des Rottenburger Bischöflichen Ordinariats fanden in Günzburg oder im Augsburger Ordinariat statt. Der Rottenburger Diözesanpriester und spätere Weihbischof Anton Herre (*1920, im Amt von 1970 bis 1985, †1985) hat in dieser Zeit von seinem elterlichen Wohnort Laupheim aus mit dem Fahrrad und in Wanderkleidung Kurierdienste geleistet.

In den über zwei Jahren seines Aufenthalts in St. Ottilien hat dagegen kein einziger bischöflicher Mitbruder Sproll dort besucht. Wenn der Augsburger Bischof Joseph Kumpfmüller (*1869, im Amt von 1930 bis 1949) nach St. Ottilien kam, hat sich Sproll außer Hauses begeben. Vielleicht wollte er dem Mitbruder Schwierigkeiten ersparen. Kumpfmüller war allerdings wohl auch durch die Regimefreundlichkeit seines Weihbischofs Franz Xaver Eberle (*1874, 1934 bis 1951) kompromittiert. Dagegen hat Pater Rupert Mayer SJ (1876 bis 1945) seinen bischöflichen Freund und ehemaligen Lehrer öfters in St. Ottilien besucht, und Sproll hat Gegenbesuche bei ihm in München gemacht.

Insgesamt war der Kontakt des Bischofs zu seiner Diözese sehr rege. Allerdings wurden alle Rückkehrbestrebungen seitens des Ordinariats und des Vatikans durch Gauleiter Wilhelm Murr hintertrieben, der sein entschiedenster Gegner war. Von einer Rückkehr unter den Bedingungen der Partei hielt allerdings auch Sproll nichts. „Sie werden mich mundtot machen wollen“, sagte er.

Im Oktober 1940 verbrachte Erzabt Chrysostomus Schmid einige Tage mit seinem bischöflichen Gast am Walchensee. Dort war vermutlich Pater Ewald Spöck OSB Kaplan, der zuvor in St. Ottilien Bischof Sproll behilflich gewesen war. Die öffentlichen Verkehrsverbindungen waren schwierig. Daher gingen die beiden Herren zu Fuß nach Eschenlohe.Dabei erlitt Sproll einen schweren Hexenschuss. Ein Tierarzt brachte den angeschlagenen Bischof ins Kloster Ettal zu Pater Rupert Mayer SJ, der dort seit dem 8. August 1940 in Verbannung lebte.

Am 24. Januar 1941 überwiesen ihn die Ärzte von München aus ins Lazarett Krumbad (vgl. SonntagsZeitung von 31. Mai, Seite 13), wo Sproll auch früher schon mehrmals zur Kur war. Die Gestapo hatte den Auftrag, den Verbannten scharf zu überwachen. 

Am 17. April 1941  wurde das Kloster St. Ottilien aufgelöst. Einige der Patres kamen als Seelsorger in die Diözese Rottenburg. Erzabt Chrysostomus Schmid war froh, dass Bischof Sproll schon einige Wochen zuvor eine ständige Unterkunft im Krumbad bekommen hatte. Er selbst lebte nach der Auflösung seines Klosters ebenfalls einige Zeit im Krumbad. Er machte den Vorschlag, auf der Empore der Konventskirche einen niedrigeren Altar aufzustellen, an dem der Bischof im Rollstuhl die Eucharistie feiern konnte.

Sehnsucht nach St. Ottilien

Mitte Mai 1941 besuchte Erzabt Chrysostomus auf Sprolls wiederholte Einladung hin das Krumbad, ebenso am 29. Januar 1945. Ein Jahr später, am 9. Januar 1946 – Sproll war wieder zurück in seiner Diö­zese Rottenburg und der Erzabt in seinem Kloster – schrieb der Bischof an den Erzabt: „Die schöne Aussicht von St. Ottilien vermisse ich selbstverständlich sehr und mehr die schönen Spaziergänge. Vielleicht reicht es in der warmen Sommerzeit zu einer Fahrt nach St. Ottilien, wenn einmal das Benzin in rauen Mengen zu haben ist.“

Franz X. Schmid